Ein Schaf auf Bornholm

Eine Fähre ist eine Fähre, weil sie fährt? Und wenn sie aber im Hafen steht… Wobei Fähren ja ständig hin und her fahren. Ich schaukelte sachte in dem orangeroten Rettungsring, während ich mich in verwirrenden Gedankengängen verlor. Ich liebte Fähren, denn sie hatten genau meinen Rhythmus. Slow motion, ein lässiges Offbeat-Tempo.

Der Himmel so blau über mir, das Meer mit weißen Schaumkronen unter mir. Unser Schiff, die „Povl Anker“ hatte schon etliche Jährchen auf dem Buckel, brachte uns jedoch safe and savvy über die Ostsee, von Insel zu Insel, von Rügen nach Bornholm.

Dreieinhalb Stunden vergingen wie im Flug. Zwischendurch Bornholmer Tapas und ein kühles Bier, ebenfalls von der Insel. Vom Räucherfisch klinkte ich mich als Veganer aus, doch der Rest der Truppe probierte, wie man ihn hier aß: mit einem Eigelb.

Schaf im Rettungsring
Eine Fähre ist eine Fähre…

Obwohl mal wieder im Nachbarland unterwegs, wurden wir nicht von Miss Dänemarkreisen begleitet. Eine nette Kollegin von ihr teilte sich mit uns die schicke Holzhütte mit Meerblick. Platz gab es genug, wir hätten locker noch ein paar People aufnehmen können, my friends. Sollte ich oben schlafen? Dort gab es zwei freie Matratzen unterm Dachfirst. Raum für eine Riesenparty.

Der Clou: Wir hatten den Beach für uns. Gerade wollte ich meinen Pelz in der Sonne wärmen, da wurde zum Aufbruch geblasen. Let‘s go and talk to the people! Wir trafen jede Menge Bornholmer: Ausgewanderte, Fahrradfreaks, Gourmets, einen Brad-Pitt-Verschnitt sowie einen Metzger mit Faible für bunte Bilder.

„No man, no cry“, stand auf einem der Werke, die im Metzger-Café hingen. Meine Kollegen probierten grob überschlagen 20.000 Wurstsorten, während ich meine Blicke umherschweifen ließ. Auf Bornholm schien vom Goldschmied bis zum Schlachter einfach jeder ein Café zu betreiben. Kunst inklusive.

Luis auf der Fähre
An den Schalthebeln der Macht

Schließlich trafen wir sogar einen richtigen Kapitän. Von einer der schnellsten Fähren der Welt. In der Schaltzentrale der Macht fühlte ich mich ähnlich wie am Mischpult des Tonstudios in Berlin – erinnert ihr euch?

So viele Blinklichter, Knöpfe, Hebel. Der Riesenkatamaran lag im Hafen von Rønne und ich mitten in diesem Wirrwarr bunter Lichter. Jetzt bloß nichts Falsches machen! Dann würden wir vermutlich mit Karacho in Richtung Schweden düsen. Der Typ verklickerte uns, dass er es in anderthalb Stunden bis Ystad schaffte, madre mia! Ein Wirbelwind auf dem Meer.

Wir gingen wieder von Bord und warfen uns ins Inselgetümmel. Ihr glaubt es nicht, aber Dantes Inferno hat einen Namen: Røgeriet i Svaneke. Klingt putzig, aber ich sage euch… Mit der versammelten Mannschaft standen wir vor einem schwarzen Höllenschlund, aus dem Flammen schlugen; beißender Rauch drang in unsere Nasen und vernebelte uns die Gehirne.

Ein schwarz gekleideter Wikingertyp mit Flügeln stand furchtlos davor und erklärte uns die traditionellen Fischräuchermethoden, bevor sich alle ein Stück Lachs, Hering oder Makrele aus dem Inferno reinzogen. Außer mir.

Luis in der Rikscha
Lieber chillen!

Der Sache mit den Wikingerflügeln war die Chefin übrigens auf den Grund gegangen. Man sah die Dinger nicht sofort, beziehungsweise nur im Ansatz. Aber sie hat alles gecheckt und wird euch brühwarm darüber berichten. Fünf Schlote zählte ich von außen, als wir dem Ort von Hitze und Rauch den Rücken kehrten.

Da ließ ich mich doch lieber von zarten Designerhänden entwenden! Um uns herum bunte Stoffe, Wolle und Strickteile. Wir waren immer noch in Svaneke, dem lebendigsten Inseldorf der Saison, erklärter Liebling der Touristen. Klar, dass sich in den bunten Häusern des alten Fischerdorfs nun die Kreativen niedergelassen hatten.

Die Chefin genehmigte sich erst einmal ein original Bornholmer Eis und schien mir seltsam entrückt. Um uns herum tobte der Bär, alle boten ihre Strickwaren und Pflanzen auf dem Marktplatz an. Um die Ecke wurden Lakritze fabriziert, Pralinen gegossen, Bonbons gekocht und Bier gebraut.

Das zweckentfremdete Schaf
Das zweckentfremdete Schaf

Aber das wichtigste Thema schien Wolle zu sein. Musste ich um meinen Pelz fürchten? Ich machte auf cool. Diese Designerin tauchte auf. Wir guckten, sie schnitt, ohne dass ein Strickteil zeriffelte… Das Wunder von Svaneke.

Für die Wolle hatten übrigens einige Kumpels aus Schottland ihr Fell gelassen. Ein Akt der Charity. Denn auch ein Nicht-Schaf braucht ja was Warmes für den Winter.

Gerade, als wir ein Shooting zwischen den fertigen Klamotten im Laden machten, passierte es. Eine Entführung! Die Designerin griff nach mir. Hatte sie nicht genug Schotten-Material?

Mit Schwung landete ich auf einem Regal, direkt neben einem Schild. Ein kleiner Scherz! Dort wollte ich auf gar keinen Fall bleiben, denn schaut mal genau… Help! I need somebody! Help! Not just anybody! Help! Aber die Situation entschärfte sich schneller, als ich dachte. Zumal ich ja kein Welpe war.

Luis in Østerlars
Kultur-Spot

Wir mussten nämlich weiter: Termin mit einer Rundkirche. Vier von den sieben Dänischen standen nämlich auf Bornholm. Der Ältesten davon statteten wir einen Besuch ab: Was für ein Wahnsinnsgemäuer!

Die dicksten Wände, die mir jemals untergekommen sind. Zwei Meter. Ging es um gute Isolierung? Ums Energiesparen – schon im Mittelalter? Als wir uns ein wenig in der Østerlars Kirke umsahen und über klobige Stufen nach oben kletterten, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Verteidigung! Die Kirche schützte die Einwohner wie der wuchtige Bauch eines Walfischs.

Das Gotteshaus als Festung: Schmale Gucklöcher im oberen Bereich konnten als Schießschachte genutzt werden. Kein Wunder, bei der exponierten Lage der Insel in der Ostsee. Da waren diverse Interessen im Spiel. Much traffic. Damals natürlich ohne Fähren.

Das Schöne an Inseln wie Bornholm ist ja, dass man mit dem Schiff an- und abreisen kann. Slow motion. Reggae im Herzen: Sun is shining, the weather is sweet. Zurück aufs Meer, zurück zu den Kreidefelsen.

Und weil mich das jedes Mal so umhaut, bin ich morgen schon wieder unterwegs: am Øresund – eine Pendeltour zwischen Dänemark und Schweden.

Stay tuned, my friends! With love

Euer

Luis Maria Fernando da Silva Santos

Fotos: Elke Weiler

Danke an die Reederei Færgen, Destination Bornholm und Sannes Familiencamping, die diese Reise ermöglicht haben.

5 thoughts on “Ein Schaf auf Bornholm

  1. Hallo Elke, Hallo Luis

    Euer Reisebericht ist herrlich. Habe viel gesmunselt und Luis sein Zwillingsbruder Rasti auch. Danke weiterso

    liebe Grüße Rasti und Wolle von Seltsam

  2. Luis, old fellow, Du warst auf Bornholm – meiner Lieblingsinsel! Slow Motion für Fortgeschrittene – selbst in der Hochsaison ist es nicht brechend voll. Ok, Svaneke ist ein Magnet, von seinen Bewohnern gepflegt und gut in Schuss gehalten, ist es wirklich ein Schmuckstück. Die Stadt hat eine Europäische Medaille für ihre Behmühungen erhalten. Richtig schön zum Bummeln und Schauen und Leute treffen. Warst Du am Havn und hast geschaut, was die Fischer an Land bringen? Da kannst Du Segelschiffe und Motoryachten sehen, da geht Männern das Herz auf. Schade, dass Du Vegetarier bist – am Havn Kiosk gibt’s die besten Burger der Insel, sagen Kenner… Die Hafenkulisse ist Szenerie eines sommerlichen Feuerwerks, das Deine Rasterlocken glänzen lässt, da kannst Du richtig grooven :-)

  3. Hallo Sabine,
    ich antworte mal für den Luis. Der ist ja gerade wieder unterwegs auf seiner Weltreise ohne Kohle und vermutlich noch nicht in Schweden angekommen. Bornholm haben wir mal gemeinsam bereist und für sehr schön befunden. Danke für die Ergänzungen! Den Tipp mit dem Han Kiosk merke ich mir fürs nächste Mal! :-)
    Liebe Grüße, Elke

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