Mondsüchtig

Kühe waren die besseren Pferde. Sie interessierten sich stark für ihre Umwelt, hatten ein sehr gutes Reaktionvermögen und traten zum Rapport an, sobald man es wünschte. Und wie man es wünschte!

Wir waren umgezogen, und ich freute mich über die neugierigen Nachbarinnen. Monsieur nannte sie schlicht „die Mädels“. Auch Madame schien sie gern zu haben. Nur meine Art von Zuwendung verstand mal wieder kein Mensch. Nur Erpel Enzo!

Man ging soweit, mir den direkten Kontakt mit den Rindviechern zu untersagen. Ergo hing der Haussegen schief. Ein Glück, dass ich vor dem ganzen Schlamassel noch Urlaub genommen hatte. Die Tage im Hotel hatten mir gut getan.

Ein Golden Retriever war mein Gefährte für drei Tage gewesen. Das verrückte Spielen hatte er echt drauf. Himmelschafundmeer! Als Madame et Monsieur endlich wieder auf der Matte standen, hätte ich sie vor Freude fast umgeworfen, ihre Brillen von der Nase gerissen und die beiden mal so richtig sauber gemacht. Völlig jeck, wie die Rheinländerin zu sagen pflegt.

Doch nach den drei Tagen Party war ich eigentlich hundekaputt. Was für eine Erleichterung, dass ich in der ungewohnten Umgebung die meisten meiner geliebten Liegestätten wiederfand. So konnte ich nach dem Kurzurlaub mal so richtig relaxen, während mein Rudel verzweifelt versuchte, das Chaos rundherum zu beherrschen.

Hund im Watt
Wattstimmung

Eigentlich war ich die Spezialistin für solche Dinge, doch ich brauchte meinen Schönheitsschlaf. Da ich mir nun mit Madame das Büro teilte, lief die Zusammenarbeit wie im Traum. Auch sonst folgte ich ihr auf Schritt und Tritt. Nicht, dass ihr auf dem wilden Land etwas passierte! Nachher begegnete sie noch einem Fasan, und ich war nicht dabei!

Einmal trieb sie sich ohne meine Erlaubnis draußen herum. Also versuchte ich, mit den mir zu Verfügung stehenden Mitteln die Tür zu öffnen. Blöderweise ging der Schuss nach hinten los: Das Ding schlug zu! Hatte ich meine Madame ausgesperrt?

Ich jaulte, sie fluchte. Doch nichts passierte. Also beschloss ich, die Wartezeit mit einem Nickerchen zu überbrücken. Stunden später kam Madame mit Hilfe eines Werkellutschers wieder ins Haus. Hatte ich sie vermisst! Wusste ich’s doch: Man musste immer auf sie aufpassen!

Hund am Strand
St. Buddel ist das Beste

Das Beste an der neuen Bude war die geringe Entfernung zu St. Buddel. Madame führte mich an eine mir unbekannte Stelle – Böhl. Aber egal, dieses St. Buddel war einfach überall ein Traum. Wie ein sportives Gnu in der Serengeti sprang, hüpfte und flog ich über Wiesen und Watt. Selbst in der ersten Wirbelblätterzeit meines Lebens war der Strand fantastisch.

Ich wollte meine Freude mit einer sympathischen Spazierlutscherin teilen, doch sie war etwas überrascht von meiner stürmischen Aufwartung. Erwartungsgemäß fand sie mich trotzdem goldig. Auch als ich einen Fahrradlutscher stoppen wollte, der sich ungebührlich schnell über den Strandweg bewegte, verdarb Madame mir den Spaß. Einer musste doch etwas gegen Geschwindigkeitsübertretungen tun!

Das Meer hatte Pfützen hinterlassen, in denen sich die Wolken spiegelten. Chachaputi, ganz Wolkenfrau, sprang leichtfüßig und wattebauschweich darüber. War ich in einem früheren Leben ein Hase gewesen?

Überall suchten wir nach dem Meer und fanden es nicht. Plötzlich kam mir eine Erleuchtung! Es musste mit meinem fortgeschrittenen Alter zu tun haben, immerhin hatte ich schon zehn Monate auf dem Buckel.

Das Meer ist großzügig. Die Hälfte der Zeit überließ es uns seinen Boden, damit wir die genialsten Hüpfer darauf machen konnten.

Julchen hat eine Erleuchtung
Das Meer ist großzügig.

Ich fand diese Erkenntnis umwerfend. Doch Madame meinte, es hätte eigentlich mit dem Mond zu tun. Das erschien mir unlogisch. Warum sollte so ein großes Wasser einem so kleinen Himmelskörper hinterher rennen?

Nachts stand ich draußen und befragte die helle Sichel. Kein Kommentar. Ob die Mädels mehr wussten? Schließlich standen sie Tag und Nacht auf der Fenne und konnten die Sache ganz genau beobachten.

Oder folgten auch sie dem Mond? Sie waren immer in Bewegung…

Text: Julchen (nach Diktat einen Interviewtermin mit den Kühen anberaumt)
Fotos: Elke Weiler

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