Küsse in Helsingør

Helsingør ist der Nacken Dänemarks. Die kleine Stadt liegt an der schmalsten Stelle des Øresunds – eine Meerenge wie ein langer Hals. Und das steckt im Wort Helsingør auch drin.

Nach Schweden können wir hier locker hinüber winken. Ich lasse mir den Wind auf Schloss Kronborg um die Nase wehen, vier Kilometer sind es von hier bis zum Nachbarland. Ewig könnte ich hier stehenbleiben und den weißen Seglern im Sund zuschauen. Mich fragen, ob man in Helsingborg auf der anderen Seite wohl genauso sehnsüchtig aufs Wasser blickt.

Um mich herum winken immer noch die Kanonen Richtung Schweden, denn zwischen den Nachbarn lief es nicht immer so gut wie jetzt. Die Dänin Karin Mansson weiß das gut, denn die Geschichte der Region ist ihr Steckenpferd. Und sie ist ganz begeistert von dieser mittelalterlichen Festung und dem Renaissanceschloss.

Ebenso Shakespeare, denn er ließ seinen Hamlet hier spielen. Heute überbrückt die Fähre im 20-Minuten-Takt eine Distanz von acht Kilometern von Hafen zu Hafen. Und sowohl Dänen als auch Schweden machen gerne davon Gebrauch.

„Shoppen in Helsingborg. Aber manchmal fahren wir auch einfach hin und her, mehrmals“, meint Nicolai Stubtoft grinsend. Wir müssen das nicht verrückt finden, denn wir werden es selber noch ausprobieren.

Eigentlich arbeitet der lustige Mann direkt am Wasser, in einer Hostel-Camping-Anlage. Und doch, die Sehnsucht ist immer da. Gerade, wenn du das Meer täglich siehst. Jetzt stehen wir erst einmal auf der dänischen Seite und ziehen mit Karin Mansson durch die Gassen von Helsingør.

Die Farben von Helsingør

Wichtig erscheint ihr, uns auch die kulinarischen Aspekte näherzubringen. Also fallen wir in die älteste Konditorei Dänemarks ein. Møllers existiert schon seit 1811 und war zunächst Hotel, Café und Restaurant. Seit 1855 dann Konditorei. Alle Gäste, die hineinkommen, kriegen einen Kuss vom Chef.

Der 76jährige Aage Beck verteilt nämlich Baisers, eine seiner Spezialitäten. Leicht und luftig ist dieser Kuss, im Gegensatz zur anderen Spezialität des Hauses, ein Biskuitteig mit Creme und Marzipanhülle, die dem Ganzen ein kartoffelartiges Äußeres gibt: Potatisbakelse.

„In Schweden gibt es etwas Ähnliches, das Prinzessinengebäck“, weiß Aage. Bei Møllers stellen sie die Kartoffeln schon seit 65 Jahren her. Eigentlich sind wir nach so einer Marzipan-Creme-Bombe satt, doch der Bäcker tischt noch sein komplettes Smørrebrød-Angebot auf. Hoffnungslos richten sich die Blicke auf den männlichen Teil der Truppe: Sie werden es schon schaffen.

Schön selbst die Straßenschilder.

So schleift Karin Mansson uns als gefühlte „Potatisbakelse“ weiter durch die City, Møllers Bageri & Konditori liegt mittig in der Fußgängerzone. Die Sonne hat sich einen Weg durch die Wolkendecke gebahnt, und unsere Begleiterin scheint ganz Helsingør zu grüßen. Ob wir Käse probieren wollten?

Vermutlich hat Karin Smørrebrød und Gebäck schon wieder ad acta gelegt. Dankend lehnen wir ab und sehen uns weitere kulinarische Dinge nur noch von außen an. Doch wir profitieren noch von Karins Kenntnissen und Connections.

Uns fällt auf, dass viele der hübschen Gässchen zum Wasser hinführen. Und sie sagt, dass diese Straßen einst in Brücken übergingen, von denen die Seeleute und Fährmänner auf ihre Schiffe stiegen. Schon im 13. Jahrhundert existierte der Ort und war als Fischerdorf von Bedeutung.

Ein bisschen Stadtgeschichte.

Heute zählt Helsingør über 60.000 Einwohner und außer Karin, Nicolai und Aage lernen wir noch weitere kennen. Denn Karin will uns eine Besonderheit der Stadt zeigen, eine sehr sympathische. Die Innenhöfe. Dafür spricht sie einfach eine Frau an, ob wir ins Innere des Hauses dürfen.

„Kennst du sie?“, wollen wir wissen, denn wir dürfen sofort hinein. „Nein.“ Karin hat eine Mission. „Die Dänen sind so freundlich“, meint sie. „Besonders in Helsingør.“ Je hübscher die Stadt, desto netter die Leute? Eine These.

Begeistert entdecken wir ein Netz aus grünen Innenhöfen, dass die Bewohner verschiedener Häuser in der warmen Jahreszeit zusammenführt. Hier wird erzählt, gegrillt, gefeiert. Die Anwohner spazieren auch gerne durch die Gärten, um einen Weg abzukürzen. Dänemark erscheint mir an dieser Stelle mal wieder so richtig hyggelig. Das Lieblingswort für einen Zustand zwischen Gemütlichkeit, Geborgenheit und Niedlichkeit.

Hinterhof-Stories

Uns ist schon klar, dass die Dänen als gesellig gelten, doch kann so viel Nähe nicht auch zum Problem werden – inmitten all dieser Beschaulichkeit? Was tut sich hinter den Hortensienbüschen? Welche Dramen spielen sich in Helsingør ab – außer Hamlets? Karin lächelt nur. Sie weiß mehr.

Neben den Fachwerkhäusern, Höfen und Gärten des Stadtkerns existiert noch ein anderes Helsingør. Wir laufen zum Hafen. Die ehemalige Schiffswerft, natürlich aus Backstein, wurde erweitert, mit einer prismenartigen Glasarchitektur kombiniert und als Kulturværftet wiedergeboren. Im Innern heute Museum, Bibliothek und Konzertsaal.

Zu unserer Freude können wir nicht nur diverse Dinge ausprobieren, wie etwa die Sessel, die sich in alle Richtungen drehen, uns aber dabei gar nicht hinunterwerfen. Es gibt sogar freies W-Lan. Was will man mehr?

Han am Wasser

Jetzt müssen wir IHN noch sehen. Han ist nämlich das männliche Gegenstück zur Kleinen Meerjungfer im gar nicht so weit entfernten Kopenhagen. Die androgyn wirkende Figur aus blitzeblankem Stahl spiegelt ihre Umgebung leicht verformt wieder. Was lustig ist, wenn man davor steht.

Wer sich beim Fotografieren jedoch hinauslehnen will, muss aufpassen. Denn Han sitzt nah am Wasser. Wenn ich dem Jüngling in die gläsernen Augen schaue, gruselt es mich ein bisschen. Blinzelt er? Karin erzählt uns, dass der Skulptur anfangs nicht gerade die Herzen der Helsingører zugeflogen sind.

Ohrenquallen und Seewölfe sind mir wesentlich sympathischer. Wenn wir hier schon so maritim unterwegs sind, muss auch ein Stopp im Øresundsakvariet drin sein. Alles, was in der Meerenge kreuscht und fleuscht, findet sich in diesem Aquarium wieder.

Für ein bisschen Garten ist immer Platz.

Schollen, Eremitkrebse, Strandkrabben, gestreifte Leierfische. Große Petermännchen, die über den Sandboden robben. Tintenfische, Seeigel und Froschdorsche, die ihrem Singledasein frönen. So eine Schnorcheltour im Øresund würde mich interessieren. Im Sommer.

Unser Smørrebrød ist nach der Entdeckung Helsingørs ein bisschen gerutscht und lässt Platz für … Eis! Wie es der Zufall so will, kommen wir nämlich bei Brostæde Is vorbei, ein weiterer Traditionsladen. Dort schmeckt nicht nur das Eis furchtbar lecker, sondern auch die selbstgebackenen Waffeln.

Nun werden wir mit der Fähre den Katzensprung nach Schweden tun, wo man den Øresund übrigens Öresund schreibt. Mal schauen, was sie dort über die netten Nachbarn mit den Kanonen und so sagen.

Farvel, Helsingør!

Helsingør hat uns jedenfalls gut geschmeckt. Mit seinen Potatisbakelse, den warmen Tönen und bunten Höfen. Und vor allem dieser Moment der Überraschung, wenn man durch eine Gasse geht und plötzlich am Meer steht.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank auch an die Reederei Scandlines, die diese Øresund-Reise ermöglicht hat.

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