Nie ohne Schlagobers

Sonnenblume

„Zu viel Schlag“, konstatiert der junge Mann im Kellnerdress, als er mir meinen Einspänner vorsetzt. Ein Tröpfchen flüssige Sahne rinnt außen am Glas hinab. Innen die exakt gleiche Menge Kaffee wie Schlagobers, also ein Traum.

Mehrfach betone ich gegenüber der Kollegin Carolin von „Esel unterwegs“, dass der Einspänner ein wahres Wunder ist. Wir sitzen draußen im Prückel, ein Ringstraßencafé, das schon hundert Jahre auf dem Buckel hat. Eines von den Traditionshäusern also.

Wir haben uns eine Auszeit verdient, nachdem wir weite Strecken in der österreichischen Hauptstadt zurückgelegt haben. Carolin mit den Öffentlichen, ich mit dem Rad. Bis ins Strandbad der Alten Donau haben wir es geschafft.

Nun also etwas urtypisch Wienerisches: ein Besuch im Kaffeehaus. „Unbedingt französisch betonen!“, hatte mir mein Fahrradguide Gabriela nahegelegt. „Egal, wie du es schreibst, immer das E anheben.“ Irgendwo hier liegt der Grund dafür, dass selbst ein grantiger Wiener mit jenem sprachlichen Singsang süß und sonor klingt.

Kaiserschmarrn im Wien

Wenn er, also der Wiener, dich dann noch anzwinkert wie der Straßenbahnfahrer, dem ich die Vorfahrt ließ, oder gar lächelt, musst du aufpassen. Viele Charmeoffensiven haben in Kombination mit Palatschinken, Marillenknödeln und Kaiserschmarrn fatal geendet. Oder warum wohnen derzeit 180.000 Deutsche in Wien?

Ich tippe ja auf Einspänner und Konsorten. Vor dem Kaffee habe ich übrigens ein typisches Kaffeehaus-Special probiert, eines von diesen netten, kleinen Gerichten: Debrecziner, würzige Würstchen ungarischer Abstammung. Mit Schwein, Rind und viel Paprika. Knackig, saftig. Dazu frisch gerissener Kren und Senf.

Im Wiener Kaffeehaus

„Außerdem eine Semmel?“, wollte die Kollegin des Sahne-Kellners wissen. Ja, sollte ich die Würstchen denn ausschließlich mit Meerrettich verspeisen? Der naturgemäß so scharf ist, dass Brot allein aus diesem Grund eine lebenserhaltende Maßnahme bedeutet?!

Merke: In Wien musst du Brot immer extra bestellen, egal ob beim Salat mit Eierschwammerln oder wozu auch immer. Und eben zu den Würstchen. Nicht, dass es kein oder wenig Brot gäbe! Im Gegenteil. Absolut in sind sie, die kleinen Bäckereien. Am besten bio, teuer, famose Qualität. Die Kaisersemmel zu den Würstchen wirkt weitgehend normal und hat ihren Dienst getan. Denn der Kren, holla die Waldfee!

Debrecziner in Wien

Das Beste an einem solchen Zwischengericht ist: Es lässt Platz für eine der sagenumwobenen Mehlspeisen. Leider keine Marillenknödel im Angebot. Aber Apfelstrudel! Topfen! Warmer Milchrahmstrudel! Das Duett von Kaiser- und Griesschmarrn mit Zwetschgenröster macht das Rennen. Dazu der Einspänner, das ist der siebte Himmel.

Geradezu über den historischen Boden schwebend schaue ich mich ein wenig um: Das Café ist im Innern eine Mischung aus Jugendstil und 50er Jahre. Und das Treppengeländer! Ein Highlight für alle Anhänger des Floralen. Dann die Entdeckung am Ende der Treppe: Hier schlummert eine uralte Musikbox vor sich hin. Steht da einsam und verlassen in der Ecke.

An der Musikbox

Bis sich der Sahne-Kellner und ein Gast mittleren Alters davor aufbauen. „Darf man sie anwerfen?“, frage ich bei der Gelegenheit. „Aber natürlich“, meint der Ober, der dem anderen Gast eine kleine Einführung in die Funktionen gegeben hat. Zufällig habe ich ein 50 Cent-Stück in der Tasche, werfe es ein, drücke A und drehe am Rad.

Jugendstil im Kaffeehaus

Wie zwei Kinder stehen wir vor dem Gerät, der Mann, der so aussieht, als würde er nach dem Kaffeehaus gleich ins Theater gehen. Ich mit palmengemusterten Shorts, passend zum Treppengeländer, frisch aus dem Strandbad. Der Hebel wählt schließlich eine Scheibe aus, und es erklingt irgendetwas, das sich annähernd wie die Beatles anhört.

„Was ist das?“, wundere ich mich.
„Was haben Sie denn gewählt?“, die Gegenfrage des Herrn.
„Oscurità von Fausto Leali.“

Wir kommen überein, dass das Gewählte nicht dem Gehörten entspricht. Fachsimpeln. „Fausto Leali ist aus den 60ern, den kenne ich“, der Herr. Etwas in der Richtung hatte ich vermutet. „Ich habe wahrscheinlich zu viel und zu lange am Rad gedreht“, versuche ich das Fehlen von „Oscurità“ zu begründen.

Die Musikbox

Der Herr stimmt mir zu. Das habe die Musikbox wohl überfordert. Immer schön langsam beim Zurückdrehen der Zeit. Wir verabschieden uns. Einmütig lächelnd. In Wien wirst du als Nostalgiker furchtbar glücklich. Oder mit einem Einspänner.

Aber nie ohne Schlagobers – am besten einen Tick zu viel.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank an Wien Tourismus, die diese Reise unterstützt haben.

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