Das Klangschiff

Ein kalter Nachmittag im Winter, und ich stehe zum ersten Mal vor den Toren der fertigen Elbphilharmonie in Hamburg. Von außen wirkt sie stolz, vornehm und ein bisschen zugeknöpft. Wie ein Bollwerk liegt der Kaispeicher A im Hafen, seit den 60er Jahren Stürmen und Fluten trotzend. Mit der Entkernung hat er alte Düfte von Tabak, Tee und Kakao verloren. Außen reine Funktionalität, kleine Fensteröffnungen, Ladeflächen, angedockte Kräne, die immer noch dekorativ in die Höhe ragen.

In der Form eines Tortenstücks mit stumpfer Spitze folgt der Speicher im Groben der Trapezform des Höfts zwischen Sandtorhafen und Grasbrookhafen. Ich laufe zunächst zu den Kränen, unter ihnen hindurch bis zur Kaizunge. Licht- und Schattenspiel auf roten Ziegeln. Tradition und maritime Nostalgie.

Kräne vorm Speicher
Schattenspiele
Tortenspitze

Die überdimensionierte Welle aus Glas und Stahl, die Herzog & de Meuron darauf gesetzt haben, will die Strenge des Sockels in der Fließbewegung auflösen. Das war die Idee, eine Eingebung, eine flotte Zeichnung der Architekten. Es gab keinen Wettbewerb, keine Ausschreibung. Der Kaispeicher sollte bleiben, eine kantige Vorlage, mit der sie spielten.

Wie die Lippen von Orgelpfeifen

Die Architekten der Elbphilharmonie gehen noch einen Schritt weiter, sie nahmen dem Aufsatz das Gewicht, dieser Krone, deren gläserne Hülle allein unvorstellbar viel wiegt. Ein Glaspaneel bringt bis zu 1,2 Tonnen auf die Waage. Vom Schatz im Innern nicht zu reden. Doch die Bruchstelle zwischen Sockel und Glashaube – betont durch den Rundgang, den neuen Balkon der Hamburger – verneint die Schwere des Gebäudes.

Die beiden Fassaden sind klar voneinander getrennt, das Massive des Speichers bleibt auf dem Boden, während der Aufsatz eine eigene Dynamik entwickelt. Allein die Materialwahl betont das Aufgelöste, das Wässrige. Die Welle von Herzog & de Meuron fließt aus Glas, glänzt wie ein silbrig-blauer Fischlaib und wirkt eher metallisch. Rückt man ihr auf die Pelle, hat man den Eindruck, als habe jemand mit Blech gespielt, es hier und da wabenförmig ausgebeult.

Es darf georgelt werden.
Metall, Plastik oder doch Glas?

Manchmal wirkt die Hülle wie Plastik, anklingend an die Formen 60er Jahre. Die Waben mutieren zu den Lippen von Orgelpfeifen, je länger man sie, die Elphi, von außen betrachtet. Sie, deren Bauch für musikalische Hochgenüsse ausgelegt ist, wird selbst zum überdimensionierten Musikinstrument. Ein Schiff, ein Hafen, ein Klang.

Doch dann gibt sie wieder die Welle, an der schmalsten Stelle nach oben strebend, an der stumpfen Spitze des Tortenstücks. Mich würde ein Blick von oben interessieren: Wie ist das Dach geformt? Zeltartig? Gelangt man aus dem großen Saal, aus den Luxuswohnungen oder dem integrierten Hotel dorthin? Existieren Dachgärten? Gibt es grüne, ökologische Aspekte? Wie zukunftsweisend ist die Elbphilharmonie?

Langsamkeit in der Tube

Trotz der vermeintlichen Verschlossenheit gelange ich flott ins Innere der Elbphilharmonie. Die Wochenenden sind zu meiden, da herrscht Überfüllung. Ganz so einfach wie in anderen Konzerthäusern läuft es allerdings nicht. Nicht so natürlich etwa wie in der Oper von Oslo, die ebenfalls am Wasser liegt. Ein Gebäude wie eine Landschaft.

Für die Elphi hole ich mir ein kostenloses Eintrittsticket: Erlaubt ist ein Zeitfenster von einer Stunde, doch ich überziehe, achte gar nicht auf die Zeit. Mit dem Ticket gehe ich durch die Schranke in Richtung Nadelöhr, der angeblich längsten Rolltreppe Europas. 80 Meter lang, mit überdimensionierten Paletten bestückt, edel. Teil 1 endet vor dem gläsernen Ausguck auf Elbe, Schiffe, Hafen. Teil 2 mündet in der Plaza.

The Tube
The Plaza
The Balcony

Das Nadelöhr, die sogenannte Tube, ist ein weißer, schlauchförmiger Raum, der sich nach oben stärker wölbt. Durch die zunehmende Krümmung verliert man das Gefühl für die Höhe, die Rolltreppe wirkt nie steil. Niemand läuft über die Treppe, alle scheinen die Langsamkeit dieser Transitzone zu genießen. Scheinbar bin ich die einzige Ungeduldige, habe mich an den Blubberpunkten satt gesehen und steige versuchsweise ein paar der relativ flachen Stufen hinauf.

Doch drängeln möchte ich nicht in den heiligen Hallen der Elphi. Das Herzstück, den großen Saal, werde ich eh nicht besichtigen können. Das geht zur Zeit nur mit einem Ticket zu einer Veranstaltung, von denen viele ausverkauft sind, wie es sich gehört. So begnüge ich mich mit einem Rundgang über die sogenannte Plaza. Es ist die Ebene zwischen dem entkernten und im Innern neu gestalteten Kaispeicher und der Frisur, der Sahnehaube, der Welle aus Glas.

Die Elphi hat angedockt

Nichts ist gerade. Selbst die Betonstützen der Plaza streben diagonal durch den Raum. Ich fühle mich fast wie im Maul eines Bartenwals und wandele durch den Schlund. Der innere Teil mit seinen geschwungenen Formen und blasenartigen Aufgängen zu den Sälen erinnert auch an die Architektur der 60er Jahre. Oder an die organisch-futuristische Ausdrucksweise eines Calatrava. Alle gucken, staunen, spazieren, fotografieren. Alle sind in Bewegung wie die Wellen des Hafens.

Alles organisch
Alles rund
Elbphilharmonie
Alles im Fluss
Alles schief
Elbphilharmonie
Alles gewellt

Die Plaza ist für alle da. Die Plaza kostet nichts. Die Plaza ist ein Balkon, ein Ausblick, ein maritimes Gefühl. Eigentlich lenkt alles aus der Plaza hinaus. Es gibt keine Sitzgelegenheiten, keine Pausen. Ein Café mit Stehtischen, Canapées und Törtchen, alles auf Pappe serviert, Edelpappe mit einem seitlichen Schwung, der wohl die Architektur zitieren soll.

Alles passt

Ich will nur wissen, ob das wirklich Papier ist, doch die Frau hinter dem Tresen erklärt mir sofort, dass hier nichts anderes funktioniert. Die Leute gingen ja trotz des Verbots mit dem Kaffee etc. hinaus, und Porzellan sei zu gefährlich, wenn es von der Plaza herunter segelt, 37 Meter in die Tiefe.

Ich vertilge mein Törtchen und den Cappuccino, der mehr ein Cappuccio ist, brav an den davor vorgesehenen Stehtischen im Innern. Doch draußen hat das Spektakel begonnen. Sonnenuntergang hinter Hafenkränen. Eine diesige, orange-rosa-bleu gefärbte Atmosphäre. Claude Monet hätte es nicht besser gekonnt. Häfen hat er eh gemocht.

Die Elbphilharmonie hat angedockt. Sie ist schön, teuer, edel, stimmig und verhältnismäßig. Mit einer Geste irgendwo zwischen hanseatischem Understatement und diesem klaren Statement zur Umgebung, die sie, wenn auch in Maßen, toppt. Sie passt zu Hamburg.

Text und Fotos: Elke Weiler

Was passt, passt.
Voll integriert
Alter Balkon, neuer Balkon
Kaizunge
Abendgold

Noch mehr Architektur in Hamburg? Hier geht es zum Michel, einer Barockkirche aus dem 18. Jahrhundert.

15 thoughts on “Das Klangschiff

    1. Danke, liebe Simone! Das freut mich wahnsinnig. Ich mutiere noch zur Architekturbloggerin. ;-) Aber Scherz beiseite, ein bisschen back to roots schadet nicht. Es macht mega Spaß. Und bitte sag Bescheid, wenn du mal nach Hamburg kommst! Liebste Grüße von Küste zu Küste! Elke

  1. Liebe Elke,
    dein Elphi Beitrag klingt wie Musik, mindesten genauso schön wie die Klänge im Inneren des neuen Wahrzeichens! Außerdem ist dein Bericht eine wunderbare Vorlage zu meinem Luxus Blogbeitrag, in dem ich aus einem anderen Blickwinkel von der Elphi erzähle :-) Viele Grüße von der Elbe, Svemirka

  2. Jetzt hast du mir wirklich Lust auf meine Tour in der Elphi gemacht. Ich bin über Karneval dort und will eine Art „Vorher – Nachher – Story“ machen. Ich war vor einigen Jahren auf der Baustelle und hoffe, das ich einiges wiederfinde. Ich habe übrigens einen Blick von oben, den ich gerne auch veröffentliche, wenn du willst.

    LG Janett

    1. Das klingt cool, liebe Janett! Ich bin jetzt auch gespannt auf deinen Bericht, sag mir bitte Bescheid, wenn er draußen ist. Ich verlinke dann super gerne drauf. Du meinst von der Dachstruktur? Gab’s die da schon? LG an den Rhein! Elke

  3. Hach, das macht Lust die Elphi selber zu erkunden. Nach einem Jahr Pause freue ich mich im Mai 2017 auch wieder mal in Hamburg zu sein(dann ist’s bestimmt auch etwas wärmer ;-)).

    LG MIchael

  4. Sehr spannender und informativer Artikel, vielen Dank dafür!

    Als Hamburger kann ich zusätzlich den Blick vom südlichen Elbufer sowie von der Fähre sehr empfehlen. Besonders bei seltenem Hamburger Sonnenschein spiegelt sich das Licht wunderschön wider.

  5. Endlich auch mal ein paar Schwarz-Weiß-Fotos von der Elphi – sehr schön. Vielleicht auch für Ihre Leser spannend: Ich berichte in vier Beiträgen über die Akustik im Großen Saal, eine Führung durch das Konzerthaus, die richtige Sitzplatzwahl (… da kann man ganz schön daneben greifen) und biete ganz aktuell Tipps zur Konzertauswahl für die neue Saison 2016/17. Ich freue mich über eine Verlinkung!

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