In den Gassen Genuas

Gasse

Es soll frisch sein in Genua, so der Captain. Beim Anflug reißt die Wolkendecke auf und gibt sekundenlang den Blick aufs Mittelmeer und die ligurische Küste frei. Kleine Ortschaften, orangerote Dächer, ein Hafen – alles eingefasst in dichtes Grün.

Und dann Genua. Ein Häusermeer, das sich längs der Küste ausbreitet. Dort, wo Platz ist, denn die ligurischen Alpen reichen bis ans Meer. Wir düsen über ein paar Riesenpötte hinweg und landen auf der einzigen ebenen Fläche – also fast im Meer.

Regennass die Landebahn, der Wetterbericht zuverlässig. Trotzdem verschonen uns die Frühlingskapriolen weitgehend auf dem Weg durch die Altstadt, zu den Strade Nuove. Dort sind sie, die Paläste der UNESCO-Liste. Genua zelebriert ein Wochenende lang sein Weltkulturerbe mit den „Rolli Days“.

In der Altstadt

Wozu der Aufwand? Was ist das Besondere an diesen Stadtpalästen? Der Name „Palazzi dei Rolli“ geht auf ein frühes klassifiziertes Unterkunftssystem zurück. Die einstige Seerepublik beherbergte illustre Gäste nämlich nicht im Hotel. Ursprünglich waren alle „Palazzi dei Rolli“ Prunkhäuser der Adelsfamilien, erbaut zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert, also späte Renaissance bis Manierismus.

Palazzi dei Rolli

Damals lief es für den Stadtstaat so richtig rund, Genua war auf dem Höhepunkt seiner Einflussnahme. Nach einer Liste, eben jenem „rollo“, nahmen die Familien ihre Staatsgäste zu Hause auf. So etwas wie ein frühes Couchsurfing im Luxussegment also. Für Kardinäle, Gouverneure, Botschafter.

Seit 2006 gelten die Palazzi nun als Weltkulturerbe, und einmal im Jahr zelebriert die Stadt ihre Rolli-Tage mit offenen Palästen, Führungen und Events. „No foto!“, bittet man mich im Palazzo di Giacomo e Lazzaro Spinola. Schade, denke ich, die Deckenfresken hätten sich gelohnt. Ma capisco, ich verstehe: Es ist einer der Paläste mit privater Nutzung.

Nach und nach lernen wir sie kennen, die prächtigen Häuser der Strade Nuove. Von außen, von innen. Mit ihren Fassaden, Gärten, Höfen, Fresken, opulenten Skulpturen und Kronleuchtern, mit ihren Rubens-Bildern und Spiegelsälen. Öffentlich oder privat genutzt, frisch renoviert oder mit Patina.

Kaffeepause?

42 sind es an der Zahl, und am Ende schwirrt mir der Kopf, auch wenn wir längst nicht alle gesehen haben und auch keine weiten Strecken zurücklegen mussten. „Das Schöne an Genua ist, dass man alles zu Fuß erreichen kann“, sagt die Kulturbeauftragte der Stadt, Carla Sibilla.

Über den Dächern von Genua

In einem Stadthaus werden wir sogar in eine private Maisonettewohnung eingeladen und großzügigerweise auf eine der typischen Dachterrassen gelassen. Ich bin neidisch, ganz ehrlich. Dieser Blick über die Dächer von Genua bis zum Hafen. Und weil mir auch die Inneneinrichtung der Wohnung gefällt: nach dem ganzen historischen Plüsch und Samt nun ein gelungener Mix aus Moderne, Tradition und Ethno-Stil.

Was hervorragend zu so einer multikulturellen Stadt wie Genua passt, die eben genau im Spannungsfeld dieser drei Komponenten steht. Leider vermitteln mir die Besitzer der für Genua perfekten Wohnung nicht den Eindruck, in absehbarer Zeit wegziehen zu wollen.

Wo Kakteen aus den Wänden wachsen.

Ich muss damit leben und tröste mich am Abend mit dem Blick aus „meinem“ Fenster im vierten Stock des Grand Hotel Savoia. Er reicht über die Piazza Acquaverde bis hin zu den Kreuzfahrtschiffen, die im Tagesrhythmus kommen und gehen.

Der Duft der Foccacia

In den Gassen liegt der Duft der Foccaccia, als ich am nächsten Tag mit dem britischen Kollegen William und der Genueserin Cristina durch die Altstadt streife. Im Prinzip gibt es drei Sorten: Einmal die einfache Foccaccia, die als Brotersatz genutzt und schon zum Frühstück gereicht wird.

Recht deftig so früh am Tag, der Hefeteig mit Olivenöl, Kräutern und Salz, doch ich mag’s. Die ganz Harten tauchen die „fugazza“ sogar in den Cappuccino. Va bene, aber nicht für mich.

Köstlich als Mittagssnack ist die „foccaccia con formaggio“. Der Kuhkäse Stracchino muss dafür herhalten, weil er gut zerläuft. „Am liebsten mag ich Foccaccia mit Zwiebeln“, gibt Cristina zu, die uns den Genueser Lifestyle näherbringen will.

Doch die Hafenstadt hat nicht nur diesen einen, sie hat tausend Gerüche. Ich liebe es, durch ihre Gassen zu streifen, die voller kleiner Geschäfte sind. Hier riecht es nach Marokko, Senegal, Indien, Ecuador, nach Patschuli, scharfen Gewürzen und italienischem Kaffee.

William und Cristina

Wie die gewundenen Gassen einer Kasbah schlendert man hier, und mir fällt das Remake eines Songs ein, das vermutlich beste Remake aller Zeiten: „Rock el Casbah“ von Rachid Taha. Zuckt es da in den Hüften?

Händler stehen vor kleinen Geschäften, telefonieren, unterhalten sich in der Sprache ihres Landes und untereinander auf Italienisch. Ein Spaziergang durch Genuas Gassen kommt einer Reise um die Welt gleich. Zum Beispiel in der Via del Campo.

Zaghaft öffne ich die Tür eines kleinen Geschäfts, das von außen nicht sehr einladend auf mich wirkt. Hard Rock dringt aus dem Innern der „Music Hall“, und das gehört wohl auch zu ihren Hauptprodukten. Egal, ich frage nach Genueser Liedermachern, nach Francesco Baccini und Fabrizio De André.

Das Inhaber-Paar holt mir ihre letzte Compilation „in direzione ostinata e contrario“ aus dem Fenster. Sie werden gesprächig: „De André liebte die Via del Campo“, sagt der Mann. „Er wohnte zwar nicht hier, traf jedoch oft Freunde in einer Bar“, ergänzt die Frau.

Fabrizio De André

Sie legt das entsprechende Lied, Nummer drei der Compilation, auf: Faber, wie der Sänger liebevoll genannt wird, erzählt von seinen Beobachtungen in der „Via del Campo“. Wir reden gegen die Lautstärke an, denn die beiden drehen den leisen Faber genauso hoch wie Metall-Musik.

In den Gassen von Genua
Auszug eines Songtexts von De André

Was hat sich seit damals geändert, als De André das Lied schuf – in den 60er Jahren? Alles und nichts. Die Via ist immer noch die Straße der kleinen Leute, und vielleicht ist sie heute wieder so bunt wie zu Genuas Hochzeiten als Seefahrerrepublik.

Und doch hat sich viel getan seit den Feierlichkeiten für Cristoforo Colombo, dem berühmtesten Sohn der Stadt. Vor mehr als 20 Jahren hat Renzo Piano zu diesem Anlass den Alten Hafen neugestaltet, ohne die typische Hafenatmosphäre zu zerstören. Mit den neuen Strukturen wie dem „Bigo“ zitiert er ihre Formen, und alte Kräne blieben zur Deko stehen.

Sestiere del Molo

Es entstand das berühmte Aquarium, das heute zweitgrößte Europas. Die ehemaligen Baumwollhallen worden in die Kinderstadt „città dei bambini“ umgewandelt. Kolumbus‘ Vater war Wollweber, und Cristina zeigt uns sein Haus. Beziehungsweise das, was davon übrig blieb. Das Viertel Sestiere del Molo liegt unweit des Porto Antico.

Altes Viertel von Genua
Im Sestiere del Molo

Wäsche hängt vor den Fenstern, denn der Frühling ist da, die Temperatur liegt bei 20 °C. Ein Hauch von Wind weht durch das Quartier. Die Häuser schmal und hoch, Genua hatte eben immer ein Platzproblem. „Diese alten Häuser haben meist keine Aufzüge“, weiß Cristina.

„Wenn du hier beim Einkaufen den Zucker vergisst, ist das doppelt ärgerlich!“ Sie lacht. Um den Einkauf muss ich mich heute nicht kümmern, denn abends esse ich hafennah im „Il Veliero“, was Segelschiff bedeutet. Ein kleines Lokal mitten in der Altstadt, dem Genua der tausend Gesichter.

Pasta mit Pesto

Ich probiere „Cappon magro“, eine typische Vorspeise aus Fisch, Meeresfrüchten und Gemüse in Aspik. Natürlich muss ich auch frische Pasta mit dem original „pesto genovese“ testen. Und zum Nachtisch? Tiramisú! „La ricetta della nonna“, das Rezept der Oma also, verrät mir die nette Inhaberin und tippt sich auf die Wange. „Buono, eh?!“ Und wie. Dafür habe ich gerne auf den zweiten Gang verzichtet. Und sie wusste schon vorher, dass ich es nehme. Nur wusste ich nicht, warum sie es wusste.

Im Hafen von Genua
Der neue Hafen

Ein internationales Publikum im familiär geführten, Michelin-ausgezeichneten Restaurant. Flankiert werde ich von Schweizern und Südfranzosen. Letztere sind ebenfalls fertig mit dem Dessert und verhandeln mit der gut gelaunten Kellnerin – zwischen Französisch, Englisch und Italienisch hin und her jonglierend.

Einer der älteren Herren: „Ich weiß, dass die Italiener Cappuccino nur zum Frühstück trinken. Machen Sie mir trotzdem einen?“ Bei so viel Charme aus dem Nachbarland kann doch niemand Nein sagen!

Genua bei Nacht
Genova di notte

Ich drehe noch eine Runde durch den Hafen, und wieder liegt Musik in der Luft: „Il veliero“ von Lucio Battisti, der allerdings nicht aus Genua stammt. „Der Segler fährt und nimmt mich mit.“ Nein, ich bleibe. Wenigstens noch ein bisschen.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mille grazie an die APT „In Liguria“ und die Comune di Genova, die diese Reise ermöglicht haben.

Weiter geht es auf einen Ausflug nach Nervi, in die Parks, ans Meer.

11 thoughts on “In den Gassen Genuas

  1. Hallo,

    super toller Beitrag, da bekommt man doch Lust nach Genua zu reisen, wusste gar nicht, dass die Palazzi nun als Weltkulturerbe gelten! Vielen Dank für den interessanten Beitrag!

    Gruß Juri

  2. Genua hab ich ja bisher nicht gemocht. Obwohl ich es noch nie gesehen habe. Aber da gab es vor Jahren mal eine Geschichte mit einem Mann (den ich mochte) und einer Frau… die sich in Genua verliebten… Lange Geschichte… aber wenn ich das jetzt so sehe… Will ich da doch mal hin. Obwohl ich mir geschworden habe es nie zu tun. Ich danke dir, das du mit so einer tollen Stadt teilnimmst an der Parade…

  3. Oh ja, in Genua habe ich mein erstes Pesto alle Genovese gegessen – und es gehört zu den Dingen die als Notration nie, nie im Kühlschrank fehlen dürfen. Und die Stadt hat mir ausnehmend gut gefallen, am Meer, mit Stadt.Palazzi und ein wenig verlebtem Charme … und als Ausgangsort für die Entdeckung der ligurischen Küste ist Genua auch nicht zu verachten.

    Danke für das Zurückbringen der Erinnerung!

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