Winterwonnen

Landleben
Landleben
Allein unter Kühen

In Nordfriesland

Auf dem steinigen Weg zum Landei habe ich bereits einige Hürden genommen. Doch wie sieht es konkret aus – nach mehreren Jahren zwischen Schafen und Kühen? Habe ich wirklich schon den Titel „Advanced Landei“ verdient?

Sichere Hinweise kommen allein aus der näheren Umgebung. Zum Beispiel, wenn dir die Schafe antworten. Wenn du weißt, dass die Kühe grundsätzlich nie antworten. Versuche auf keinen Fall, dich durch häufiges Reisen mit extra Sonne zu versorgen und von deiner Realität zu Hause abzulenken. So klappt das nie!

1. Jedes Jahr im Winter wird dir klarer, dass du ein Sommerkind bist. Schließlich hast du dir den Hochsommer als ideale Zeit ausgesucht, auf die Erde zu kommen. Deine wachsende Abneigung gegenüber dem Winter liegt nicht an Minustemperaturen, darüber würdest du dich eher freuen. Nein, du vermisst das Licht. Beleuchtete Gehwege und Straßen können Wunder wirken, hast du aber nicht.

2. Am besten, du machst das Licht an. Sei pragmatisch, es nutzt nichts, den Cafés, Programmkinos und Straßenlaternen der Stadt nachzutrauern. Schau dir einfach die Sterne an, falls der Himmel ausnahmsweise mal klar sein sollte. So etwas siehst du in der Big City nie, höchstens mal einen Mond. Advanced Landei: Kerzen, Kaffee, Kuchen. Oder was glaubst du, warum sie in Nordfriesland diese höllisch leckeren Sahnetorten fabrizieren?

3. Der Winter bringt Ruhe mit sich. Es sind kaum noch Touristen auf den Straßen. Nichts. Kaum Spaziergänger und gar keine Radfahrer, du wohnst schließlich nicht in Skandinavien mit seiner ganzen Infrastruktur für Radler. Vom Auto bist du 100 Prozent abhängig. Das Advanced Landei steigt ab und an aufs Pferd. Möglicherweise hat es auch einen Esel zu Haus.

4. Alles kann passieren. Wenn mitten in der Nacht eine Art nostalgisches Wohnmobil quer auf einer sogenannten Deichautobahn steht – richtige Autobahnen gibt es in Nordfriesland nicht, deshalb sucht man den Kick auf den schmalen Sommerdeichen – wundere dich nicht. Bremse rechtzeitig und warte auf ein menschliches Wesen, dass dir die ganze Chose erklärt.

5. Keine Sorge. Wie du nach einer Minute des Zweifelns noch erkannt hast, handelt es sich nicht um ein Ufo. Ein menschliches Wesen taucht tatsächlich aus dem Nichts auf (das Wohnmobil ist leer), duzt dich und erzählt, dass es sich ein bisschen festgefahren hat. Der Matsch am Rand! Es rät dir daher lieber umzudrehen, als beim Ausweichen seitlich den Marschboden zu streifen. Advanced Landei: Du schätzt die Sache richtig ein, wenn du langsam, aber bestimmt und nur kurz den aufgeschwemmten Rand berührst. Du hast es wie immer eilig.

6. Bei vorherrschendem winterlichen Matschwetter sind die Ränder der Deichautobahnen zu meiden – vor allem mit Tempo. Das hat schon einige Kisten unfreiwillig in den Graben befördert, kein Witz. Winterreifen helfen da auch nicht mehr. Die Krönung: Ein Lastwagen hat eine tiefe Rille in die Seite gefahren, die bei Dauerregen vollläuft.

7. Horte Vorräte und bleibe bei Dauerregen oder -nebel zu Hause. Poste nur ab und zu ein Nebelfoto auf Instagram, der Erfolg wird mit dir sein. Fast wie beim Sonnenuntergang, wenn nicht noch krasser. #fogstagram

8. Falls du doch hinausgehen musst, zum Beispiel wegen der Hunde, denke erst gar nicht an normales Schuhwerk oder schicke Winterstiefel. Dein Ganzjahres-Accessoire auf dem Land sind Gummistiefel. Wundere dich nicht, wenn du plötzlich mehrere von der Gattung im Flur stehen hast. Das Advanced Landei pflegt seine Gummistiefel, weil sie sonst nach einem halben Jahr hinüber sind.

9. Motte die Alltagskleidung bis zum nächsten Besuch in der Zivilisation ein. Ernsthaft! Motten sind hinterlistige, gemeine Wesen. Vergiss die Frisur. Du stehst auf Mütze, Regenjacke und Gummistiefel. Alles abwaschbar – wegen hüpfender, sogenannter Flummihunde. Und egal, ob für Strand, Priel oder Matsch – das Ganzkörperkondom ist dein idealer Begleiter in allen Lebenslagen. Das Advanced Landei würde hierzu einen Extra-Post schreiben.

10. Widme dich ab und zu den Fenstern und Böden deiner Bude, sie haben es bitter nötig. Im Winter könntest du dich wegen des Dauerschmutzes im Dauergrau quasi 24 Stunden mit Saubermachen beschäftigen, wenn du wegen der Dunkelheit nicht mindestens 14 Stunden schlafen müsstest. Das Advanced Landei lässt ein bisschen Abwechslung bei der Art des Bodenbelags zu. Marschboden haftet bombig, Sand hingegen verteilt sich optimal bis in die Möbelritzen.

11. Bevor du draußen Wäsche aufhängst, vergewissere dich, ob der Bauer Gülle verteilt. Das Gute am Winter: Ackergülle ist von November bis Januar quasi ausgeschlossen. Obacht, wenn der Frühling kommt, du musst darauf gefasst sein, extrem schnell zu handeln. Alle Fenster zu! Denn es reicht, wenn der eine Hund nach Gülle duftet, der sich aus Prinzip und bei jedem Wetter draußen aufhält und den du nur mit angestrengter Autorität vom Gegenteil überzeugen kannst.

12. Denke nicht, ein Ufo wäre gelandet, wenn du morgens um fünf einen Höllenlärm hörst. Der Bauer hat sich eines dieser Geräte mit unsäglich breiten Reifen und Star Wars-kompatiblen Aufbauten ausgeliehen, die die Deichautobahn in der gesamten Breite ausfüllen. Vertraue auf die hohe Wahrscheinlichkeit, dass er damit nicht dein Haus platt walzt, sondern das Gerät seiner natürlichen Bestimmung entsprechend auf dem Feld einsetzt.

13. Ufos – ein gutes Thema! Schon ein Taxi kommt dir auf dem Land exotisch vor. Nur wirklich selten verirren sich Taxis in diese Gegend und können daher leicht für etwas Anderes gehalten werden. Vergleiche die Situation auf keinen Fall mit Rio de Janeiro, wo Taxis ausschließlich im Pulk über breite Straßen düsen.

14. Wenn du gerne Natur und Nichts fotografierst, gibt es viel zu tun. Zum einen wegen des Dauernebels. Dann der endlose Strand. Last but not least werden Schafe und Kühe zu deinen Lieblingsmodellen avancieren, sie zeichnen sich durch ihre hohe Verfügbarkeit auf den Fennen Nordfrieslands aus.

15. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass du neben Schafen und Kühen auch andere Tiere triffst. Die Fennen wirken weit und leer, sind jedoch stärker bevölkert, als du denkst. Ein Hasenpaar im Abendlicht, ein paar Rehe hinterm Haus. Du lebst auf dem Land, wenn dir eher ein Bisam auf der Straße entgegenkommt, das Maul voller Grashalme, als ein Spaziergänger.

16. Und wenn die Hunde als zertifizierte Alarmanlagen simultan bellen, ist irgendetwas los. Eigentlich ist immer irgendetwas los. Manchmal kommt ein Igel vorbei – Frechheit! Häufiger der Postbote und die Müllabfuhr. Ist letzteres der Fall, sei gewiss, dass man durch freundliches Hupen gegenüber den Hunden seine Aufwartung und Anerkennung zeigt.

17. Denke nicht, im Winter führe keiner in Nordfriesland ein motorisiertes Zweirad, und der auf Motorräder fixierte Hund kommt ein bisschen zur Ruhe. Mitnichten.

18. Wage nicht zu hoffen, im Winter käme keiner zu Besuch. Der echte Nordseefan kommt gerade bei Schietwetter. Er liebt Regen, der ins Gesicht peitscht, kann es kaum erwarten, das Ganzkörperkondom überzustreifen und im Nebel abzutauchen. Zur Not musst du ihn am endlosen Strand wieder herausfischen und zum Aufwärmen in sichere Gewässer, sprich in ein Café bringen, falls du ein geöffnetes findest.

19. Das perfekte Landei nutzt den endlosen Winter zum Schreiben. Im Idealfall entsteht dabei etwas Interessantes, Verrücktes, Bleibendes für die Nachwelt. Manchmal nur ein Blogpost. Manchmal ein Kuchen.

20. Das perfekte Landei wirst du nie.

ODER?

Text und Fotos: Elke Weiler

12 thoughts on “Winterwonnen

    1. Vom Alten Land geht’s Richtung Cuxhaven. 20 km davor liegt das wunderschöne Städtchen Otterndorf, das Tourismusbüro behauptet, es läge an der Nordsee, ich denke, es ist noch Niederelbe mit Blick aufs Meer… Trotzdem gefällt es uns immer wider gut dort im Haus am Uferweg bei Familie Reinke

  1. Elke, du ,Stratos,Julchen und Janni seid unsere Lieblings Landeier…. aber kommt uns gerne mal besuchen – ich bin heute …. wenn es hier nicht ganz soooooooooo ländlich ist zum Landei avanciert ! … drei ,vier Schritte aus der Tür und du stehst im Teuto – drölf Schritte und du bist inner Stadt.

  2. Bei einigen Punkten musste ich schon etwas schmunzeln! Dein Schreibstil ist toll. In Nordfriesland waren wir zwar noch nicht, aber dort soll es wohl super Reiterhöfe geben, stimmt das?

    Liebe Grüße
    Susanne

    1. Hallo Susanne, danke dir! Ehrlich gesagt, kenne ich mich mit den Reiterhöfen nicht so aus. Aber ich weiß, dass es einen in St. Peter-Dorf und einen in Böhl gibt, in Böhl kannst du mit dem Pferd auch an den Strand. Liebe Grüße, Elke

  3. Mich packt das Fernweh nach dem „nichts“ . Genieße die himmlische Ruhe des Nordens!, hier in der Stadt ist es nicht grade so toll, immer Hektik und lärm….

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