Stopover um Mitternacht

Beim Frühstück bin ich umzingelt von japanischen Touristen und fühle mich fast selbst wie einer: drei Städte in sechs Tagen. Stockholm – Helsinki – Tallinn. Und wieder zurück.

Warum sind mir die Japaner gestern nicht aufgefallen? Unsere Fähre hat am späten Nachmittag in Stockholm abgelegt, nun tuckern wir auf dem Wasserweg Richtung Helsinki. Ich liebe dieses gemächliche Tempo. Reisen mit kaum spürbarem Schaukeln.

Zumindest auf dem ersten Teil unserer Route ist das so. Fast unbewegt und glatt das Wasser, als wir durch den Schärengarten Stockholms fahren. Um die 30.000 Inseln und Felsen, die auf der Strecke liegen. 80 Kilometer östlich vom Zentrum bis zur Ostsee.

Allein an Deck 12

Zur Rechten und Linken nichts als rote und gelbe Häuser sowie Wälder, die aus dem Wasser zu wachsen scheinen. Die reinste Schweden-Idylle. Auf dem Hinweg bei Sonnenuntergang und in ein paar Tagen auf dem Rückweg bei Sonnenaufgang. Dann werden ein paar Leute neben mir stehen, die sich auf Englisch unterhalten. Und einer von ihnen wird sagen, dass er genau dieses Fleckchen Erde hier abgöttisch liebt.

Hej då, Stockholm!

Er nennt sogar eines dieser Häuser sein eigen, und mein Neid ist mit ihm. Noch vor einiger Zeit waren die Holzhäuser mitsamt Grundstück hier nicht so teuer. Doch die Preise steigen an, meint der Idyllen-Eigentümer.

Aber all das weiß ich auf dem Hinweg noch nicht. Nach dem Dinner bin ich fast allein an Deck 12. Alle scheinen sich im Saunabereich, am Buffet oder vor einer der Bühnen zu tummeln. In der Shoppingzone, die wie eine Mall gestaltet ist und das Innere des Schiffs aufreißt, tritt eine Band auf. Garniert von einer knallbunten Showeinlage.

An Deck 12 weht ein kräftiger Wind, und neben mir ein finnisches Paar, das seinen Spaß damit hat. Vermutlich haben es schon Millionen vor mir gedacht: Finnisch klingt ebenso sympathisch wie lustig. Dazu die ganzen Wörter, die auf I enden: Hotelli statt Hotel, Kaupunki für Stadt und Itämeri für Ostsee. Dieser Reichtum an Vokalen und Umlauten.

Im Stockholmer Schärengarten

Mein erstes Mal Finnland. In meinen wüsten Klischeevorstellungen wird es vor Kuriositäten nur so wimmeln. Leider spreche ich auch nicht annähernd ein paar Worte Finnisch – außer Kiitos für Danke und Hei für Hallo. Als ich später in meiner Außenkabine ankomme, ist außer ein paar Lichtern nichts mehr von der Küste zu sehen.

Das Meer, so schwarz wie die Nacht

Doch dann kommt um Mitternacht eine Durchsage auf vermutlich Schwedisch, Finnisch und Englisch. Ich bin verwirrt, schnappe Satzfetzen auf wie: „… bedanken uns bei den Passagieren und wünschen…“ Aber wir sollten doch erst morgen früh in Helsinki ankommen!

Fast wie im Zug

Auf der Rückseite des hochgeklappten Betts gegenüber ist eine Karte des Finnischen Meerbusens eingezeichnet. Und was entdecke ich zwischen Schweden und Finnland? Das Åland Archipel! Hier steigen also Leute aus. Ich bin neugierig, denn draußen im Hafen von Mariehamn ist so gut wie nichts los, nur ein paar Arbeiter sind zu sehen. Ein Reisebus wartet.

Dieses Licht, diese Leere – Edward Hopper hätte ein Bild daraus gemacht. Mehr als einen Blick auf den einsamen Hafen von Mariehamn kann ich von Åland nicht erhaschen. Die zu Finnland zählende Inselgruppe besteht aus mehr als 6.700 Eilanden und Schären. Åland besitzt Autonomiestatus, man spricht Schwedisch. Meine Neugier ist geweckt, irgendwann werde ich einmal hinreisen.

Helsinki, mehr Wasser als Stadt

Vor meinem Fenster wieder die dunkle Nacht. Das Meer fühlt sich ruhig an, irgendwann schlafe ich ein. Alle, die sich gestern mit mir das Buffet geteilt haben, scheinen verschwunden. Nur die Kellner sind dieselben für uns, meine Japaner und mich. Ich werde sie noch einmal treffen, einige von ihnen, auf Suomenlinna. Überrascht von einer kräftigen Regenschauer. Doch davon ahne ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts.

Wo sind wir?

Wir sind fast in Helsinki, und ich versuche die Physiognomie dieser Stadt auszumachen, die sich übers Festland und 300 Inseln verteilt – mehr Wasser als Stadt.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank an Tallink Silja Line, die meine Rundreise von Stockholm nach Helsinki, Tallinn und zurück unterstützt haben.

14 thoughts on “Stopover um Mitternacht

  1. Moin. Ja, Mensch, ich finde Meerblog schon klasse. Sonst hätte ich ihn nicht abonniert. Nur bin ich ein bisschen Heidelberg geschädigt. Was da an Touristen rumläuft… Aber es gibt zum Glück noch Ecken in der welt wo nix los ist. Auch nicht schlecht. Und ob das denen auf dem, zugegeben, wunderschönen Santorin zum Beispiel gefällt mit den vielen Touris jeden wage ich auch mal zu bezweifeln. Obwohl sie bestimmt gut davon leben. Aber wie gesagt, Ansichtssache…, Grüße aus Todendörp, hier ist nix los und das ist auch gut so, um es mal mit Wowi zu sagen. PeterderMüller

  2. Ja ja, die Åland-Inseln – wie oft habe ich meinen Rentnerlein gesagt: „NEIN, wir gehen erst am nächsten Morgen nach dem Frühstück von Bord“ :-) das war immer wieder lustig!
    Aber die Überfahrt ist schön ne? Also ich liebe die Strecke von Stockholm nach Helsinki. An Deck stehen, die Nase in den Wind halten, tief durchatmen und glücklich sein.

    Liebe Grüße,
    Mila

  3. Hallo Elke, du hast Grund zur Vorfreude auf die Fähre nach Tallinn! Die Stadt bietet vom Meer aus eine tolle Skyline ;o) Wir durften die Stadt Anfang September bestaunen. Falls du noch Inspiration für Tallinn brauchst, schau mal bei mir vorbei!
    Liebe Grüsse aus Ljubljana, Nadine

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