Sapore di mare

Genua am Meer

„Wenn ich sterbe, nehme ich den Aufzug!“ Wir schauen Cristina, die uns durch Genua begleitet, leicht verwundert an. Sie hat nur zitiert, und zwar einen Poeten. Giorgio Caproni studierte einst in der ligurischen Hauptstadt und er kannte sich aus.

Bald werden wir erfahren, was der gute Mann meinte. Wir nehmen den Jugendstil-Aufzug hinter der Piazza della Meridiana und steigen – immer noch ganz lebendig – auf der Spianata di Castelletto aus.

In Castelletto
Platz an der Sonne

Das ist der alles entscheidende Moment: Wir schreiten ans Licht, denn Castelletto ist ein Platz an der Sonne. Ein Belvedere. In Castelletto genießt man den Tag. Die Leute lustwandeln unter Bäumen, lesen Zeitung, essen Eis oder schauen einfach hinunter auf ihre Stadt, ihre schöne Stadt am Meer.

Über die crêuza

Bedingt durch die Hanglage profitieren die Genueser von vielen Aussichtspunkten, die per Aufzug oder mit der Standseilbahn erreichbar sind. Eine Stadt mit Balkonen, eine Stadt mit Panoramen, die Poeten beflügeln.

Um zurück in die City zu gelangen, nehmen wir nicht den Aufzug, sondern laufen über eine „crêuza“, wie es im ligurischen Dialekt heißt. Eine aus der Stadt hinaus führende Straße, beziehungsweise ein auf den Hügel fühender Weg. „Crêuza de mä“ ist übrigens der Titel eines Lieds von Fabrizio De André, Teil eines ganzen Albums in der Sprache seiner Heimat.

Die zum Meer führende Straße
Crêuza de mä

Da geht es um eine zum Meer führende Straße – mein Stichwort! Sollte ich also eine „Crêuza de mä“ suchen? Die mich zu einer Oase führt, ähnlich den Parks von Nervi. Nur das Meer und ich. Auf meine Frage hin verrät mir Cristina, einer der magischen Orte Genuas sei Boccadasse. Hier hätten auch sämtliche Liedermacher der Stadt Inspiration gefunden.

Raus aus der Stadt

Bislang habe ich die Altstadt Genuas zu Fuß erlaufen, und das ging ganz gut. Der alte Fischerort Boccadasse liegt außerhalb des Zentrums. Ich muss hinunter zur Küstenstraße, zum Corso Italia. Etwa zehn Kilometer. Am liebsten fahre ich ja Fahrrad, doch dazu ist Genua mit seinen Steigungen nicht der geeignete Ort. Nur am Meer entlang wäre es schön, raus aus der City. Wer flexibel sein will, fährt mit der Vespa und dem Motorrad, die Stadt ist voll davon.

In Boccadasse
Fuori servizio.

Mangels Zweirad nehme ich ein Taxi nach Boccadasse. Der rotblonde Fahrer erklärt mir alles ganz genau: Wo ich entlanggehen muss, was ich machen kann, und wo sich die Bushaltestelle für den Rückweg befindet. Er bietet mir sogar an zu warten. Doch ich weiß ja nicht, wie lange ich bleibe.

Ich möchte Boccadasse erleben, dem Meer zuhören und die Augen schließen. Ich steige aus. Der Duft des Meeres, una meraviglia. Der steinige, kleine Strand ist fast leer. Ich stehe auf der Plattform und drehe mich einmal um meine Achse. Der Wind fegt mir um die Ohren, das Meer braust gegen die Klippen, es hat viel zu sagen heute.

Junge Männer liegen aus dem Fels, Ältere sitzen im Schatten der Fischerboote. Langsam gehe ich hinunter, zu den jungen Leuten, die in der kleinen Bucht Sonne tanken. An diesem Montagmittag wirkt der Ort verschlafen und ruhig. Ein älterer Mann grüßt mich, seine Hunde schauen mich fragend an. In einem der Boote das Miauen einer Katze. Doch wo?

In Boccadasse

Farbige Häuser ziehen sich am Hügel hoch, schmiegen sich in das Halbrund der Ortschaft, die mal Fischerdorf war und heute zu Genua gehört. Ich laufe ein bisschen durch die Gassen und kehre zurück zu „Il vecchio e il mare“, einer kleinen Crêperie direkt an der Bucht.

Eine Piadina mit Tomaten, Kapern und Sardinen – der Geschmack des Meeres. Um mich herum historische Schwarzweißaufnahmen des Ortes. Viel hat sich seitdem nicht verändert. Und doch ist alles anders.

Zum Nachtisch noch eine „granita al limone“ in der „Antica Gelateria“, ich setze mich damit an den Strand von Boccadasse. Wieder höre ich Musik aus den 60er Jahren, noch so ein Klassiker: „Sapore di sale, sapore di mare“ von Gino Paoli, der Genua seine Heimat nennt und natürlich Fabrizio De André gut kannte.

Der Geschmack von Salz, der Geschmack von Meer. Wahrscheinlich finde ich keinen einzigen Genueser, der das Lied nicht mitsingen kann. Und keinen Italiener. Und ich, ich war vermutlich ein Fisch in einem früheren Leben. Ein Fisch, der den Aufzug genommen hatte – hier in Genua.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit herzlichem Dank an die APT „In Liguria“ und die Comune di Genova, die diese Reise ermöglicht haben.

8 thoughts on “Sapore di mare

  1. Liebe Elke,

    danke für den schönen Artikel. Wie man sich so ein italienisches Küstenstädtchen vorstellt … ;-) Und deine Fotos sind ja eh immer toll ;-))

    Liebe Grüße
    Berit

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