Die Farben Guatemalas

Die schönsten Tage von Chichicastenango: Jeden Donnerstag und Sonntag versinkt die Stadt in einem Meer von Farben, wenn einer der größten und ältesten Märkte der Indígenas stattfindet. Unterhalb der blendend weißen Fassade der Kirche von Santo Tomás entwickelt sich ein lebhaftes Geschehen. Menschen drängen sich vorbei an unzähligen Ständen in engen Gassen.

Die Farbenpracht der Stoffe und Trachten zieht jeden in ihren Bann. Für mich ist es wie das Betreten einer anderen Welt. Nur die ständigen Rufe der Frauen, Männer, Kinder klingen irdisch: „Amiga, adelante!“ Was so viel heißt wie: „Herein, Freundin!“ Als ob ich in ein räumliches Geschäft hineinspazieren könnte.

Der Quetzal

Mit funkelnden Augen kommt Tomasa auf mich zu. „Diese Hitze!“, meint sie auf Spanisch. Sie setzt sich eine hutähnliche, bunte Kopfbedeckung auf, bevor sie ihre Arbeit erklärt: ein roter Stoff mit Stickereien. Jede Farbe hat ihre Bedeutung, alles ist von stilisierten Quetzales umrahmt.

Tomasa aus Chichicastenango
Tomasas Werk

Es sind die typischen Vögel Mittelamerikas, auffällig rot-grün gefärbt. Der Quetzal, ein Prachtexemplar und Symbol für die Freiheit, da er sich in Gefangenschaft angeblich selbst tötet. Guatemala und der Quetzal sind eins, man bezahlt in Quetzales, und der Vogel ziert das Wappen.

Nun geht es auch in Chichicastenango um Papier-Quetzales, die Preisverhandlungen beginnen. Tomasa schreibt nach und nach alle Angebote und Gegengebote gut sichtbar auf ihren Unterarm. Das Ergebnis: 270 Quetzales, etwa 25 Euro für die Arbeit von Tagen.

Auf nach Antigua

Tomasa gibt sich sehr zufrieden mit dem Ergebnis, ihre Augen sprechen Bände. Sie wünscht mir zum Abschied „buenos días“ und eine schöne Reise. Für gute Geschäfte muss man sich sympathisch sein, denke ich.

Die Stoffe von Chichicastenango
Auf der Spur der Stoffe

Jedenfalls mag ich Tomasa und weiß ihr Werk zu schätzen. Wenn ich diese rote Decke zukünftig anschaue, werde ich immer an Tomasas Buchhaltung auf dem Arm denken. Und an die ganze Farbpalette von Chichicastenango. An den Quetzal.

Meine Reise geht weiter: Antigua Guatemala, der erklärte Lieblingsort aller Besucher Mittelamerikas. Weltkulturerbe. Eine Stadt im Hochland mit pastellbunten Kolonialhäusern, viel Sonnengelb, tief geschwungenen Fenstergittern, blühenden Patios, Straßenzügen im Schachbrettmuster. Die dicken Säulen der Kolonnaden auf der Plaza Central sagen etwas von Erdbeben.

Maisfladen to go

Dabei ist das Beste die Lage: Die ehemalige Hauptstadt des mittelamerikanischen Landes umgibt sich mit den Hunachpú, den Wächtern, wie die umgebenden Vulkane in Cakchiquel genannt werden. Viele Ähnlichkeiten also mit Granada in Nicaragua.

Wächter der Stadt
Wächter der Stadt

Vom 16. bis 18. Jahrhundert hat Antigua im Königreich Guatemala den Ton angegeben, das von Yucatán und Chiapas bis nach Costa Rica herunter reichte. Dann das Erdbeben von 1776, und Antigua versinkt in Bedeutungslosigkeit.

Heute zieht die 35.000-Seelen-Stadt vor allem internationale Sprachstudenten an, die dementsprechend das Angebot der Geschäfte bestimmen: Internet-Cafés neben Jade-Fabrikationen, Coffee-to-go neben Maisfladen-Ständen.

José und der Jade

Ich treffe José in der Casa del Jade. Hier dreht sich alles um den Stein der Maya: Jade ist kostbar, egal ob weiß, grün, lila oder schwarz. Er wird in der Sierra de las Minas bei Zacapa abgebaut, erzählt der fleißige Mann. Im Fabrikationsraum kämpft ein Radio gegen das gleichbleibende Geräusch der Schleifräder.

Blühende Patios
Es grünt und blüht im Patio.

Die Arbeiter schleifen und schleifen – mit bereits grün gefärbten Händen. „Sie lernen alle Fertigkeiten hier“, sagt José, denn es gibt keine klassische Ausbildung zum Jadeschleifer. Die alten Maya schliffen Stein mit Stein, und das dauerte ewig. Es entstand etwas Besonderes: kunstvolle Masken für die Toten, die nicht nur schön, sondern auch wichtig waren – eine Art Pass von einem Leben ins nächste.

Während ich von einem Ort zum nächsten ziehe. Der Lago de Atitlán steht auf dem Programm, ein Besuch beim Maximón. Aber vielleicht komme ich mal wieder nach Antigua oder nach Chichicastenango – nicht nur zum Handeln. Mein Spanisch hätte jedenfalls eine größere Auffrischung nötig.

Text und Fotos: Elke Weiler

Aus der Reihe „Archivgeschichten“: Reisen im Zeitalter der analogen Fotografie.

Mit Dank an das Tourismusbüro von Guatemala, das diese Reise ermöglicht hat.

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