Wintertage am Strand

In Holmsland Klit, Dänemark

Es ist schon dunkel, als wir in Dänemark ankommen. Die Scheinwerfer leuchten bis zur letzten Dünenreihe, dort finden wir „unser“ Haus am Rande von Søndervig, so gut wie am Strand. Wir sind quasi umzingelt, an drei Seiten umschließt uns der Sandberg.

Kein Stern am Himmel. Trotz der Dunkelheit machen wir einen ersten Spaziergang zum Strand: Blind folgen wir dem Rauschen des Meeres. Ausgestattet mit zwei Spürhunden und einer Taschenlampe klettern wir über die Düne, doch wir sehen es nicht.

Wir hören das Meer, steigen hinab, stoßen auf eine steinerne Befestigung. Hinter dem Schutz gegen die Flut liegt der Strand. Zur Rechten beleuchten wir einen Bunker, der in dieser Nacht und mit diesem bläulichen Taschenlampenlicht unheimlich wirkt.

Ein Relikt von einer gewissen Brutalität – nicht nur, weil es an Krieg erinnert. Ein Betonklotz in der Natur. Wie kommen wir zum Strand? Rechts und links verläuft ein schmaler Pfad oberhalb des Steinwalls. Zu schmal für uns, zu dunkel, zu unwegsam mit den Hunden an der Leine.

Das Dünenhaus

Am nächsten Morgen sieht alles anders aus, nur das Wetter hat sich nicht geändert. Der Wind rauscht über die Düne, die uns wie ein Schutzwall umarmt. Trotz der Lage, trotz des Regens ist es hell im Dünenhaus. Als ich das Fenster über dem Bett öffne, huscht ein Vogel unter den Heckenrosen hindurch. Ihre Wurzeln geben der Düne Halt.

Später kommen die Küstenschutzarbeiter und vermessen unsere Hausdüne. Vom Ferienhausvermittler Thomas Sørensen erfahren wir dann, dass wir zu den Wenigen gehören, die im Schutzgebiet wohnen. Ein paar Häuser stehen direkt auf oder an der Dünenreihe, die Søndervig vom Meer trennt.

Badeort Søndervig

Es ist einer der Ferienorte, die hauptsächlich aus jenen skandinavischen Holzhäusern bestehen. Nur, dass Søndervig als Badeort mit Tradition auch noch Infrastruktur besitzt: ein Supermarkt, Boutiquen, Restaurants, Fahrradverleih, Frisör. Kurzum alles, was der moderne Tourist so braucht.

Doch nach Neujahr, spätestens nach dem 6. Januar, herrscht tote Hose, es ist genau wie bei uns. Søndervig und die Dünen von Holmsland Klit sind also fast in der Winterpause, zumindest ist das unser erster Eindruck im Nieselregen.

Warum wir mitten im Schutzgebiet wohnen dürfen, wollen wir von Thomas wissen. Er erzählt uns, dass es ursprünglich ein Haus auf der Düne gegeben hat. „Ein Altes mit Reetdach.“ Nach und nach ist es wohl die Düne hinunter gerutscht, jedes Jahr ein paar Zentimeter.

Irgendwann landete es dort, wo wir jetzt wohnen. Allerdings in einem schlechten Zustand. Der Besitzer durfte ein neues Haus am selben Ort errichten – unser Glück!

Wir laufen ein Stück durch Søndervig, unser Ziel ist das Meer. Noch im Juni sah der Strandzugang ganz anders aus, als ich zum Windsurfen und Radfahren am Ringkøbing-Fjord war. Sturm Christian hat das Meer die Dünen hinauf gescheucht, und auf dem Rückweg hat es ein Stück davon mitgenommen.

Søndervig
Bunker der Liebe

Heute wirbeln die Böen mit bis zu 60 km/h über den Strand. Wir breiten die Arme aus und lassen uns vom Wind treiben. Das Meer schäumt, aufgebracht von der heftig bewegten Luft. Der Sand ist nass und schwer unter unseren Gummistiefeln, am Meeressaum sinken wir tief ein.

So viele Bunker prägen das Bild an der dänischen Nordseeküste, und Thomas hat gesagt, die Hälfte der Leute hier will sie abreißen, die andere Hälfte stehen lassen. Irgendwie ist man an ihre Existenz gewohnt.

Riesige Betonklötze, die aus dem Sand ragen, manchmal schräg aufgestellt, manchmal eingesunken bis auf eine herausragende Ecke – wie ein Eisberg. Nur eben hässlicher.

Wer ein Grundstück in den Dünen kauft und dort auf einen Bunker stößt, kann ihn nach Belieben als Keller oder Abstellraum verwenden. Stabil sollen sie auch nach 70 Jahren noch sein. Und mit Graffiti besprüht wirken sie sogar apart. Beton, der nach Farbe schreit.

Allein am Strand

Als wir am Nachmittag noch einmal zum Strand gehen wollen, dämmert es schon wegen der dichten Wolken. Nur in südwestlicher Richtung reißt der Himmel kurz auf und gibt den Blick auf ein Stück Blau frei. Der Mond, eine schmale Sichel.

Wir stehen auf der Düne, blicken über den Fjord bis zum erleuchteten Ringkøbing, wechseln auf die Meerseite und springen den losen, wegrutschenden Sand hinunter. Wir sind die Einzigen am Strand, erst auf dem Rückweg begegnen uns zwei einsame Spaziergänger.

Ich liebe es, wenn der Wind den Sand über den Strand fegt, und so werden auch wir immer sandiger. Nicht ganz so versandet wie im August, als ich mich ein Stück weiter südlich die Dünen hinab gerollt habe. Als der Sand mich nach dem Baden gewärmt hat.

Schaumschlägerei

Aber auch dieses Mal gibt es mehr als genug davon. Der Sand ist überall – draußen, drinnen, auf dem Boden, in den Dünen rundherum, in der Luft, im Gesicht. Er knirscht zwischen den Zähnen. Mir kommt es so vor, als wären wir mehr ein Teil von ihm, als er von uns.

An Tag 3 lichtet sich die Wolkendecke. Die Dächer Søndervigs leuchten in der Sonne auf, alles wirkt so einladend und freundlich. Also nichts wie raus an den Strand, der hinter dem Haus, hinter der Düne immer auf uns wartet.

Nie ohne Thermoskanne

Auch wenn ich die im Wohnzimmer ausgeschriebenen „Beach House Rules“ nicht alle befolgen kann: „Get your feet wet“ muss im Winter nicht sein. „Smile, giggle, laugh“ – natürlich, und wie! Außerdem laufen, hüpfen, springen und tanzen. Ich muss die Strandhausregeln etwas erweitern.

Am Samstag ist der Beach gut besucht, junge Paare und ein paar Familien sind unterwegs. Wir treffen zwei Däninnen mit einem älteren Hund. Ein Stückchen weiter setzen sie sich auf einen Bunker, packen die Thermoskanne aus und picknicken direkt am Wasser. Man weiß das „Strandmobiliar“ eben zu nutzen.

Søndervig im Winter
Zur Nachahmung empfohlen.

Auch für Liebesbotschaften. Und wer weiß, wer sich am Strand nicht alles verlobt hat! Die Hunde untersuchen die Geschenke des Meeres im Sand: Fischernetze, Seile, Plastikflaschen, Einmachgläser, Spraydosen, Hölzer. Einen riesigen, runden Strohballen. Vor allem der tanzende, weiße Schaum hat es ihnen angetan.

Wie viele Andere betreibe ich Bunkerstudien, klettere hinauf, sehe durch die Betonklötze hindurch und lese die Botschaften. Ein Bunker wirkt wie ein gefräßiges Monster, der nächste wie eine Hundehütte. Eine bizarre Landschaft.

Am liebsten stelle ich mich mitten in die schaumige Fläche, direkt ans Meer, lasse meine Gummistiefel untergehen, schließe die Augen und spüre die Kraft der Nordsee, die an den Füßen zieht. Ich sinke ein Stück ein, kippe nach hinten, verliere das Gleichgewicht.

Am liebsten bleibe ich noch eine Weile und lausche dem Sound des Meeres. Zum Glück fahren wir erst morgen wieder nach Hause. Und zum Glück bleiben wir an der Nordsee.

Strand von Søndervig
Farvel!

Text und Fotos: Elke Weiler

14 thoughts on “Wintertage am Strand

  1. Da kommen Erinnerungen auf.
    Wir haben dort vor vielen Jahren mal Sylvester gefeiert. Unser kleiner Sohn wollte kein Neues Jahr, „das alte Jahr war so schön“, war seine Begründung.
    Wieder ein wunderschöner Bericht von Dir.

    1. Ja, das ist wirklich etwas ganz Besonderes, so direkt am Strand, in den Dünen leben. Eigentlich braucht es nicht viel zum Glück. Und Eis am Meer ist auch fantastisch! Kommt dieses Jahr bestimmt noch… :-)

  2. Christina hat Recht, die Schaumkronen sehen wirklich aus wie Eis. Ein Aufenthalt am Meer im Winter hört sich sehr spannend an. Ich habe gerade überlegt… das hatte ich eigentlich noch nicht. Ich verbinde Meer immer mit Sommer, Sonne, Strand und … ja. Meer eben. ;-) Wäre also mal eine neue Erfahrung. :-)

    1. Lieber Gerhard, das ist mir klar, dass du dir in Goa unter einer Palme schlecht den Schaum an der Nordsee vorstellen kannst! Es soll sogar Leute geben, die im Winter schwimmen gehen… :-)

    1. Liebe Tatjana,
      sorry für die späte Antwort, dein Kommentar war aus unbekannten Gründen in den Spamordner geraten. Wir haben das niedliche Haus bei dem Ferienhausvermittler Elitesommer gefunden. Ich weiß allerdings nicht, ob sie es noch im Programm haben.
      Viel Glück und liebe Grüße,
      Elke

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