I go to Rio

Recherchereise | Tetenbüll – Hamburg – Paris. Bonjour, meine Schöne, ça va? Du hast so viel durchgemacht in der letzten Zeit. Doch der Reisedrang der Menschen scheint ungebrochen. Reisen ist Leben, Leben ist Reisen. An der Passkontrolle schaut der Mann auf meine Bordkarte und singt: „Rio de Janeiro“ sowie „Have a nice trip, Elke!“

Spätestens jetzt wird mir bewusst, dass alles real ist. Seitdem ich weiß, dass ich nach Rio de Janeiro komme, geht mir der alte Gassenhauer „I go to Rio“ nicht mehr aus dem Kopf. Peter Allen, im Hawaiihemd vor dem Klavier wippend, fetter 70er-Sound, der später mehrfach wiederbelebt wurde, etwa in „Ritmo de la Noche“.

Ich habe mal in einer Batucada-Gruppe gespielt und mich im Samba und Samba-Reggae versucht. Das war in Süddeutschland, bis Brasilien habe ich es noch nie geschafft, geschweige denn zum Zuckerhut. Der Mythos der 60er, Ipanema und die Copacabana – wie viel Glamour kann sich eine 10-Millionen-Metropole mit all ihren Problemen leisten?

I go to Rio
I go to Rio

Mythen leben ewig. Man folge ihrem Ruf, verbringe zwölf Stunden im Flieger, verfluche vor allem die letzten drei. Irgendwann wird der Bewegungsdrang so stark, dass auch der spaßige Agentenfilm aus den 60ern, eine Art Bond-Persiflage, nicht mehr abzulenken vermag. Und dann wohnt dieser Macho-Typ auch noch im Copacabana Palace! Eine Glamour-Hütte im Art Deco-Stil, die schon MM und BB beherbergt hat, leider noch nicht EW.

Welche sich mit einem Gläschen Champagner an Bord tröstet. Da ich seit drei Wochen auf vegetarische Küche stehe, habe ich vor Abflug dementsprechend geordert. Was für eine Auswahl! Es gibt sogar die Option „Hindi vegetarisch“. Das Veggie-Dasein schafft völlig neue Perspektiven – geradezu bereichernd mit Couscous und Bulgur an Bord. Allerdings bezweifele ich, dass es in Rio so weiter geht, im Land von Churrasco und Feijoada.

Und dann … Vorhang auf für ein Meer aus Häusern und Lichtern: Rio de Janeiro in der Dämmerung. Wo ist der Zuckerhut? Wir landen auf einer Insel. Eine endlose Schlange vor der Passkontrolle, am Ende wartet der Koffer schon neben dem Band. Und zwei Taxifahrer streiten sich gesittet um die Tour.

Drummond de Andrade
Rio ist, wenn du am Strand den Dichter Carlos Drummond de Andrade triffst.
Und er spricht von der Stadt, die ins Meer geschrieben wurde.

130 Reais bis ins Zentrum, eine halbe Stunde mit vielsprachigen Erklärungen zur Stadt. Wenn der Fahrer zum Guide mutiert und gute Stimmung machen will, weil er einen für Rio recht gesalzenen Preis nimmt. Ununterbrochen quasselt er, begeistert von seiner Stadt, gestoppt nur von seiner Frau, die mehrmals anruft. Und du sitzt daneben und denkst, du bist in einem Film.

Dieses Carioca-Brasilianisch! Klingt wie Käse, der warm über einem Stück Brot zerläuft. Gibt es eine samtigere Sprache auf dieser Welt? Jedes Mal, wenn wir einen Blick auf den erleuchteten Cristo erhaschen können, gibt uns der Fahrer ein Zeichen. In gleißend weißem Licht funkelt die Jugendstilfigur auf dem Berg. Jetzt weißt du mit hundertprozentiger Sicherheit, wo du bist. Rio de Janeiro.

Wir wohnen in Copacabana, privat, sagen wir dem Taxista. Er ist restlos begeistert. Dann wären wir doch viel näher dran, am Leben in Rio. Eine 22-Jährige mit cooler Frisur und tiefer Sängerinnenstimme zeigt uns die Wohnung im sechsten Stock, es gibt sogar eine Hängematte. Eines dieser typischen Copacabana-Hochhäuser, unten vergittert, Eingangshalle mit 24-Stunden-Portier, ohne den du die Haustür gar nicht aufkriegst.

Copacabana
In der Nachbarschaft

Dahinter führt ein steiler, dicht bewachsener Hügel weit über die Höhe des Hauses hinauf. Ein Hund bellt in der Nachbarschaft, leise Musik erklingt aus irgendeiner Wohnung. Ich bin müde, neugierig, aufgeregt, durstig. Ich fühle mich eingeengt im urbanen Raum, überfordert, völlig fertig. Es ist schön, endlich zu liegen.

Rio ist überall und doch weit weg. In meinem Traum. Der keiner ist, wie ich am nächsten Tag feststelle. Frühstück in einem kleinen Café, getoastetes Brot, frisch gepresster Orangensaft. Der Cappuccino ist vorgesüßt, igitt. Demnächst bestelle ich nur noch „café com leite“. Alle um mich herum sprechen fließend Portugiesisch.

Außer mir, eu não falo português! Dann halt mit Händen und Füßen, irgendwie funktioniert Verständigung immer. Wenn du die Mimik richtig interpretierst, und die Gesamtsituation. Nicole vom Freibeuter-Blog kommt ziemlich gut mit Spanisch durch, ich könnte es mit Italienisch versuchen.

At the Copa, Copacabana...
At the Copa, Copacabana…

Die Straße führt vom Berg zu den Palmen, geradewegs zum Strand. Das Flimmern des Meeres, dieses ganz spezielle Licht – wie eine Verheißung. Weil die Sonne nach ein paar Regentagen zurückgekehrt ist, zieht es alle hierher, nach Copacabana, Ipanema, Leblon. Der Atlantik, die Wellen, die Inseln. Kegelförmige Berge, die alle an den einen erinnern, den magischen Zuckerhut.

Es liegt Musik in der Luft. Cariocas auf dem Rad oder Skateboard, im typisch brasilianisch knappen Bikini, etwas anderes kannst du hier als Frau gar nicht kaufen, egal welche Figur. Kleidung ist grundsätzlich knapp bemessen. Auch die Gummilatschen, die hier erfunden wurden. Die suggerieren, dass man barfuß unterwegs ist.

Badende, die sich in die Wellen werfen, richtig zu schwimmen ist wegen der Strömungen kaum möglich. Frisch und aufbrausend der Atlantik. Ich bin karibisch verwöhnt: Saint Lucia, das ist doch erst drei Wochen her. Am besten wäre ich gleich in der Ecke geblieben.

Ipanema
Alle lieben Ipanema.

Verkäufer laufen zwischen Sonnenanbetern, Spielern und Selbstdarstellern hin und her: Hüte, bunte Tücher, Cocktails auf dem Tablett. Junge Leute, die joggen, trainieren, Fußball, Volleyball oder Strandtennis spielen. Die Meisten reden einfach nur. Es riecht nach Caipi, kleinen Dieselmotoren, Bratwurst, Frittiertem, Schweiß, Parfüm, Kokosöl. Und der Geruch des Meeres?

Die Generatoren der Barracas werden von Sonnenschirmen beschattet, Polizisten laufen in Shorts und mit Schlagstöcken durch die Gegend. Gerade in Ipanema, dem beliebtesten Strand der Cariocas, tauchen sie gerne und oft auf. Ich habe von den Schwärmen von Jungen gelesen, die sich blitzschnell auf die Dinge der Strandgänger stürzen, zugreifen und verschwinden.

Hier und jetzt nichts dergleichen. Ist Rio gefährlicher als andere Großstädte? Es kommt mir nicht so vor. Doch wer weiß, es ist ja mein erster Tag. Ich trinke eine Kokosnuss im Strandlokal. Samba ertönt aus einem Polizeiauto. Der Mythos bricht sich an der Wirklichkeit.

Kokosnüsse
Kokosnüsse – beliebter als Caipirinha

Rio de Janeiro ist so real wie meine Kokosnuss. Der Arpoador liegt zwischen Copacabana und Ipanema, später trifft man sich dort für den Sonnenuntergang. Rio zelebriert jede Minute, setzt sich in Szene, lebt den Moment. Man muss sich einfach nur hineinwerfen, mitten ins Leben.

Und eines kann ich jetzt schon verraten: Es dauert nicht lange, und du gehst nicht einfach über die Straßen der Stadt. Ihr Rhythmus zieht in deinen Körper ein. Bossa Nova, Samba… Scheinbar wandelst du im Takt, ganz wie im Lied des Mädchens von Ipanema. Betont, selbst mit Gummilatschen platziert du jeden Schritt, begleitet vom Hüftschwung. Auf schwarz-weiß gepflasterten Gehwegen, zwischen kleinen Hunden, die sich beim Gassi ankeifen.

Es ist Rio, kein Mythos, einfach Rio. Es ist Musik.

Samba am Strand

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank an Air France / KLM, die meinen Flug nach Rio de Janeiro unterstützt haben.

Schon bald geht es weiter mit Rio und Búzios!

17 thoughts on “I go to Rio

  1. Wunderbar beschrieben! „Dieses Carioca-Brasilianisch! Klingt wie Käse, der warm über einem Brot zerläuft. Gibt es eine samtigere Sprache auf dieser Welt?“ NEIN! Nur allein wegen dieser Sprache muss man nach Brasilien :-) LG, Mad

  2. Hallo Elke,
    Ich liebe Rio! Es ist schon so lang her, dass ich 2010 dort war und ich würde wahnsinnig gern mal wieder dort hin reisen. Rio ist magisch! Mein Geheimtipp ist übrigens das Museo do Indio, das fand ich großartig.
    Liebe Grüße,
    Natascha

    1. Danke, Natascha, das ist ein guter Tipp! Nächstes Mal steht’s auf der Liste, dann werde ich vermutlich in Santa Teresa wohnen. Warum, erzähle ich im nächsten Artikel!! :-) Liebe Grüße!!

  3. Ich war noch nie in Rio, aber es steht ganz weit oben auf meiner Wunschliste. :) Ich liebe es, wenn man in ein Land kommt und es wie ein Rhytmus Besitz von einem ergreift und man sich treiben lassen kann. So ganz anders, als zuhause. Ich habe es das letzte mal in Schottland gespürt, nach ein paar Tagen war ich komplett entschleunigt und viel freundlicher – so wie die Leute, denen ich dort begegnet bin eben. ;)

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