Lächeln wie die Etrusker

Schwefelquellen

Am Bolsena-See

Es liegt eine Ruhe über Bolsena, eine satte Ruhe. Das Kopfsteinpflaster ausgewaschen vom nächtlichen Regen, der Atem des Morgens frisch.

Nicht weit von Maria-Rita Provinciali’s Schmuckwarengeschäft klopft der See leise plätschernd an die Uferpromenade. „Die Tuscia ist heute wie gestern. Es hat sich seit den Etruskern nicht viel verändert“, meint die Schmuckdesignerin mit ernster Miene, und niemand im Raum widerspricht.

In der Auslage blinken handgearbeitete, edle Stücke, Silberkern mit Blattgold, sehr filigran. Schon seit mehr als 50 Jahren ziehen die Etrusker und ihr Schmuck die Signora Provinciali in ihren Bann. Stundenlang könnte sie darüber reden, so wie sie ihn früher geformt hat, jenen zartgliedrigen, feinen Schmuck. Allein ihre Hände machen heute nicht mehr mit.

Schmuck am Bolsena-See, Tuscia
Geschmückt wie die alten Etrusker

Hier, im nördlichen Latium, spricht man auch von der Tuscia. Ein Begriff, der sich zu römischen Zeiten ausbildete: Augustus deklinierte aus dem eroberten Etrurien die Verwaltungseinheiten Toscana, Tuscia und Umbria.

Tuscia, die Kulturlandschaft

Heute versteht sich die Tuscia als Kulturlandschaft, zu der auch angrenzende Teile der Regionen Toskana und Umbrien zählen. Das alte Etruskerkernland also. Es ist vulkanischen Ursprungs, ein fruchtbares Land mit mildem Klima und geschwungenen Hügellinien.

Damals wie heute prägt Landwirtschaft die Tuscia, immer noch werden Getreide, Wein und Oliven angebaut. Spuren der Etrusker finden sich auf Schritt und Tritt, viele Städte der Tuscia sind etruskischen Ursprungs.

In der Tuscia, Italien
Das Städtchen Bolsena

Doch nicht alle denken gerne dran. „Es gibt eine enorme Ignoranz der Leute hier, was die Etrusker betrifft“, meint Maria-Rita Provinciali. As da wäre die Geschichte eines Bauern, der auf seinem Acker archäologische Fundstücke entdeckte.

Rasch schüttete er alles wieder zu – aus Angst vor dem Zugriff der Fachleute. Ohnehin wird das Leben von der traditionellen Landwirtschaft und dem Fischfang in der Region immer schwieriger.

Etwas rumort, etwas ändert sich in der scheinbar satten Ruhe am Bolsenasee: Der Tourismus ist eingezogen, ein sanfter Tourismus. Familien mit Kindern kommen her, ruhesuchende Singles, Pärchen, Agrotourismus-Fans. So können die Gäste durch Olivenhaine laufen und dann in den glasklaren See springen, dessen Wasser früher von den Fischern gleich „mitgeangelt“ wurde – für die Suppe.

Fischer Paolo

Maria-Rita Provinciali hält ein kleines Boot in ihrer Hand, vergoldet, filigran. „Damit fuhren die Etrusker ihre Toten ins nächste Leben“, erzählt sie. Es ist das gleiche Modell, mit dem Paolo „il Pescatore“ jede Nacht auf den See hinaus fährt. Paolo der Fischer, wohnhaft am See mit seiner Frau und den zugelaufenen Katzen.

Paolo, der „Sbroscia“ für seine Gäste kocht, die Fischsuppe, die keine Suppe ist, da das geröstete Brot darin die Brühe fast aufsaugt. Paolo, dessen Augen strahlen, wenn er seine herzhafte Kreation serviert.

Fischer am Bolsena-See
Paolo kocht Sbroscia.

„Fangfrisch aus dem See kommen Schleie, Aal, Hecht, Barsch und ganz am Ende der wichtigste Fisch des Lago di Bolsena: die Maräne.“ Das alles holt Paolo an guten Tagen aus dem See, mit jener etruskischen Bootkonstruktion – vorne schmal, um die Wellen des Sees zu durchschneiden, hinten breit und stabil, eine ideale Arbeitsfläche für den Fischer. Den Fang filetiert und verkauft er, der Rest kommt in die Suppe.

„Niemals ohne Mentuccia!“ Paolo schnuppert an einem Zweig der Wilden Minze und gibt ihn den Freunden, bevor er anfängt, die „Sbroscia“ zu löffeln, unter dem Schilfdach am See.

Die Isola Bisentina

Weiter draußen lebt Mario, der Wächter der „Isola Bisentina“, mutterseelenallein mit zwei Hunden. Ab und an kommt eine Gruppe von Touristen auf die Insel, Eigentum der römischen Principessa Maria Angelica del Drago. Felder von lila blühender „Mentuccia“ überziehen das Kleinod, ein verwunschenes Stück Land. Inmitten des Sees herrscht ein anderes Mikroklima, es ist ein paar Grad wärmer, und die Vegetation typisch mediterran.

Wilde Olivenbäume zwischen Steineichen, Agaven, Feigenbäumen. Und irgendwie fühlt jeder Besucher der Bisentina ihre Besonderheit, die Magie des Ortes. Die Etrusker haben hier kaum sichtbare Spuren hinterlassen, doch eines ist gewiss: Der Lago di Bolsena mit der Isola Bisentina hatte kultische Bedeutung – so wie alle Seen des alten Etruriens, der Vico, Trasimeno, Bracciano.

So bleibt der Raum für Spekulationen groß, gab es doch bereits Theorien über die „Vie Cave“, unterirdische Verbindungen etruskischer Städte und ihrer Nekropolen: Die „Vie Cave“ ergäben scheinbar ein geometrisches Muster, in dessen Zentrum die Isola Bisentina läge.

Besser ist die Beweislage in Sachen Pasta – dank eines etruskischen Grabreliefs aus Cerveteri. Ein Nudelholz ist dort zu erkennen, und sogar ein gezahntes Rädchen zum Schneiden der Pasta.

Nudeln machen in der Tuscia
Nonna Liliana

Nonna Liliana auf ihrem Bauernhof mit Blick auf den Bolsena-See hat heutzutage allerdings andere Methoden bei der Nudelherstellung. Mit geübten Griffen kneten ihre kräftigen Hände den Teig aus Eiern und Mehl aus der Mühle des nahen Montefiascone. „Man muss ihn ausarbeiten“, sagt sie, lacht und wirft den Teig mit hörbarem Klatschen gegen das Holzbrett.

„Ich fühle es unter den Händen, wenn er glatt ist.“ Lilianas Nudelholz ist eine Art längerer Holzstock, sie rollt und rollt und rollt. Ihr Mann kommt herbei und bringt die „Chitarra“, das Wunderwerk für Tagliatelle. Liliana hat das Gerät von ihrer Schwester aus den Abruzzen und wenn sie daran zupft, bringt es tatsächlich gitarrenähnliche Geräusche hervor. Liliana rollt den flachen Teig über die „Chitarra“, und siehe da, er wird zu Tagliatelle.

Glückliche Schweine

Was im nahen Umbrien am Vorabend von Heiligabend auf den Tisch kommt, ist eigentlich ein etruskisches Rezept: „maccheroni con le noci“, Nudeln mit einer Soße aus Walnüssen, Honig, Paniermehl und Salz.

Mit Sicherheit aßen die Etrusker auch Schweinefleisch, denn sie zogen einen rustikalen, schwarz-weißen Typ heran, der ihnen von den Römern gerne abgekauft wurde. Diese Sorte mit dem heutigen Namen „Cinta Senese“ ist in der Toskana von einem Konsortium mit strengen Auflagen geschützt. Wer wie der Römer Paolo Zaccardi mit der „Cinta Senese“ liebäugelt, tut sich schwer.

Schweine am Bosena-See
Happy pigs

Zaccardi hat seinen gutbezahlten Job als Ingenieur an den Nagel gehängt, um fröhliche Bio-Schweine zu züchten. 10 Kilometer von Orvieto, bei Morrano, leben Muttertiere mit ihren Ferkeln in ordentlichen Reihenhäuschen mit Vorgarten.

Die übrigen Schweine sausen grunzend und zum Teil im Galopp durchs Areal. Es geht also auch ohne „Cinta Senese“. Auf 240 Tiere kommen 100 Hektar Fläche, Wiese, Wald und Olivenhain – langweilig wird es dort nie.

Das etruskische Lächeln

An diesem Morgen steigen Nebelschwaden aus den Tälern auf, und Paolo Zaccardi weiß, er hat mit dem Landstück einen Glücksgriff getan. Ein paar Schinken baumeln in seinem Weinkeller, denn wie fast jeder in der Tuscia baut er Wein und Oliven für den Eigenbedarf an. „Wäre doch interessant, wenn der Schinken ein bisschen vom Geschmack des Weines annehmen würde!“ Zaccardi strahlt, und es ist ein inneres Strahlen, hat er sich doch in der Tuscia einen Traum verwirklicht.

Das etruskische Lächeln hat den Schriftsteller José Luis Sampedro zu einem ganzen Roman inspiriert, das Lächeln eines etruskischen Ehepaares auf dem Terrakotta-Sarkophag im römischen Museum Villa Giulia. Nahmen sie den Tod leichter, weil sie das Leben als Zwischenstopp begriffen? Oder ging es ihnen einfach gut auf Erden? Ein gewisser Wohlstand war ihnen zumindest beschieden, auch durch den Export von Wein, Amphoren und hochwertiger Tonware.

Amphore alla etrusca
Terracotta at its best

Noch heute gilt die Gegend bei Castel Viscardo unweit des Bolsena-Sees als Hochburg der Terrakotta-Produktion. „Nicht mal die Florentiner mögen ihren Rotton noch“, sagt Domenico Fedeli grinsend. Dagegen sei das Zartrosa der Tuscia sehr angesagt.

Den Lehm bauen seine Leute gleich hinter dem Haus ab, er ist reich an Aluminium, was die Farbe ausmacht. Vasco Rossi singt im Radio „Ridere di te“, während die Männer den gebrannten „Cotto artigianale“ aus dem unterirdischen Ofen in einer Kette nach oben weiter reichen.

Die Platten sehen im fertigen Zustand antik aus, deswegen werden sie oft zur Restaurierung alter Bauernhäuser und Palazzi verlegt. So hat Fedeli unter anderem eben jene Villa Giulia in Rom restauriert. Terracotta für das Museo Nazionale Etrusco, eines meiner Lieblingshäuser in Rom. Natürlichkeit in den Kunstformen, leichter filigraner Schmuck. Und vor allem jenes inspirierende Lächeln des Ehepaares.

Meine Deutung: Sie lebten in der Tuscia und genossen es. Mit Pasta, Sbroscia und Vino.

Text und Fotos: Elke Weiler

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