Ein bisschen Monet

An der Alabasterküste

Es ist wie ein Déjà-vu. Als sich das Abendlicht über die Alabasterküste legt, muss ich wieder an Monet denken. Der Impressionist begleitet mich seit meiner Ankunft in der Normandie, seit dem ersten Tag in Le Havre. Nun taucht er auch in Étretat auf.

Claude Monet hatte immer wieder Monate an der Küste verbracht und sich der Landschaft bei wechselnden Lichtverhältnissen gewidmet. Emblematische Steilklippen, die ich kannte, lange bevor ich in die Normandie kam. Vor allem „La Manneport“. Wie ein großes Tor führt der Bogen von der Felswand ins Wasser.

„Étretat, la Manneporte, reflets sur l’eau“ 1885, heute im Musée d’Orsay. Genau so ein Licht ist heute. Ein Licht, das den Maler inspiriert hätte. Ein Licht, das den Fels leben lässt. Der Fotograf am Strand nutzt es für Hochzeitsbilder, was meine Aufnahmen noch einen Tick romantischer macht. Die Frau mit dem langen weißen Kleid am Strand, die aufs Meer blickt – das wäre eines Malers würdig.

Am Strand von Étretat
Abends am Beach

Ein bisschen Monet spielen, auch wenn ich weder Pinsel noch Staffelei sondern nur diese einfache Kamera zur Hand habe. Allerdings wechsele ich gerne die Perspektive, so wie die anderen Flaneure auch. Die Gäste von Étretat versammeln sich üblicherweise zum Sonnenuntergang auf einer der Klippen, um auf die Küste hinunter zu blicken. Auf die Wellen des Ärmelkanals.

Bei Marie Antoinette

Ich bin erst vor kurzem mit Möhre, meiner Miet-Ente, in Étretat gelandet und habe einen gemütlichen Spaziergang durch den alten Fischerort hinter mir. Nun geht es zu Marie Antoinette. Wenn es die Königin in Paris nach Austern gelüstete, wurden diese aus der Normandie bestellt. Genauer gesagt, kamen sie per Pferd oder Esel aus Étretat.

Unweit von „La Manneporte“ liegen die alten Austernbecken, in denen vom 18. Jahrhundert an gezüchtet wurde. Und der Traum von Franck ist es, sie wieder in Betrieb zu nehmen. Der ehemalige Antiquitätenhändler betreibt die Austernbar „Marie Antoinette“ sowie den Fischladen gegenüber.

Seine fünf Sorten Austern kommen aus der Bretagne und Normandie, wobei die aus Veules-les-Roses bei Dieppe zur Zeit die Besten wären. Zu den Austern passe sehr gut der frische, helle Cidre Menton, und das stimmt. Im zweiten Gang wird mir ein Carpaccio aus Jakobsmuscheln vorgesetzt, noch so eine Spezialität der Normandie. Vor allem in Fécamp sind sie darauf spezialisiert, mein nächstes Ziel.

Austern in Étretat
Die Besten

Vermutlich habe ich nie bessere Austern und Jakobsmuscheln gegessen als hier. Sagen wir, bis auf die Austern der Île Madame. Aber Jakobsmuscheln? Muss ich sonst nicht haben. Auch bin ich sonst kein großer Fan von Cidre, doch in der Normandie schmeckt er ausgezeichnet. Wein wird hier kaum produziert, und ich vermisse ihn nicht.

Im Hafen von Fécamp

Von Oktober bis April haben die Jakobsmuscheln Saison, von Juni bis Dezember der Hummer. Auch Wolfsbarsch sei gut vertreten, und zwar von August bis September. Das nahe Fécamp habe 400 Jahre von der Fischerei gelebt. Noch heute werden an den Küstenorten die Feste gefeiert, wenn der Hering gegen Ende Oktober oder im November in Massen kommt: les Fêtes du Hareng. Im Gegensatz zu Fécamp besitzt Étretat keinen Hafen, die Boote wurden mittels Gewinden ins Wasser gelassen.

Die Möwe J.
Die Möwe J.

Der Tourismus löste ab dem 19. und 20. Jahrhundert mehr und mehr die Bedeutung der Fischerei für den Ort ab. Erst kam die Künstler und Schriftsteller an die Küste, dann die Pariser, um sich im maritimen Klima zu erholen. Gefischt wird nun nicht mehr in Étretat, in Fécamp hingegen schon.

Die 17 Kilometer in die ehemalige Hauptstadt der Normandie lege ich am nächsten Tag zurück. Im Mittelalter galt der Ort als geistiges Zentrum der Region. Wegen des natürlichen Hafens hatten sich bereits die Wikinger angesiedelt. Das erzählt mir die in der Normandie lebende Deutsche Uli Rohsaint.

Im Hafen von Fécamp
Im Hafen von Fécamp

Außerdem verrät sie mir ihr Geheimrezept in punkto Jakobsmuscheln: Sie brät sie mit Lauch an, drei bis vier Minuten je Seite, löscht sie mit Calvados und Cognac ab, reibt ein bisschen Apfel dazu oder gibt den Saft hinein, dann Sahne und Pfeffer – fertig! Kann man natürlich, falls gerade keine Jakobsmuscheln zur Verfügung stehen, auch mit festerem Fisch machen.

An Bord des Seglers „Mil‘ Pat“, mit dem einst Thunfisch und Langusten gefangen wurden, stechen wir gemeinsam in See. Der Kapitän, ein lustiger Kerl namens Asterix, der seinen echten Namen Lionel bereits vergessen hat, findet das bewegte Meer gar nicht so bewegt. „Wir sind auf Stufe 3 der Skala – erst in drei Stunden geht es richtig los!“

Die Mutter einer mitreisenden Familie lehnt bereits über der Reling. Uli und ich schauen, dass wir uns immer gut festhalten, auch als wir beim Hissen der Segel helfen. Diese lassen wir allerdings nicht lange oben, es macht keinen Sinn heute. Mit leicht wackeligen Beinen gehen wir wieder an Land und drehen noch eine Runde über den Fischmarkt.

Wir treffen auf Nounoute, die alle Fischer kennt, und ganz Fécamp kennt sie. Gerade hat sie keine Zeit, doch am Abend erlebe ich sie in Bestform. Die Besitzerin des Restaurants „Chez Nounoute“ heißt eigentlich Françoise, doch niemand nennt sie so. Das Schiff ihres verstorbenen Mannes hieß ebenfalls Nounoute. Sie verkaufte einst seinen Fang, nun führt sie das Restaurant, kocht auch selber.

Geboren auf See
Geboren auf See

Wir probieren Grand Villes-Austern und in Butter gebratene Jakobsmuscheln. Denn im Norden wird weniger mit Olivenöl gekocht. Zum Dessert gibt es Apfelkuchen mit Bénédictine, dem Kräuterlikör von Fécamp. Irgendwann erscheint Nounoute auf der Bildfläche, und die Show beginnt. Sie beliebt mit den Gästen zu scherzen, kramt alte Familienfotos aus ihrem Archiv und zeigt sie herum.

Eine Atmosphäre, als wären wir alle bei ihr zu Hause. Nur dass selbst Franzosen den Dialekt der Gegend oft nicht so ganz verstehen. Doch ihre rollende, rasante Lache reißt jeden mit. Nounoute ist sich für nichts zu schade, zwängte sich beim letzten Heringsfest sogar in ein Meerjungfrauen-Kostüm.

Adieu, ma chère!
Adieu, ma chère!

Und auch für das nächste Fest fällt ihr gewiss etwas Skandalöses ein. Spontan will sie mit mir Richtung Dänemark düsen, sie war noch nie dort. Doch als ich erwähne, dass ich mit einer Ente unterwegs bin, meint sie nur: „Oh lá lá! Wenn ich da einsteige, kommen wir keine Steigung hoch…“

Adieu, Nounoute! Adieu, Normandie! À la prochaine!

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank an Normandie Tourisme, die meine Reise unterstützt haben.

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