Das große Flattern

„Jeg kan fly“, steht auf dem T-Shirt von Kisa. Ich kann fliegen, also Kisa scheint’s zu können. Sie ist Künstlerin, Drachenbauerin und ihr bürgerlicher Name lautet Kirsten Sauer.

Rund um die Frau aus dem Westerwald wuseln Kinder mit ihren Eltern herum. Kleben, fummeln und tackern bunte Plastikfolien, Holzstäbe und Schnur zu einem Ganzen, das mal in der Luft flattern soll. Am Himmel von Sola bei Stavanger.

Um ganz präzise zu sein, sind es meist die Väter, die werkeln. Während der zugehörige Nachwuchs daneben steht und sich beinah überflüssig fühlt. In ihrem Übereifer merken die Väter kaum, dass sie die Regie übernommen haben. Erst in der Deko-Phase, zum Bemalen des Drachens, übergeben sie wieder an die Kids.

Windkünstlerin Kisa hilft an allen Ecken und Enden, deswegen ist sie da. Die Verantwortlichen vom Drachenfestival haben sie und ein paar andere Profis schon zum zweiten Mal eingeladen. Über unseren Köpfen schwebt ein „reisendes Kunstwerk“ von Kisa, eine Art transparente Amöbe aus Nylon und blauem Organza.

Aber zur Kunst wird das Gebilde erst im Zusammenspiel mit Wind, Wetter und Umgebung, erklärt Kisa. So weit sind wir noch nicht, es geht erst mal um die Technik. Da oben in der Luft gelte das Grundprinzip: Die Größe ist nicht wichtig. Vielmehr sei es das Verhältnis von Segelfläche und Gestänge, was zähle. Habe ein Drache viel Segelfläche und wenig Gestänge, brauche er gar nicht viel Wind.

Party am Strand
Party am Strand

Kollegin Britta von Looping, die mit mir in Norwegen ist, baut für ihre Tochter unter Anleitung von Kisa einen Drachen. Blau und weiß, die Form erinnert entfernt an einen Rochen. Alle Zutaten sind vorgefertigt, vor dem Bastelstart können die Kinder aus diversen Modellen auswählen.

Kisa findet, dass durch die eher gekauften als selbstgebastelten Drachen vieles von der Technologie verloren ginge. Dabei seien Klassiker und alte Modelle aus Folie leicht nachbaubar, zu den Bauplänen gäbe es Literatur. Mit einer Spur Experimentierfreude und etwas handwerklichem Geschick sei der eigene Drache kein Problem. Nur auf die Symmetrie müsse der Drachenbauer achten.

Sola Strand
Geht los.

Am nächsten Tag steigt die Party. Wir treffen Kisa und die Anderen am Strand von Hellestø in Sola wieder. Schon von weitem sehe ich die Amöbe in der Luft – umzingelt von knallbunten Figuren in sämtlichen Größen. Ein Aquarium am blauen Himmel. Das Meer, einmal umgestülpt. Im großen Blau schweben eine Taucherin gefolgt von einer Qualle und Entourage.

Hellestø Strand
Fliegen, flattern, feiern.

Dahinter rauscht die Nordsee, spült ihre Wellen in den Sand. Gunhild aus Stavanger meint, Hellestø sei ihr Lieblingsstrand. Mich erinnert er an zu Hause, die Dünen, die Nordsee, die Drachen. Wir trinken Kaffee und ich genehmige mir ein „Kvikk Lunsj“ dazu, ein schnelles Lunch also. Vielmehr ein Schokoriegel, der ganz Norwegen auf Wandertouren moralisch und biochemisch unterstützt.

Starthilfe
Starthilfe für Britta

Derart gestärkt geht es zur Sache. Ich darf mir Brittas Rochen ausleihen und hoffe, er hält. Der Wind ist nicht gerade zimperlich. Er kommt vom Meer und zerrt das blauweiße Tier gleich vom ersten Moment an nach oben. Langsam, ganz vorsichtig gebe ich Schnur nach, der Rochen steigt höher und höher und höher.

An einem bestimmten Punkt merke ich, wie sich die Fersen vom Boden lösen, ich spüre den Wind durch den Drachen. Von den Händen geht die Bewegung in den Körper, es zieht mich hoch – mit Kraft. Über mir das endlose Blau.

Einfach abheben
Einfach abheben

Lang ist es her, dass ich einen Drachen habe flattern lassen, unendlich lang. Ich wusste nicht mehr, wie es sich anfühlt. „Jeg kan fly.“ Es stimmt also. Der alte Traum vom Fliegen, man kann ihn ohne große Technik verwirklichen, mit ein bisschen Folie, Stäben, Klebeband, Schnur.

Ein Drachen in der Luft ist ein Tanz mit dem Wind. Am schönsten Ort der Welt, am Strand, am Meer. Wie sagte Kisa noch? „Wenn dich der Virus packt, machst du das immer wieder.“ Ein Glück, dass ich an der Nordsee wohne. Und dass der alte Freund Wind häufig zu Besuch ist.

Text und Fotos: Elke Weiler

 Hellestø Strand

Mit Dank an Visit Norway und die Region Stavanger, die diese Reise unterstützt haben.

4 thoughts on “Das große Flattern

  1. Oh wie schön, dein Artikel entführt in die Welt der Kindheit. Das müßte man eigentlich viel öfter mal machen: in den Himmel gucken, Drachen steigen und die Seele baumeln lassen!

  2. Das ist schön. :) Als Kind habe ich es geliebt, Drachen steigen zu lassen. Leider traut man sich als Erwachsener irgendwie nicht mehr so, eigentlich höchstens noch im Urlaub. Ich glaube, das sollte ich ändern. :D

    Lg Dani

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