Das Rapunzel-Feeling

Hotel Hamburg

Jedes Mal, wenn ich über den Nord-Ostsee-Kanal fahre, fühlt es sich wie das Überschreiten einer Grenze an. Bald schon verlasse ich die Jütische Halbinsel, bald schon trete ich ein in die großstädtische Welt. Ich habe die Sonne für diesen Tag in Nordfriesland zurückgelassen, und in meiner Tasche ist noch Sand. Ein Hauch von feinem Kniepsand aus Amrum, der das Reinigungsprogramm überlebt hat.

Nun also Hamburg. Wer denkt, dass die Hansestadt durchgehend flach sei, irrt. Da wäre zum Beispiel der Hügel, der den alten Wasserturm trägt. Der Sternschanzenpark ist Teil einer ehemaligen Wallanlage, wie ich später erfahre. Erst einmal klettere ich mitsamt Koffer dort hoch. Ich suche die Rezeption des Hotels, das sich seit 2007 im Wasserturm befindet.

Ein Tor steht wie zufällig auf, und so gehe ich eine Stahltreppe hinauf und schleiche mich quasi von hinten durchs Restaurant in das Innere des Wasserturms. Eine Kellnerin kommt, sieht und rettet mich. Verfrachtet den verirrten Gast in den Aufzug, drückt auf den Knopf und schickt mich in den unterirdischen Teil des Wasserturms. Plätschergeräusche, ein Nebelhorn tutet. Lichtspiele, die Wasser suggerieren. Grotte meets Design. Und ich endlich den Empfang. Das Rapunzel-Leben kann beginnen. Mein Zimmer liegt im zehnten Stock, der Blick reicht von der Elbphilharmonie über sämtliche Kirchtürme der Innenstadt bis zum nahen Fernsehturm.

Drei kleine Fenster, die wie alle anderen in die äußere Wandgliederung des Denkmals eingelassen wurden. So setzt sich das Turmgefühl auch im Zimmer fort. „Der Aufzugschacht wurde zuerst gebaut“, erklärt mir die Halbfinnin Lisa-Maria Neuvonen, Sales Manager im Mövenpick Hotel Hamburg. Sie kennt die ganze Story.

Zuerst entstand also eine Stahlbetonröhre in der Mitte, als man das 60 Meter hohe Bauwerk aus dem Jahr 1907 zu einem Hotel umfunkionierte. Dann wurden die Stockwerke eingezogen. Zu guter Letzt wollten sie die Dachhaube wieder aufsetzen, doch sie war beschädigt. Trotzdem lehnt sich die heutige Dachgestaltung an die ursprüngliche an, mit Ausnahme der durchfensterten Turmsuiten ganz oben. Vor allem die rechte der beiden ist unter Celebrities beliebt, der teuerste Raum des ganzen Hotels. Schöne Aussicht aus einem offenen Bad, Hamburg liegt dir beim Zähneputzen zu Füßen.

Blick aus der Turmsuite
Blick aus der Turmsuite

Mein Zimmer ist eines von den Tortenstücken im achteckigen Torso des Turms. An der trapezförmigen Form der Räumlichkeiten ist also die Besonderheit des Gebäudes im Innern zu erkennen. Auch das gehörte zum Konzept der Restaurierungsmaßnahmen: Auf Schritt und Tritt Erinnerungen an die ehemalige Funktion zu wahren. Genau wie die dunkleren Stellen an gepflegten Backsteinwänden, die Rückschlüsse auf die Wasserstandsanzeige im letzten Jahrhundert zulassen. Naturbelassene Durchbrüche im Rund des Turms, wo einst Wasserbehälter hingen.

Abends treffe ich die liebe Kollegin Martina, und wir wollen das Schanzenviertel unsicher machen. Da wir nicht die Einzigen sind an diesem frischen Freitagabend, stehen wir überall vor vollen Tischen. Erst bei einem netten, kleinen Portugiesen am Schulterblatt klappt es dann, und wir bleiben hängen. Es duftet nach gebratenen Sardinen, ich esse portugiesische Tapas und trinke Verde dazu. Wie im Urlaub, finden wir. Martina zieht es nach Lissabon, eine der schönsten Städte weltweit, wie ich denke.

Auf dem Rückweg fällt uns wieder ein, dass wir im wunderbaren, aber noch kühlen Hamburg sind. Martina sagt: „Schlaf‘ schön, in deinem Turm da!“ Dort angekommen fühle mich wie Rapunzel, die ihre Gedanken hinunterlässt. Aus der Traum. Morgens lasse ich das Licht durch all meine Turmfenster und dusche mit Hamburgblick. Messehallen, Hochhäuser, Kirchtürme in der Ferne – Großstädte können ebenso spektakulär wie trivial wirken.

Doch zur Feier des Tages scheint die Sonne und verändert alles. Die gestern noch auberginefarbene Wand zur Rechten wirkt heute eher nougatbraun. Eine suggestive Farbe. Ich schwebe hinab bis aufs Restaurantlevel – die Hügelebene. Der Frühstücksraum geht in den einzigen Anbau des Wasserturms über, rundherum verglast und mittig im Park. Es duftet verführerisch an allen Ecken und Enden, vor allem in der Süßwarenabteilung. Apfeltaschen vor meiner Nase. Schokokuchen, Muffins, ein Zopf. Lachs, Birchermüsli, Früchte.

Und das fröhliche Team in der Showküche brutzelt munter weiter. Es war bestimmt kein Zufall, dass ich nicht über den üblichen Weg in den Wasserturm eingetreten bin, gestern. Sondern ganz gezielt durchs Restaurant. Nun fließe ich mit den Plätschergeräuschen übers Rollband unter der Wellendecke zurück auf den Boden der Tatsachen.

Adieu, Rapunzelleben.

Text und Fotos: Elke Weiler

12 thoughts on “Das Rapunzel-Feeling

  1. Oh gott, ich bin verwirrt. Der Teufelsberg ist in Berlin. Aber ich mein den Waseberg :) Der ist auch wirklich in Hamburg und natürlich, also zumindest nicht durch eine Wallanlage entstanden. Der ist auch in Blankenese, aber noch vor dem Süllberg.

  2. Super schöner Bericht, ich glaub, da will ich auch mal wohnen! Und ja, du hast es ganz genau erkannt: eine meiner ersten Amtshandlungen am Samstag war Flüge nach Lissabon recherchieren :-) habe mich riesig gefreut, dass wir uns letzten Freitag gesehen haben – Wiederholung dringend notwendig :-) LG Martina

    1. Danke, liebe Martina!
      Ich werde dann ganz furchtbar neidisch sein, wenn du aus Lissabon live berichtest… :-)
      Ja, ich freu‘ mich auch schon aufs nächste Treffen! Und bin vom 25. bis 27.4. wieder in HH, ich schau mir mal das Programm an…

  3. Ich werde mein portugiesisches Glück dann sehr gerne mit dir teilen :-) jaa, super, in dieser Zeit bin ich auch in HH. Wäre ja super, wenn es wieder mit einem Treffen klappt. Da schnacken wir auf jeden Fall noch!

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