Der Orient, heilige Sophia!

Wenn du den Tag mit einem frischen Granatapfelsaft nahe der Galata-Brücke starten kannst, bist du in Istanbul. Der Verkäufer der Süßigkeiten, die den spanischen Churros ähnlich sehen, sagt mir den Namen auf Türkisch: Tulumba.

Etwas dicker im Durchmesser, etwas süßer, da nach dem Frittieren in Zuckerwasser getaucht. Aber lecker. Vor meiner Nase ein Eisverkäufer in Aktion: Maraş – ein Drama in drei Akten.

Die Kundin lächelt geduldig, auch wenn sie zwischenzeitlich nur das Hörnchen in der Hand hält, während das Eis noch am Löffel klebt. Ohne dieses spaßige Hinundher geht in Istanbul nie ein Maraş über die Theke. Nie.

Granatapfel am Morgen
Granatapfel am Morgen

Auf der Galata-Brücke schieben sich die Massen über das Goldene Horn. Die Angler beeindruckt das nicht, stoisch schauen sie aufs Wasser, werfen ihre Angeln aus oder halten einen kleinen Plausch, während silberne Fischlein im Eimer zappeln.

Die asiatische Seite

Die Mittagssonne brennt mir auf den Schädel, als wäre ich mitten in der Sahara. Menschen wie Sandkörner um mich herum. 18 Grad waren vorhergesagt, mein Sonnenbrand straft den Wetterdienst Lügen.

Bei den Anglern
Bei den Anglern auf der Brücke

Dann sehe ich schon die Fähren, die auf die asiatische Seite der Stadt übersetzen. Bevor ich es tue, bevor ich nach Kadiköy fahre, noch ein Streifzug durch die Altstadt von Istanbul. Noch etwas, das ich seit Jahren tun muss.

Den Gewürzbasar lasse ich wegen akuter Hitzschlaggefahr aus, stattdessen finde ich eine öffentliche Trinkwasserausgabe. Eine Oase in der Sahara. Weil ich ja nicht zu den Touristen gehöre, die sich mit dem Transport von Wasserflaschen über Dürrestrecken retten.

Es steppt der Bär in Eminönü.
Es steppt der Bär in Eminönü.

Ein Wassertank also, bereitgestellt von der Stadt, Pappbecher daneben. So trinke ich gemeinsam mit den Istanbulern ein Wässerchen im Schatten. Ist es der Bazar, die Architektur um mich herum?

Die Altstadt mutet orientalisch an, ganz im Gegenteil zu dem Viertel rund um den Galata-Turm mit seinem mehr italienisch-mediterranen Flair. Diese Stadt hat eben alles.

Die Stadt, die alles hat.
Die Stadt, die alles hat.

Zwei Stationen mit der Tram Richtung Sultan-Ahmet und wieder eintauchen in die Massen, die über den Platz strömen. Die sich verteilen auf sämtliche Sehenswürdigkeiten der Umgebung: den Versunkenen Palast, die Blaue Moschee, die Hagia Sophia, den Gülhane Park und Topkapi-Palast.

Der lang ersehnte Moment

Ich steuere die Moschee an. Unter den Arkaden im Innenhof finde ich kühlere Luft, endlich Schatten. Pause, das Innere ist wegen der Gebetsstunde geschlossen. Durch das Tor kann ich auf die Hagia Sophia gegenüber blicken.

Im Innenhof der Blauen Moschee
Im Innenhof der Blauen Moschee

Der Ruf des Muezzin erschallt von sämtlichen Minaretten, immer abwechselnd, wie ein Dialog. Genau in dem Moment, als ich zwischen Moschee und Hagia Sophia stehe. Ein rhythmisches, langgezogenes „Alllaaahhh“ beherrscht die Atmosphäre.

Dann der historische Moment. Zum ersten Mal in meinem Leben stehe ich vor dem Bauwerk, über das ich vor Lichtjahren so viel gelesen, verglichen, einsortiert hatte. Als Kunsthistorikerin mit Schwerpunkt Architektur.

Hagia Sophia, Mutter aller Kuppelbauten

Nun raubt die Hagia Sophia mir den Atem, übertrifft all meine Erwartungen. Wie ein Urkirche und Mutter aller Kuppelbauten steht sie da, wie eine gemauerte Hügellandschaft. Mit vier Minaretten vom Orient umarmt, die wie Pfeile in den Himmel stoßen.

Hagia Sophia
Fototermin vorm Welterbe

„Heilige Weisheit“, nichts anderes heißt Hagia Sophia auf Griechisch. Ich will sie einfach nur ansehen, stundenlang. Auf dem Rasen picknicken, wie all die anderen hier. Und staunen. Kein Bild, kein Buch kann das ersetzen.

Statt Picknick reiht sich die Kulturbeflissene in die Schlange fürs Museum ein, der Eintritt in die Hagia Sophia kostet immerhin 30 Lira. Wenigstens das Schlangestehen ist kurzweilig, denn es gibt immer jemanden, der irgendetwas verkaufen will: topaktuelle Blütenkränze fürs Haar, Guides, Bootstouren, Wasserflaschen.

Gast in der Hagia Sophia
Zu Gast im Museum

Melonen und gegrillte Maiskolben. Schnelle Tickets fürs Museum mit Aufschlag. Ich halte durch, meist unter dem Schatten von Kastanienbäumen. Hinter der Ticketoffice löst sich alles auf. Dann die Überraschung: ein Café unter Bäumen zwischen antiken Säulen, neben den beeindruckenden Mauern des Bauwerks.

Espresso, Kräutertee, frischer Orangensaft neben einem der schönsten Gebäude der Welt. Eine komplexe, verschachtelte Architektur, dicke Mauern der Geschichte. Ich könnte hier ewig sitzen. Immer noch das Brodeln der Mega-Stadt im Hintergrund hören, Gehupe, Getute, Schiffshörner, das Rattern und Ringring der Straßenbahn, das Gemurmel der Menschen.

Mosaiken in der Hagia Sophia
Nicht alle Mosaiken sind erhalten.

In einer Stadt wie Istanbul braucht es diese Oasen. Im Innern der Hagia Sophia ein wilder Mischmach aus Byzanz und osmanischer Kunst. Von den Wänden bröckelt es, etwa die Hälfte des Innenraums ist durch ein staubbedecktes Gerüst versperrt.

Das achte Weltwunder

Vergeblich suche ich nach dem gigantischen Raumgefühl, das diese Architektur mal vermittelt hat. Die Schwerelosigkeit der Pendentifkuppel, die Rhythmik der Rundbögen, die Ausdruckskraft der Mosaiken… In die Galerie zu laufen und von schräg oben zu schauen, macht es auch nicht besser.

Hagia Sophia, Istanbul
Symphonie der Kuppeln

Ich verlasse das achte Weltwunder und Weltkulturerbe. Vom Ausgang gehe ich in Richtung Bosporus und finde ein Taxi. Der Fahrer ist einer jener Abzocker, er nimmt 20 Lira für den Katzensprung zum Fähranleger von Eminönü.

Keine Lust auf Diskussionen, zumal er mir auch noch eine Stadtrundfahrt mit Shoppingtipps anbietet. Keine Zeit für Schnickschnack. Ich will nach Asien, ich und tausend Andere. Auf dem Schiff regnet es Sesamkringelbröckchen von der oberen Etage, das Möwenballett gibt eine Extra-Vorstellung.

Auf ein Dürüm in Kadiköy
Auf ein Dürüm in Kadiköy

Für ein Tavuk Dürüm nach Asien also. Die Plätze in den Lokalen am Kai sind begehrt, ja umkämpft. Alle warten wie die Geier davor, daneben, zwischen den Tischen. Dann finde ich ein Plätzchen. Es wird geraucht, viel geraucht, ich bin in Istanbul.

Dürüm im Anflug

Zum Dürüm bestelle ich Ayran, doch dann stellt mir der Çayci einen Tee hin, und der Kellner missversteht mich. Das Ayran im original Plastikbecher kommt nicht mehr, was soll’s. Während des Wartens mit Blick auf den Bosporus und eine teppichartige Tischdecke bin ich drauf und dran, einen der mich umgebenden Raucher anzuschnorren. Doch dann kommt das Dürüm angeflogen.

Fliegender Händler am Ufer
Fliegender Händler am Ufer

Ich lausche dem Mann, der hingebungsvoll über seinem Instrument, einer orientalischen Kastenzither hängt, dem Kanun. Ein Stück weiter spielt eine junge Folkloregruppe auf, Kadiköy ist voller Musik, hier am Wasser.

Im Minutentakt legen die Fähren in sämtliche Richtungen ab: Adalar, Eminönü, Karaköy. Und Bosporustouren gibt’s schon für 12 Lira. Ich fahre zurück nach Kabataş, ganz nah am Leanderturm vorbei, ebenfalls im samstäglichen Belagerungszustand.

Asiatische Perspektive
Asiatische Perspektive

Und am Abend sagt mir der Blick in den Spiegel, was zwei Istanbuler in der Metro so belustigt hat: Ich sehe aus wie ein Granatapfel.

Text und Fotos: Elke Weiler

16 thoughts on “Der Orient, heilige Sophia!

    1. Leider nicht, das hab ich dieses Mal nicht geschafft. Also für nächstes Mal (ich hoffe, das dauert nicht zu lang ;-) ) ist schon jetzt quasi volles Programm, mit Wasserpfeife, Hamam, Museum der Unschuld… Allerdings bin ich am letzten Tag noch ins Istanbul Modern – warst du da auch?

  1. Moin, moin. Ich habe den Artikel gerade zufällig bei Twitter entdeckt und gleich mal meinen Türkei-Freunden weiter empfohlen. Sehr schöne Bilder und ein schöner Bericht aus einer sehr schönen Stadt! Danke.

  2. Wieder einmal ein sehr guter Beitrag, Elke! Es ist echt unglaublich, wie viel Mühe du dir machst, um von deinen Reisen zu erzählen! Respect.

  3. Hallo Elke, eine Gleichgtesinnte fand ich in Dir. Istanbul – eine tolle Stadt. Kürzlich traf ich zwei Menschen, die meinten, es Istanbul wäre nichts los. Ich konnte sie auf meine Artikel in meinem Blog verweisen.

  4. sehr schöner Bericht! Und wie du schon sagst: „Nun raubt die Hagia Sophia mir den Atem, übertrifft all meine Erwartungen.“ Genau so habe ich es auch empfunden! Ich war schon hin und wieder in Istanbul, habe es aber erst im letzten Sommer dann mal geschafft, die Hagia Sophia zu besuchen. Ein Erlebnis der besonderen Art! Mit nichts zu vergleichen. Als Fotograf läuft man da schnell Gefahr, den ganzen Tag dort zu verbringen… ;-)

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