Im Tal der Schmetterlinge

An jenem Morgen starten wir schon früh und kommen an einer ehemaligen Karawanserei vorbei. Ein Teil unserer Strecke zwischen Ortahisar und dem Ihlara-Tal deckt sich mit dem Verlauf der alten Seidenstraße. 30 bis 40 Kilometer legten die Karawanen am Tag zurück, ritten von Han zu Han. Pferde, Maultiere und vor allem Kamele zogen ein, beladen mit Stoffen, Gewürzen, Tee, Gold und Edelsteinen.

Doch um uns herum nur Stille.

Wir sind im Ağzıkara (Schwarzmund) Han aus dem 13. Jahrhundert, mit einer kleinen Moschee in Form eines Pavillons in der Mitte, rundherum Kolonnaden und Herbergsräume. So war eine Karawanserei zugleich Festung und Hotel mit „all inclusive“, wozu neben der Verpflegung von Mensch und Tier auch die Versorgung mit Medizin, Schuhen und Kleidung zählte. Der Hamam lud ein, und der Märchenerzähler mimte den Entertainer am Abend. Bis zu drei Tagen hielten sich die Händler in einer Karawanserei auf.

Wir ziehen weiter, ohne Kamele. Im Bus und später zu Fuß, denn wir wollen wandern. Unser Startpunkt ist Ihlara, und nur wenige Menschen sind hier unterwegs, meist auch Wanderer. Ein paar Männer sitzen vor einem Café, Hühner suchen Schatten.

Das Ihlara-Tal erstreckt sich über 14 Kilometer, geformt von vulkanischer Aktivität. Hasan, der Vulkan, trägt Schuld daran. Ein grüner Streifen in der Landschaft, gerahmt von lebhaften Felsformationen, ein Tal voller Höhlenkirchen und ehemaliger Wohnstätten, die wie Bienenwaben im ausgehöhlten Stein sitzen. Schmetterlinge flattern um uns herum, der flache Fluss rauscht, der Melendiz Çayı.

Immer wieder begegnen wir anderen Wanderern, sie sind zu zweit oder als Familie unterwegs. Sie picknicken am Wasserrand, strecken die Füße ins klare, sprudelnde Wasser. Die Augusthitze brennt auf unsere Köpfe, ich bin froh über den Hut. Unsere Gruppe teilt sich, jeder hat seinen eigenen Rhythmus, der eine rauscht wie der Fluss durchs Tal, während ich und die Kollegin Anja zu den Genießertypen zählen.

Alle drei Meter ein Foto, ein Schmetterling, eine Blume, ein Baum. Dann scheint der Weg plötzlich aufzuhören. Wo sind die Anderen? Haben wir sie längst überholt, sind sie in einer der Kirchen, die meist über etliche Treppenstufen zu erreichen sind? Ab und zu fragen wir die Passanten nach der Gruppe. Die Franzosen haben niemanden bemerkt, das amerikanische Paar will gerne Ausschau halten.

Arkadien am Fluss
Arkadische Zustände am Fluss

Haben wir eine Abzweigung verpasst? Viele Möglichkeiten gibt es nicht, eigentlich trifft man sich immer wieder, da alle parallel zum Fluß laufen. Vielleicht sind sie am anderen Ufer? Auch dort gibt es Kirchen. Wir klettern über hohe Steine, sehen den Weg wieder. An einer Treppe kommt uns das amerikanische Paar entgegen – mit guten Nachrichten. „Sie sind in der Kirche!“

Beruhigt laufen wir weiter, die Wiedersehensfreude ist groß. Doch erst auf der Mitte der Strecke treffen wir alle wieder. Vor uns eine Art Teegarten am Fluss, weiter oben der zweite Zugang zum Tal, das über 400 Stufen zu erreichen ist. Man trinkt Tee oder Orangensaft, lümmelt sich auf großen Kissen über dem Fluss, und eine Frau backt traditionelles Fadenbrot über dem Erdofen.

Es schmeckt köstlich. Leicht gestärkt laufen wir weiter, unser Ziel ist Belisirma. Der Weg wird jetzt etwas breiter und ist sogar mit leichtem Sommerschuhwerk zu schaffen, quasi ein Spaziergang im Gegensatz zum ersten Abschnitt. Junge Männer mit nacktem Oberkörper stehen im Wasser und versuchen zu fischen. Das Ihlara-Tal, ein Arkadien ohne Hirten.

Der letzte Teil unserer gut siebeneinhalb Kilometer langen Strecke ist nur noch ein Klacks. Am Ufer unterhalb von Belisirma leuchten unsere Augen, fast noch schöner erscheint dieser Teegarten uns. Holzkonstruktionen über dem Wasser, Kissen und Aslan, der grillt. Aslan, der zu Scherzen aufgelegt und bester Stimmung ist.

Aslan hat gegrillt.
Aslan wartet schon.

Frisch gebackenens Brot, Meze, Forellen aus dem Fluss und Köfte vom Grill – einfach und köstlich! Den Tee nehmen wir natürlich über dem Fluss ein, mit den Beinen im kühlen Wasser baumelnd oder relaxed auf den Kissen. Doch wir haben noch eine Verabredung im Dorf Belisirma.

Im ursprünglichen Teil des Ortes wohnt kaum mehr jemand, fast alle sind weiter nach oben in die neueren Gebäude gezogen. Doch Emine ist geblieben. 58 Jahre alt, Witwe. Das Haus wirkt leer, Emines sechs Kinder und sieben Enkel leben allesamt weiter entfernt. So freut sie sich über jeden Besuch, jede Abwechslung, denn manchmal fühlt sie die Einsamkeit im alten Belisirma.

Sie zeigt uns ihr Häuschen, bietet uns frisch gepflückte Pflaumen und schenkt jeder Frau ein verziertes Kopftuch, handgefertigt von einer ihrer Töchter. Es gehört zur typischen Kleidung der Frauen hier, ein weiteres auffälliges Merkmal sind die Plusterhosen. Sehr praktisch bei der Arbeit auf dem Feld.

Zur Feier des Tages wird jede Besucherin mit einem türkischen Namen beehrt. Ohne zu zögern wählt Emine reihum recht passende Namen, meiner ist Sherife: Die, die man ehren soll. Ich fühle mich geehrt, auch die Kopftuchfarbe passt schon. Da taucht noch weiterer Besuch auf, der älteste Sohn mit Frau und Kind. Und der kleine Emir sonnt sich in der Aufmerksamkeit aller.

Der Vulkan
Der Vulkan

Langsam verabschieden wir uns von Emine und ihrer Familie, von Belisirma und dem Ihlara-Tal, werfen noch einen Blick auf den Vulkan Hasan am Horizont. Ockerfarbene Felder bis zu den Bergen, Schäfer treiben eine Herde zusammen, Kangals treffen sich am Abend vor einer Hütte, türkische Hirtenhunde von gigantischer Größe.

Die Sonne verabschiedet sich am Horizont, es war ein schöner Tag im Tal. Mindestens so schön wie die Tour mit dem Heißluftballon und der Ritt auf dem Kamel… So ist das mit Kappadokien, es überrascht dich immer wieder.

Güle, güle!
„Güle, güle“ heißt: Geh‘ mit einem Lächeln!

Text und Fotos: Elke Weiler