Tanz der Schaumkronen

Auf wie viele Muscheln bin ich schon getreten, bevor ich die eine aufhebe? Die mit den Tigerfarbenstreifen kommt mit. Das Meer brandet, rauscht, rollt unaufhörlich über den hellen Sand von Juist. Und sämtliche Gäste der Insel scheinen sich zum Thalasso eingefunden zu haben.

Sprich: Man schlendert stundenlang am Meeressaum entlang, als gäbe es sonst nichts, als würde man die Welt damit retten, zumindest die eigene kleine. Gegen den Wind kämpfen und sich dabei etwas Gutes tun, so dicht am Meer, wo die Luft dermaßen gesund ist.

Jugendgruppen spielen Beachsoccer, lassen Drachen steigen, stehen zusammen und quasseln. Zeichen und Buchstaben im Sand, ein Reigen der Romantik, ein halbes Herz. Die Sonne scheint mir warm auf den Rücken, ich ziehe die Schuhe aus, werfe sie in den Sand und schlendere barfuß zum Wasser.

Heute morgen war ich schon vor dem Aufwachen unterwegs, um acht Uhr haben sich ein paar muntere Frühaufsteher beim Strandabgang vor dem Kurhaus getroffen. Da standen sie also, voller Tatendrang. Eine buntgemischte Gruppe, die Badesachen im Gepäck. Wild entschlossen.

Thalasso für Fortgeschrittene

Heute wird es passieren. Sie werden durch die tanzenden Schaumkronen waten und sich in die Fluten werfen. Thalasso-Therapeutin Tomke Wollert hat sie in den letzten Tagen soweit gebracht, Schritt für Schritt.

Der frühe Vogel
Der frühe Vogel macht Thalasso.

Erst mal aufwärmen und dann Tag für Tag ein Stück mehr entblättern, dem Wind preisgeben, ohne gleich mit den Zähnen zu klappern. Erst die Jacke ausziehen, dann den Pulli oder die Socken. Im Badeanzug herumspazieren oder mit den Füßen ins Wasser gehen.

Nun also der Höhepunkt. Ja, sie gehen alle ins Wasser. Und ich höre noch nicht mal Schreie! Entweder wird alles vom Meeresrauschen übertönt, oder in dieser Gruppe finden sich die Härtesten ever. Ich habe immerhin meine Jacke ausgezogen bei frischen zehn Grad Außentemperatur. Gefühlt höchstens fünf – wegen des Windes.

Aber einen Sinn muss das alles haben, sonst würden die Leute nicht in dieses mörderkalte Wasser hüpfen. Also was steckt hinter jener Therapie? Thalassa heißt auf Griechisch das Meer. Und wie schon jedes Kleinkind weiß, tut das Meer uns gut.

Gegen den Wind laufen

Vor allem an der Nordsee spricht man von einem sogenannten Reizklima, und besonders intensiv ist der Reiz vom Herbst bis zum Frühjahr. Wer das Klima nicht gewohnt sei, solle sich am ersten Tag besser im Dorf aufhalten, meint Tomke Wollert. Doch wer direkt am Meeressaum spaziert, inhaliert die Seesalz-Aerosole in der höchsten Konzentration.

Nur die Harten härten sich ab.
Nur die Harten härten sich ab.

Das sind feine Meerwasser-Teilchen in der Luft, aufgewirbelt vom Wind. Spurenelemente wie Jod und Mineralstoffe wie Magnesium. Letztendlich eine Mischung ähnlich dem menschlichen Blut und ordentlich Nährstoff für die Zellen.

„Wer gegen den Wind läuft, atmet tiefer und hat mehr Sauerstoff im Blut“, erklärt die Therapeutin. Und kriegt den Kopf frei, füge ich in Gedanken hinzu. Wind, Wellen und Weite reichen völlig aus. Der Grund, warum ich mich gerne mal in den Sand werfe und in den Himmel schaue. Dieses Blau.

Die Jungs und Mädels der Thalasso-Gruppe sind teilweise Wiederholungstäter. Sie bestätigen die Worte von Tomke Wollert: Dass die einwöchige Therapie den Stoffwechsel anregt, die Haut reiner macht, das Immunsystem stärkt. „Man bleibt das ganze Jahr gesund, auch wenn alle um einen herum erkältet sind.“

Das ist natürlich ein kurzes Bad im 11 Grad kalten Wasser wert. Sowie das tägliche Entblättern vor dem Höhepunkt der einwöchigen „Klimatherapie mit Kältereizen“. Doch sollte man es mit dem Abhärten nicht übertreiben. „Wenn das zweite Frieren einsetzt, die Haut fleckig wird, und der ganze Körper mit Gänsehaut überzogen ist, muss man sich schleunigst aufwärmen“, warnt Tomke Wollert.

Der Höhepunkt der Woche
Der Höhepunkt der Woche

Abtrocknen, umziehen. Der Körper versucht jetzt nämlich verzweifelt, die Durchblutung aufrecht zu erhalten. Am besten ist es, das Salz auf der Haut zu lassen, also nicht zu duschen. Hauptsache, raus aus den nassen Badesachen und rein in die trockenen Klamotten. Diese alte Strandweisheit gilt übrigens auch im Sommer.

Kneippen geht auch

Man zieht sich ganz ungeniert in der gemischten Gruppe um. Die Therapeutin erwähnt noch, dass Kinder und ältere Menschen nicht das rechte Kälteempfinden haben, da muss man natürlich höllisch aufpassen. Nach dem Bad fühlen sich alle ganz euphorisch und erhalten als Beweis fürs Mitmachen noch einen „Badepass“.

Barfuß am Beach
Schuhe allein unterwegs

Ich winke der munteren Truppe zum Abschied noch einmal zu und spaziere am Meer entlang zurück. Erst mal frühstücken. Und dann die kurze Hose anziehen, zurück zum Strand, Schuhe aus, im Meer kneippen. Ay, meine Füße fühlen sich an wie Eisklumpen. Klötze, die nicht zu mir gehören. Bevor sie abfallen, gehe ich lieber raus.

Rein, raus, rein, raus. Ähnlich wie im Kaltbadehaus in Malmö. Wie ist es eigentlich beim Wattwandern? Schlick auf der Haut, das ist doch Thalasso pur. Aber darüber erzähle ich später. Und über seltsame Begegnungen im Watt.

Über den gemeinen Bäumchenröhrenwurm – ein wackeres Kerlchen.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank an die Gemeinde Juist, die meine Reise auf die Insel unterstützt hat.

13 thoughts on “Tanz der Schaumkronen

  1. Ui, also Thalasso wäre ja nichts für mich. Viel zu kalt.

    Aber auf deinen Bericht zum Wattwandern freue ich mich schon sehr! Das habe ich hier nämlich noch immer nicht geschafft!!!

    Liebe Grüße!

    1. Ja, ich hab‘ mich auch leicht erkältet, obwohl ich nur mit den Füßen drin war! Aber die Anderen waren völlig begeistert von der Klimatherapie.
      Die Wattwanderung war klasse. Es ist ja nicht meine erste gewesen, trotzdem hab‘ ich wieder neue Tiere kennengelernt. :-)

      1. *lach* Hab mich auch ohne Fußthalasso erkältet ;)
        Mein Traum wäre ja eine Wattwanderung nach Norderney. Aber immer, wenn die von hier aus angeboten werden, muss ich arbeiten…
        LG
        Malika
        PS: Eine Tigerfarbenstreifenmuschel werde ich mal suchen. Hört sich hübsch an!

        1. Oh ja, so eine „Fernwattwanderung“ muss super sein. Gibt’s da keinen Priel dazwischen? Und wie lange braucht man für die Strecke? Liebe Grüße nach Norden von weiter nördlich!! ;-)

  2. Man wandert nicht von Norddeich direkt.
    Es gibt einen Wattwanderführer, der so Touren anbietet (bei den anderen habe ich noch nicht geschaut). Man trifft sich in Norddeich am Hafen, fährt mit dem Bus nach Neßmersiel und von dort geht die Wanderung dann ohne tiefe Priele nach Norderney los. Insgesamt dauert die Wanderung über 3 Stunden. Davon ca. 2,5 Stunden nur im Watt.
    Zurück fährt man von Norderney aus dann mit der Fähre.
    Viele Grüße aus dem Südwesten – sozusagen… von dir aus gesehen… :D

    1. Klingt gut! Ähnlich wie von Amrum nach Föhr zu wandern, das dauert auch drei bis dreieinhalb Stunden (vermutlich, weil sie dabei zwischendurch auch Würmer ausgraben), und man fährt mit dem Boot zurück. Muss ich auch mal machen… Sag‘ mal, baden sie da bei euch im Südwesten eigentlich auch manchmal im Schlick? Liebe Grüße!!!

  3. Nicht, dass ich wüsste…
    Bei Greetsiel gibt es aber jedes Jahr die Schlickschlittenrennen-Wältmeisterschaft (kein Schreibfehler). Dieses Jahr am 26.7.15.
    Ansonsten gibt es auf Norderney die Möglichkeit, sich mit Heilschlick einschmieren zu lassen :D
    Ansonsten steht es natürlich jedem frei, sich jederzeit im Watt zu suhlen ;)
    Liebe Grüße!

  4. Thalasso ist gut…Klimatherapie bringt aber wohl doch erst nach wochenlangem Aufenthalt etwas? Früher wurde sich 3 Wochen urlaubsmäßig am Meer aufgehalten und nun meinen wir, in 1 Woche…aber für eine entspannte Auszeit reichts allemal.

    1. Gute Frage! Die Leute, die diese sogenannte Klimatherapie mit Kältereizen über eine Woche mitgemacht haben, sind ja zum Teil Wiederholungstäter gewesen. Und sie schwören drauf, was die Abhärtung angeht.

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