Schwebezustand

Es ist nicht weit von Istanbul, und doch unendlich weit. Zentralanatolien ist eine andere Welt, wird es sein, so denke ich. Wir fliegen anderthalb Stunden, bis die Erde eine braune Hautkruste hat. Lebendig wirkt sie, wie von einem Bildhauer geformt.

Erst sind da die Farben, nur das Grün fehlt. Bäume sind Luxus auf dieser Erde, Wälder ein Königreich. Später wird Süleyman uns erzählen, dass die Bäume abgeholzt worden. Vor langer Zeit schon, von den Römern und Griechen.

Alle waren sie hier, auch die Hethiter, Perser und Byzantiner, und alle formten sie die vulkanische Landschaft mit, gruben Häuser, Kirchen, ganze Städte in den Tuffstein. Das Gebiet um Göreme ist seit 1985 Weltkulturerbe.

Göreme © Elke Weiler | Meerblog
Göreme

Nun schwelgen die Töne der Erde in Nussbraun, Ocker und Curry bis hin zum Violett. Immerhin, die Ritzen der Landschaft horten saftiges Grün. Wir nähern uns dem Ziel, gehen immer tiefer hinunter, setzen auf.

Vororte von Kayseri, Armeen von Hochhäusern. Vororte sind überall gleich. Doch hier prangt der Vulkan Ercyes majestätisch dahinter, schmückt sich mit Schneefeldern und Wolken auf fast 4000 Metern Höhe. Die Sonne geht bald unter, der Abend wird frisch.

Aus der Normalperspektive sieht das Land vor Kayseri sogar richtig grün aus, den Bewässerungsanlagen sei Dank. Die Sonnenblumen blühen, Zypressen ragen in die Höhe, Ölweiden trennen die Felder. Doch Kayseri, die Hauptstadt von Kappadokien, ist eine Industriestadt.

Abends in Kappadokien © Elke Weiler | Meerblog
Kappadokisches Licht

Dann wird es karger. Schafherden verschmilzen farblich mit dem Untergrund. Gegen acht Uhr abends macht sich die Sonne vom Acker, verschwindet orangerot hinterm Berg. Und Süleyman, der uns begleitet, stellt für die kommenden Tage noch mehr Romantik in Aussicht.

Kappadokisches Licht, genauso magisch wie flüchtig. In einer Landschaft, die bei vielen die Fantasie derart angeregt hat, dass sie eine Flut von Namen für ihre bizarren Formen gefunden haben. Ein Land, das geheimnsvoll wirkt, weil es ein Innenleben hat: die Höhlen.

„Was ist dieses Kappa…?“, hatte mich eine Freundin gefragt. Zentralanatolien, habe ich gesagt. Da, wo das Land aus Kegeln und Höhlen besteht, in denen man heute wieder wohnt. Wo das Land so schön ist, dass man in Ballons steigt, sein Leben riskiert, ganz früh am Morgen.

Ballons am Start © Elke Weiler | Meerblog
Startklar

Der Wecker klingelt um 4.30 Uhr, und ich torkele mit halb geschlossenen Lidern durch das Hotelzimmer. Es ist noch gar nicht so lange her, dass der Muezzin mich geweckt hat. Auch die Trommler waren nachtaktiv – vom Ramadan kündend.

Wir fahren zur Basistation der ausgewählten Heißluftfirma und trinken erst mal einen Tee. Kekse gibt es auch dazu, damit uns der Magen später nicht knurrt, da oben, in luftiger Höhe. Es ist meine erste Schwebetour, ich bin gespannt wie ein Flitzebogen. Ein bisschen aufgeregt auch.

Rundherum sind schon alle in der Luft, ein buntes Meer von Ballons wie Fackeln am Himmel. Ab und an glüht eine auf, und allein beim Betrachten kommt jedem, der gerade erst aufgestanden ist, die Szenerie wie aus einem Märchen vor. Surreal.

Ballons über Kappadokien © Elke Weiler | Meerblog
Eine andere Welt

Doch schnell wird der Traum wahr, nimmt unsere Reise durch die Lüfte Gestalt an. Wir fahren mit Vans auf ein Feld. Unser Heißluftballon steht bereits, und ohne zu zögern klettern wir, einer nach dem anderen, in den Korb. In der Mitte zieht der Kapitän an den Kordeln, drückt auf die Schalter, um zu feuern.

Zwei große Gasflaschen sind mit an Bord. Jetzt heißt es, Vertrauen zu haben, einfach das Schicksal in die Hand dieses Mannes mit seiner Kenntnis und den Gasflaschen geben. Vertrauen in diese fragile Konstruktion, die aus einem Korb, Seilen und Ballonseide besteht. Um uns herum Windstille, über uns ein wolkenloser Himmel – also ideale Bedingungen für den Aufstieg.

Kapitän Abdullah trägt sein weißes Hemd und die zahlreichen Abzeichen mit stolz geschwellter Brust. „Wer fliegt zum ersten Mal mit einem Ballon?“, fragt er, und die meisten melden sich. „Ich auch!“, meint Abdullah und alle lachen. Das wirkt befreiend und nimmt uns ein wenig die Angst.

Pilot und Scherzkeks
Pilot und Scherzkeks

„Heute zum ersten Mal“, korrigiert sich der Kapitän und jeder merkt genau, dass er alles im Griff hat. Die Abfolge der Witze, die Schnüre, Lenkung, Glasflaschen und den Brenner. In kurzen Abständen telefoniert er mit seinen Kollegen am Boden, denn nur sie können ihm sagen, ob jemand über uns ist.

Zu allen Seiten können wir sehen, nur nicht nach oben. Noch vor zwei Jahren ist in Kappadokien ein Unfall passiert, weil ein Ballon auf dem anderen aufgesetzt hat. Schuld war die fehlende Kommunikation zum Boden. Wir wiegen uns in Sicherheit, auch wenn mir der Körper sagt, dass Fliegen unnatürlich ist.

Anders als im Flugzeug sind wir eins mit der Luft. Also in etwa wie der Unterschied zwischen Auto- und Radfahren. Und da ist noch etwas: die mangelnde Dynamik. Diese Stille am Himmel, wenn Abdullah nicht gerade Gas zugibt. Es ist das Gefühl, als würden wir in der Luft stehen.

Was für ein Land!

Eine seltsame Art der Schwerelosigkeit. Doch im Prinzip steigen wir ständig auf und ab. Anders als im Fahrstuhl merken wir die Höhenunterschiede kaum. Das Auf und Ab ist des Piloten Art zu lenken. Hinzu kommt die Schürze seitlich unterhalb des Ballons, die als Windschutz beim Aufheizen dient.

Über das Fahrventil im oberen Bereich kann Luft abgelassen werden, außerdem gibt es den Parachute im Innern. Zieht Abdullah an dessen Leine, kann warme Luft entweichen. Ich finde die Vielzahl der Schnüre verwirrend, doch glücklicherweise kennt der Kapitän sich aus.

Nach und werde ich lockerer, höre endlich auf zu fotografieren und genieße den Morgen im Schwebezustand. Die fantasievoll zerklüftete Landschaft, das Land der 1000 Feenkamine, wie die Türken Kappadokien nennen.

Sogenannte Feenkamine

Die Natur trägt die Handschrift der Vulkane Ercyes und Hasan, ihrem Formenreichtum sind keine Grenzen gesetzt. Denn es gibt längst nicht nur Tuffsteinkegel in Kappadokien. Manchmal tragen die Säulen Hüte, aufgesetzte Steine, die so aussehen, als hätten Bildhauer sie auf die Spitzen gehievt.

Manchmal sind es Röhrenformen wie von abgeschlagenen Baumstämmen. Rippen und geflochtene Wülste. Ich muss an Pasta denken, Fusilli. Ein ganzes Orchester der Formen, die das Land rund um Göreme wie durch Zauberhand erschaffen aussehen lässt.

„Wo werden wir landen?“, fragt jemand, doch Abdullah winkt ab. „Ich weiß es nicht!“ Doch ich glaube ihm nicht. Ich weiß jetzt, wie präzise er das behäbige Gefährt lenken kann, das hat er bereits bewiesen. Ganz nah um die Kegel ist er herum gesegelt, alle haben den Atem angehalten.

Stille

Sogar in ein Tal sind wir hineingestiegen, haben einer Frau am Boden zugewunken und sind knapp über der hellen Steilwand wieder aufgestiegen. Abdullah kann mir nichts mehr vormachen. Unter uns sehen wir schon die Männer, den Van und vor allem den Transportwagen für den Korb.

Aber wir schweben noch hoch in der Luft. 2065 Meter war unsere Höchstleistung heute. Dann sinken wir schnell, kaum merklich. Präzise setzt der Pilot auf dem Anhänger des Transporters auf. Er zieht an den Schnüren, auch die Helfer am Boden halten eine der Leinen gespannt.

Der Ballon fällt, wird mit geübten Griffen gefaltet, gedrückt, zusammengelegt, die Luft hinausgepresst. Diese leichte Hülle hat uns oben gehalten. 20 Leute passen in den Korb, der an luftgeblähter Seide hängt.

Wir schnallen uns ab und klettern wieder auf den vermeintlich sicheren Boden. Abdullah und seine Crew haben noch eine kleine Überraschung vorbereitet und spritzen mit alkoholfreiem Sekt durch die Gegend. „Wie bei der Formel 1“, meint Abdullah grinsend.

Zentralanatolien ist also doch keine so weit entfernte Welt.

Oder? Da wäre auch die Geschichte der Kamele

Bizarre Landschaft von Kappadokien
Schön war’s!

Text und Fotos: Elke Weiler

19 thoughts on “Schwebezustand

  1. Ach, Anatolien – und du hebst ohne mich ab!
    So hab ich mir das immer vorgestellt. Schön, dass es dir so gefallen hat. Ich hole das bei Gelegenheit dann eben alleine nach ;)
    LG Claudi

  2. Schön! Ich schließe mich an – ich will auch hin :-) Aber letztes Mal, als ich der Türkei nahe war, bin ich in Thessaloniki hängen geblieben. Ein anderes Mal …

  3. Echt schön – da bekommt man leicht Fernweh. Hätte niemals gedacht das aus einer anderen Perspektive die Türkei so schön sein kann.
    LG Miriam

  4. Was für ein schöner Blogeintrag. Ich war noch nie in Kappadokien, obwohl ich selber aus der Türkei bin!
    Das ändert sich aber im nächsten Jahr.
    Ich freue mich so auf den Urlaub.

    Freundlichen Gruß didi

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