Hemingway und die Fische

Lagune von Marano

Manchmal gegen Abend wirkt das Wasser der Lagune wie Milch. Immer noch schleichen kleine Boote zum Angeln hinaus, teilweise unbeleuchtet. Heimlich, wenn es dunkel wird, wenn die Lichter auf der anderen Seite glühen, die Lichter des alten Fischerdorfs Marano. Aber die Boote, warum schleichen sie im Dunkeln hinaus? Sie scheinen keine Lizenz zu haben.

Marano sei schön, erzählen sie bei Tisch, das Thema wechselnd. Als ehemalige venezianische Kolonie hätte es seinen eigenen Dialekt konserviert. Wie lange das schon her ist! Wie gerne ich einmal nach Marano fahren würde! Mit einem Boot. Denn eine Stadt vom Wasser aus zu erreichen, ist das Beste.

Während ich auf das opake Wasser der Lagune starre, landet auf meinem Teller gegrillte Bernsteinmakrele. Und zwar nach den obligatorischen Meeresfrüchten, nach den Spaghetti mit Thunfisch. Wir sind im Ristorante „Mare Chiaro“, klares Meer. Und zu guter Letzt schaut Giuseppe vorbei, der sizilianische Dessertchef: Wir müssen ihm zu der gekonnten Kombination mit Semifreddo gratulieren – es zergeht auf der Zunge.

Die Lagune am Abend

Am nächsten Morgen wartet ein Boot am Strand, das mich in die Lagune von Marano bringen soll. Ein Kontrast zum bunten Beachlife an der Adria, das ich bereits kennengelernt hatte. Nun also die andere, die stille Seite von Lignano Sabbiadoro.

Kniehoch reicht das Wasser

So früh am Tag plätschert das Meer leise vor sich hin. Skipper Giuseppe ist stolz auf das flach im Wasser liegende Spezialboot, das aus den USA stammt und seine Passagiere direkt am Strand einladen kann. Doch ein Stück müssen wir durchs Wasser waten. Kniehoch reicht uns das Meer, als wir das Boot erreichen und barfuß hineinklettern. Schuhe sind an Bord eh überflüssig.

Ein Projekt der 60er Jahre: die „Terrazza a Mare“

Die muschelförmigen Gebäude der „Terrazza a Mare“ werden immer kleiner am Horizont. Unser Ziel ist weniger mondän als dieses Architekturstück der 60er Jahre: Wir wollen der „Bilancia di Bepi“, einer der alten Fischerhütten, einen Besuch abstatten.

Einst wurden die „Casoni“ der Lagune aus Holz und Schilf gebaut, und zwar so raffiniert, dass der Rauch des Feuers im Winter abziehen konnte, ohne die Hütte abzufackeln. Die Fischer haben mehrere Monate im Jahr in der Einsamkeit verbracht. Es war einfach zu weit, um tagtäglich nach Hause zurückzurudern.

Beim Übergang vom Meer in die Lagune treffen wir auf eine Kolonie von Schwänen. Möwen, die vereinzelt auf Holzpfählen hocken. Ein Reiher im Tiefflug. Jener sichtbare ist nur ein kleiner Teil der gefiederten Bevölkerung des unter Naturschutz stehenden Gebietes. Das Schilf wird immer dichter, unsere Fahrt langsamer. Wir schweigen.

Eine Lautlosigkeit wie Poesie, nur das Rascheln im Schilf, nur die Stimmen der Vögel.

Doch plötzlich hängt ein Senknetz direkt vor uns, überspannt fast die gesamte Breite des Weges. Es handelt sich um eine noch funktionierende „Bilancia“, die sich zum Fischfang ins Wasser senken und heben lässt. „Elektrisch“, fügt Giuseppe hinzu. Das war zu Zeiten der Fischer anders. Dann ruft er laut nach Daniele, der irgendwo in oder hinter der zugehörigen Hütte stecken muss.

La bilancia die Bepi

Daniele Ciprian muss eine Art Glückspilz sein, hat er doch die „Bilancia“ von seinem Großvater geerbt. Ein einsamer Platz mitten in der Natur, den er nun bewirtschaften darf. Aber wo steckt er denn? Giuseppe versucht ihn zum wiederholten Male per Handy zu erreichen, als Daniele plötzlich seinen Wuschelkopf aus dem Fenster steckt.

„Ihr solltet anrufen!“, ruft er uns grußlos zu. Wir grinsen uns an, Giuseppe zählt die gescheiterten Versuche auf. Daniele weist uns zum Parken ein und verspricht Prosecco zum „fritto misto“, ein beliebtes Gericht an der Adria. Nur dass bei Daniele eben alles frisch aus dem Netz kommt.

Das Florida Italiens

Ich sehe mich ein wenig in der Bude um und treffe auf Ernest Hemingway. Vielmehr ein Schwarz-Weiß-Bild von ihm und einer seiner Frauen. Mit Widmung für Daniele, der hier und dort herumwuselt, aber scheinbar alles im Griff hat. Er klärt mich auf. Hemingways Enkel John hat sich nämlich im letzten Jahr nach Lignano begeben und bei der Gelegenheit diese Widmung für Daniele geschrieben. Denn ihre beiden Großväter, Bepi und Ernest, kannten sich persönlich. Damals, in den 50er Jahren.

Daniele und Hemingway

Wie es dazu kam? Hemingway hatte eine Nase für gute Orte. In den touristischen Anfängen von Lignano Sabbiadoro hatte der Schriftsteller sich hier in der Lagune das Fliegenfischen beibringen lassen. Er bezeichnete die Gegend als das „Florida Italiens“ und ließ sich angeblich auch für seine Arbeit inspirieren, unter anderem für den Roman „Der alte Mann und das Meer“.

Daniele, selbst ein hellwacher und auf charmante Weise chaotischer Mann, flüstert mir zu, Hemingway hätte hier eine „storia“, eine Geschichte, mit einer Frau aus der Gegend gehabt. Im Buch „Lignano Sabbiadoro – zwischen Himmel und Meer“ heißt es allerdings, dass diese „storia“ eher platonischer Natur war. Immerhin hatte Hemingway sich mal wieder wahnsinnig verliebt.

Das Fritto misto von Daniele ist eines der besten, die ich je gegessen habe. Wenn nicht das Beste. Die Lagune vor Bepis Hütte speist sich aus Süß- und Salzwasser. „So haben wir alle Sorten von Fischen“, meint Daniele. Wir probieren Sardinen, Meeräschen und Makrelen. Den Prosecco bezieht Daniele von einem Agrotourismus im Hinterland.

Winter in Marano

Er begleitet uns noch per Boot zu den anderen Hütten, die sich wie Vermächtnisse alter Zeiten aus dem Schilf der Lagune erheben. Eine davon ist leider den Flammen zum Opfer gefallen. „Die Fischer brauchten das Feuer im Winter gegen die feuchte Kälte“, erzählt Daniele. „Sie haben es ständig auf kleiner Flamme gehalten und so den Funkensprung vermieden.“

Hütten aus Holz und Schilf
Hütten aus Holz und Schilf

Es gibt Leute, die die Lagune im Winter am schönsten finden. Sie wohnen in den Hütten, wenn sich satter Nebel übers Schilf legt und die Feuchtigkeit in alle Ritzen kriecht. Nicht so Daniele, der mir verrät, dass er seine Winter auf Tobago verbringt, wo er sich wie hier im Tourismus verdingt. Er braucht Wärme, das ganze Jahr über.

Langsam machen wir uns auf den Rückweg, lassen die Stille der Lagune hinter uns. Der magische Moment, wenn das Boot aufs Meer hinaus fährt. „Die Wellen, der Duft des Meeres“, schwärmt Skipper Giuseppe begeistert. Wir schweigen einstimmig. Lignano hat eben beides, die Lagune und das Meer.

Text und Fotos: Elke Weiler

Schön wars!
Ciao, a presto!

Mit Dank an Lignano Sabbiadoro Marketing, die meine Reise ermöglicht haben und mir die schönsten Seiten der Gegend gezeigt haben. Der Ausflug in die Lagune wird von Boat Tours Lignano angeboten.

10 thoughts on “Hemingway und die Fische

  1. Belissima. Ein echt klasse Bericht. Gerade für mich als Italienfan. Wir waren gerade in den Marken. Land, Sprache, Essen, Menschen…. einfach nur schön.

  2. Was für ein toller Artikel. Ich liebe Hemingways Der alte Mann und das Meer – wenn er sich dort hat inspirieren lassen, dann MUSS ich da einfach mal hin. :) Aber auch alles andere, was du schreibst, ist sehr verlockend. Im Defereggental Hotel hab ich meine Liebe zu italienischem Essen entdeckt, das ist schon witzig.:D

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