Am Wasser wohnen

Frisch ist die Luft an diesem Morgen in Stockholm, Ende August. Ich sitze am Kai in der Sonne und warte auf das Boot. In meinem Rücken die alte Mühle, ein imposanter Backsteinbau aus dem Jahr 1890, der unter Denkmalschutz steht. In 2007 schick restauriert, beherbergt das Gebäude nun Tagungsgäste und Touristen wie mich.

Auf dem turmähnlichen Mittelteil steht in Riesenlettern „Marina Tower“ und die Adresse, Saltsjöqvarn. Mein Hotel der letzten Nacht mit einer grandiosen Aussicht aufs Wasser bis zum Hafen Nybrohamnen, wo ich gestern ratlos stand. Dort, in Stockholms Mitte, legen die Wasserbusse und Sightseeing-Schiffe ab.

Und ich hatte auf der Website des Hotels gelesen, dass eine Fahrt übers Wasser einfach die passendste Art ist, am Saltsjöqvarns Kaj auf der Insel Nacka anzukommen. Gerne! Aber was las ich auf dem Schild der Fährlinie? Wenn du kein Ticket hat, musst du eines per Handy lösen. Problem!

Zum Greifen nah.

Also habe ich eine sympathische Stockholmerin gleich neben mir gefragt. Ja, bestätigt sie meine Vermutung, an Bord lässt sich normalerweise kein Ticket lösen. Und für das Handyticket braucht es einen Vertrag in Schweden, versteht sich. Es sind zwischen sieben und acht Uhr abends, und rundherum kein Automat, kein offenes Geschäft, kein Schalter.

Die Frau will wissen, wo ich herkomme, und folgert messerscharf, dass ich auf dem Weg zum Hotel bin. Der Koffer steht neben mir. Sie zeigt auf einen roten Backsteinbau im Hintergrund. Gut sichtbar, schaut man vorbei an Gröna Lund. Das Ziel liegt also zum Greifen nah, nur zwei Haltestellen mit dem Boot entfernt.

Muss ich ein Taxi nehmen und über Land einen enormen Umweg fahren? Nein. Sie bietet mir netterweise an, auf ihrem Ticket mitzureisen. Als das Boot kommt, frage ich den jungen Kontrolleur, ob ich ausnahmsweise ein Ticket lösen kann. Er verneint, und ich signalisiere meiner neuen Bekannten, dass der Notfall eingetreten ist.

Einmal zum Saltsjöqvarn Kaj, bitte!

Sie nimmt die Sache in die Hand, bespricht mit dem Bootsmann, wie weiter vorzugehen sei. Alles auf Schwedisch. Dann nickt er in meine Richtung: „It’s ok!“ Ich muss nicht zahlen. Ein Engel! Vielmehr zwei, denn ohne die Stockholmerin hätte es wohl nicht geklappt.

Die nächste Haltestelle ist also Gröna Lund, der Vergnügungspark der Stockholmer auf der Insel Djurgården. Wie eine Schlange, die zu viel und zu wild getanzt hat, scheint die Achterbahn in der Luft erstarrt zu sein. Vereinzelte Schreie hallen hinunter zum Boot. Typische Geräusche der Fahrgeschäfte. Fetzen von Musik.

Ein paar Minuten später bin ich am Ziel, bedanke mich noch einmal aufs Herzlichste bei allen beteiligten Rettern und steige strahlend aus. Stockholm ist wunderbar. Als Zugabe sitzt eine Möwe vor dem Backsteinbau am Saltsjöqvarns Kaj 25. Alles stimmt, Saltsjön und Stadt bei Sonnenuntergang.

Während ich die Szene für die Ewigkeit festhalte, sagt ein Mann etwas auf Schwedisch zu mir. Er ist amüsiert, ich lache zurück. Keine Ahnung, was er gemeint hat. Genießer-Möwe im Abendlicht oder so. Die Leute sind eben gut drauf hier, und die Möwen auch.

Dann diese Ruhe. Direkt am Wasser zu übernachten, bedeutet tief und fest zu schlafen. In einem großen, bequemen Bett. Morgens vom Tuten eines einlaufenden Kreuzfahrtschiffs geweckt zu werden. Quasi stundenlang zum Fenster heraus zu schauen, bis der Magen knurrt.

Die Taxiboote und Wasserbusse fahren schon eifrig hin und her, ich komme mir vor wie in Venedig. Nur sind die Farben im Norden klarer. Blau wie der Morgen. Nach dem viel zu reichhaltigen Frühstück – Buffets mit Brot und Teilchen frisch vom Bäcker überfordern mich meist – steige ich in eines der Boote. Und dieses Mal bin ich sogar stolze Besitzerin eines Tickets – gerade im Hotel am Wasser gekauft.

Wenn du am Wasser wohnst.

Text und Fotos: Elke Weiler

5 thoughts on “Am Wasser wohnen

  1. Hi Elke,

    toller Artikel. Ich werde mir das Hotel mal vormerken, wenn ich mal ein Wochenende nach Stockholm düse. Es gibt in dieser Stadt noch soooo viele Ecken, die ich noch nicht besucht habe.

    Grüße

    Heike

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