Wild, wild Food aus Finnland

Beeren sammeln

„Diese Rentiere futtern meine ganzen Pilze“, beschwert sich Chefkoch Jarmo Pitkänen aus Finnisch-Lappland. Das war im Herbst, bekanntlich Hochsaison für diese Spezies, also für Pilze. Den Rentieren begegnen wir immer wieder auf den Straßen, sie verteilen sich großflächig und biegen ab, um am Waldrand nach Pilzen zu suchen.

Nicht selten müssen Autofahrer auf finnischen Straßen abrupt stoppen, denn das Ren sucht erst das Weite, wenn ein Fotograf aus dem Auto steigt, um diese idyllische Szene für die Nachwelt festzuhalten. Die Rentiere verschwinden in diesem Falle schneller, als man auf den Auslöser drücken kann. Nie werde ich verstehen, warum ein poro (Finnisch für Ren) einen Fotografen mehr fürchtet als ein Auto.

Aber zurück zu Jarmo. Der Koch brät ein Stück Filet in Butter – gepfeffert und gesalzen wird erst, wenn es fertig ist. Einige der in Roggenmehl panierten und in Öl und Butter frittierten Fische probieren wir bereits während des Kochens. Weg sind sie. Meine Bezugsgruppe ist für die Vorspeise zuständig, die vorübergehend im Kühlschrank geparkt wird: in Öl, weißer Vinaigrette, Salz, Pfeffer, Rosmarin, Zwiebeln und Meerrettich marinierte Rentierzunge.

Chef Jarmo

Beim Abschmecken tritt mir der Essig etwas zu dominant auf. Aber gut, ich zähle ja nur zu den Schülern. Die Kunst scheint darin zu liegen, von der Veränderung, vom Prozess zu wissen und ihn für das Ergebnis mit einzuplanen. Für die pflanzliche Deko gehen wir in Jarmos Garten und pflücken mehr oder weniger bekannte Kräuter. Wir erfahren, dass der Koch sogar Kartoffeln hier oben anbaut.

Wer kennt schon Mädesüß?

Bislang war mir nicht bewusst, dass man Kleeblüten essen kann, doch dekorativ wirken sie natürlich schon. Das weiße, japanisch inspirierte Porzellan, auf dem das gesamte Menü präsentiert wird, stellt Jarmo übrigens selbst her – viel zu aufwendig für ein Hobby! Er ist ausgebildeter Keramiker. So verkauft er die schönen Stücke im Shop und gibt auch Kurse in der Porzellanherstellung, hier in seinem Restaurant „Tundra“ bei Kuusamo.

Es funktioniert weniger als normales Restaurant, sondern kann privat gebucht werden oder – wie in unserem Fall – für einen Kochkurs. Als alle Grüppchen ihren Part mit Jarmos Hilfe kreiert haben, geht es zu Tisch. Unsere Vorspeise, eine wahre Geschmacksexplosion, in der sich das Ren allerdings ein bisschen verliert. Zum ersten Mal esse ich eine Kleeblüte und Mädesüß, ein Heilkraut, das früher auch zum Süßen benutzt wurde. Es duftet leicht nach Anis und kommt beim Dessert zum Einsatz. Was ist aber nun mit den Pilzen?

Erst am nächsten Tag finden wir welche. Viele sind es nicht, die Rentiere haben wohl ganze Arbeit geleistet. „Im Sommer klauen sie mir sogar die Erdbeeren aus dem Garten“, erzählt Liisa Vihermaa, die uns in den Wald begleitet. Zusammen mit ihrem Mann Sami organisiert sie Wandertouren, Rafting, River Floating oder Fahrten mit Schneemobilen im Winter.

Liisa und Sami

Wir laufen ein Stück auf der populären Pieni Karhunkierros, der kleinen Bärenrunde – eine auch an diesem Tag stark frequentierte Wanderstrecke durch den Oulanka Nationalpark. Ganz klassisch schauen wir am Holzhäuschen Myllykoski in die Stromschnellen des Flusses Kitkajoki und testen ein Stück weiter die Hängebrücke. Sie hängt gut.

Tanz um die Beeren

Schließlich verlassen wir die ausgetretenen Pfade. Pilze gibt es genug, doch welche sind die Richtigen? Letztendlich vertrauen wir Liisas Wahl und gehen weit entfernt von allen Wanderlustigen in die Beeren. Das ist einfach. Blaubeeren existieren im September leider kaum noch, dafür Preiselbeeren ohne Ende sowie schwarze Krähenbeeren, die ich bislang nicht kannte.

Wir sammeln sie in den typischen Birkenholzgefäßen der Sámi, jeder von uns hält eine größere Kuksa in der einen Hand und pflückt emsig mit der anderen. Ja, wir tanzen um die Beeren, leben von der Hand in den Mund, genießen die Distanzlosigkeit zur Natur, die Essbarkeit des Waldes. Bis Liisa und Sami uns in eine Hütte mit einer großen Feuerstelle in der Mitte führen.

Ein gigantischer Ausblick auf Wald und Wasser, den wir mit frischen Pilzen feiern. Unsere Gastgeber haben bereits ein paar finnische Tapas aus Rentier, Taube sowie den obligatorischen Pilzsalat vorbereitet. Dazu gibt es Käse und über dem Feuer geröstete Rieska, das geniale Kartoffelfladenbrot. Doch das Allerbeste sind die gebratenen Pilze, nie habe ich bessere gegessen. Zu guter Letzt drücken wir unsere Beeren mit der Gabel zum Püree und übergießen es mit Vanillesoße.

Frisch gebraten

Draußen nähern sich die drei Kinder des Ehepaars und grüßen uns wohlerzogen. Der Wald ist ihre Spielwiese, ja, sie können an den Ohrmarken der Rentiere, die sich in ihren Garten verirren, schon erkennen, wem sie gehören. Alle Rentiere haben nämlich ein Winterquartier, während sie den Rest ihrer Tage munter und nach eigenem Gusto umherziehen.

Nur im Winter werden sie „zu Hause“ zugefüttert, weil ihnen der Wald nicht immer genug bieten kann. Immer mehr Finnen, auch die Jüngeren, zeigen Interesse an der Rentierhaltung, so sagen sie uns. Der Preis für ein poro hängt vom Alter und anderen Variablen ab, doch zunächst muss ein Interessent eine Ohrmarke erstehen.

Hyvää päivää!

Und mit einem Mal weiß ich: Wenn ich mal wieder in Finnland verweile, möchte ich gerne eine Rentierfarm besuchen. Sehr gerne!

Text und Fotos: Elke Weiler

Noch mehr über Wild Food könnt ihr bei Ariane von Heldenwetter lesen.

Mit Dank an Ruka-Kuusamo & Saunatour, die meine entschleunigende Reise nach Lappland unterstützt haben.

13 thoughts on “Wild, wild Food aus Finnland

  1. Hallo Elke,
    das klingt alles wahnsinnig interessant und lecker! Und ein Rentierfarmbesuch steht auch auf meiner Liste für meinen diesjährig geplanten Finnlandbesuch. Ich war noch nie dort und bin ganz gespannt, was mich erwarten wird :-)

    Liebe Grüße,
    Franka

    1. Hallo Franka, wie schön! Wann geht es los, und wohin fährst du? Ich habe nichts Konkretes geplant, möchte aber noch im Winter nach Finnland. :-) Liebe Grüße von der Nordsee! Elke

  2. Als ich in Finnland gelebt habe, sind wir immer raus und haben Beeren gepflückt. Es war echt immer GRANDIOS lecker. morgens Müsli mit frischen Blaubeeren. Wahnsinn :-D
    Aber auch das Wild schmeckt super in Finnland.

    LG Mel

    1. Hi Mel, du hast mal in Finnland gelebt? Wie cool ist das denn! Wo genau? Wie lange? Ich finde auch, dass Blaubeeren frisch aus dem Wald das Allerbeste sind! Liebe Grüße, Elke

  3. Ein toller Bericht – die Wildbeeren waren bestimmt lecker ! Ich war noch nie in Finnland, überhaupt noch nie im Norden. Aber ich sehe, dass immer mehr darüber geschrieben wird. Vielleicht muss ich doch unbedingt mal dort hin, bevor es überlaufen wird ?

    Liebe Grüsse aus Peru,
    Martina

    1. Danke, Martina! Ich vermute, dass es im Norden nie überlaufen wird, und alle auch genau deswegen dorthin wollen, weil es so weit und nicht dicht bevölkert ist, weil man allein in der Natur sein kann. Dafür mögen dann aber viele Andere das nordische Wetter nicht. :-) Liebe Grüße nach Peru (wo ich auch unbedingt irgendwann mal hin muss ;-) ) Elke

  4. Hallo Elke,

    ist ja witzig wir waren auf dem Fluss zum Rafting gewesen und ich kann mich noch an die Mädels aus England erinnern, welche sich nicht trauten und uns von der Hängebrücke zusahen. Bericht dazu kommt bei uns auch noch.

    LG Mario

    1. Hallo Mario, einige von uns waren auch raften, allerdings auf einem anderen Teilstück, wir haben sie nicht gesehen. Bin gespannt auf deinen Bericht! LG, Elke

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