Kreativ durch die Krise

Koumpi Café, Thessaloniki

„Eine Krise inspiriert die Künstler immer“, meint Spyros, als wir uns im Viertel Agora für einen Rundgang der etwas anderen Art treffen. Es gibt diesen alten Spruch, Not mache erfinderisch. Der Mensch als Gewohnheitstier. Wird er gezwungen, neue Wege zu suchen, können interessante Dinge dabei herauskommen.

So ist es jedenfalls in Thessaloniki passiert. Spyros hat mitten in der Krise gemeinsam mit anderen Kreativen die „Handpeak Tour“ ins Leben gerufen. Sie möchten Besucher ansprechen, die in der nordgriechischen Stadt einen Blick hinter die Kulissen werfen wollen. Slow Travel in Bestform, zusammen mit den Locals die Stadt erleben.

Neugierige Leute wie ich können dann selbst entscheiden, ob sie sich auf einen bestimmten Bereich zu konzentrieren, sei es Musik oder Mode. Oder auf ein Viertel der Stadt. Spyros führt mich zunächst in eine Bar, die noch geschlossen ist. Das „bord de l’eau“ sei das Herz des Viertels, meint Lazaros, der Besitzer.

Lazarus, "bord de l'eau" & Kreativwerkstatt
Lazaros Gounaridis, „bord de l’eau“ & Kreativwerkstatt

Dabei liegt der sogenannte Drinkroom im Innenhof der Egnatia 45 versteckt. Lazaros und sein Bruder, der Schmuckdesigner Yiannis, haben sich mit einem Fotografen und zwei weiteren Designern zusammen getan. Yiannis wollte gerne etwas Leben um sich herum haben, und so inspiriert man sich wechselseitig. Einer der Designer hat zum Beispiel die Wände des Schmuckladens gestylt.

Wie kommt es eigentlich, dass sich ausgerechnet hier, in der Nähe des römischen Forums so viel tut? Ein lebendiges Viertel mitten in Thessaloniki. Die Jungs erklären mir, dass es in den 50er und 60er Jahren eine von der Bourgeoisie geschätzte Gegend war, die dann mit der Zeit aus der Mode kam. Vor ein paar Jahren zogen die Künstler ein, die Mietpreise sind günstig.

Dies bestätigt auch die Galeristin Aliki, die gemeinsam mit ihrer Mutter auf der Philippou-Straße in der Nähe arbeitet. Ihre seit 1994 etablierte Nitra-Galerie zog erst vor ein paar Jahren ins Viertel, das für seine hohe kreative Dichte bekannt ist. Da die beiden Damen auf zeitgenössische Kunst fokussiert sind, passt es optimal. Man verstehe sich als „Vehikel für griechische Künstler“ und konzentriere sich vor allem auf den Balkan und Osteuropa.

Aliki Tsirliagkou
Aliki Tsirliagkou

Während Vassilia und Yiannis von „Wood for the Soul“ in der Agia-Sofias-Straße noch an ihrer Bekanntheit schrauben, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Sie stellt Schmuck und Alltagsdesign aus Holz und Stoffen her, er ist eigentlich Schauspieler. Die Krise hat ihn zum Möbelschreiner gemacht, nur einmal im Jahr gönnt er sich es noch, auf einer Theaterbühne zu stehen.

Kätzchen
Schreinergeselle

Dabei würde ich ihm genauso gerne zuschauen, wie ich eines seiner Möbelstücke kaufen würde, die aus Holz und Fundstücken entstehen. So hat Yiannis die Küchenzeile neu erfunden, konnte darin sogar die Tür eines Vintage-Kühlschranks integrieren. Yiannis meint: „Es muss nicht teuer sein, sondern ehrlich.“ Allein mitnehmen kann ich den Sessel nicht, den ich mir ausgesucht habe.

Aus diesem Grunde will Yiannis in Zukunft mehr Dinge to go produzieren, Lampen etwa oder Spielzeug. Upcycling ist ebenso wie die Rückkehr zu natürlichen Materialien ein großes Thema unter den Kreativen der Agora. Als wir zu guter Letzt noch ein nettes Café aufsuchen, das „Koumpi Coffee & Crafts“ in der Peloponnisou, wird mir das noch einmal bestätigt.

Anthi, eine der beiden Inhaberinnen, klärt mich über das Konzept des Lokals auf: Neben Kaffee, Tee und Snacks können die Gäste auch werkeln. „Koumpi“ heißt übrigens Knopf. Wer sich hier gerade inspiriert fühlt, bemalt einfach einen Stein oder ersteht eines der Bastelsets. Auch Kurse werden regelmäßig angeboten.

Despina von „Thavmasio“ (Wunderbares) zeigt uns nämlich, wie sie aus Bienenwachs, Olivenöl und dem Saft einer frisch gepressten Orange eine Gerichtscreme rührt. „Das verjüngt über Nacht“, meint sie lachend. Und Eirini, die in der Nähe Thessalonikis das Olivenöl presst, nickt begeistert. Natürlich schmeckt ihr kaltgepresstes, natives Öl auch im Essen!

Mein Stichwort! Thessaloniki hat mich bislang nicht nur als lebhafte, jugendlich wirkende Hafenstadt mit langer, multikultureller Geschichte begeistert, sondern auch von kulinarischer Seite. Sogar Griechen aus anderen Regionen geben zu, dass Thessaloniki am besten kocht. Es muss an der Geschichte und den diversen Einflüssen liegen. Ich verabschiede mich von Spyros, Anthi, Despina und Eirini – es war ein geniale Zeit. Und die Locals habe ich als ausgesprochen herzliche Menschen erlebt.

Mittlerweile geht es auf vier Uhr zu, und mir knurrt der Magen. Selbst für griechische Verhältnisse werde ich recht spät zu Mittag essen. Da mir das Agora-Viertel so gut gefällt, bleibe ich in der Nähe. Im „Massalia“ (Marseille) auf der Manousagiannaki bin ich schon fast am Weißen Turm, dem Wahrzeichen der Stadt. Nur noch ein kleines Stück vom Meer entfernt.

Beste Mittelmeerküche kommt auf den Tisch: Ich wähle Melitzanosalata, eine Vorspeise aus Auberginen mit Käse und Tomaten. Köstlich. Und anschließend panierte, frittierte Gavros, typische Fischlein der Region, die an Sardinen erinnern. Dazu Ouzo mit Eis und Wasser. Später werde ich auf den Weißen Turm steigen und bei Sonnenuntergang auf die Stadt und das Meer schauen.

ευχαριστώ – efcharistó, Thessaloniki! Ich bin sicher, ich komme bald wieder.

Abends am Weißen Turm
Abends am Weißen Turm

Mit Dank für die Unterstützung durch Discover Greece und Handpeak Tours, die meinen Blick hinter die Kulissen gelenkt haben. Und ein dickes Danke für die sprachliche Beratung an E.K.!

6 thoughts on “Kreativ durch die Krise

  1. Ein ganz wunderbarer Artikel. :-) Danke dafür! Seit Jahren möchte ich Thessaloniki besuchen, jetzt habe ich gleich wieder Lust auf eine Städtereise dorthin bekommen. Und den mutigen Gründern von ‚Handpeak‘ wünsche ich gaaaanz viel Erfolg.

    Viele Grüße, Monika

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