Berlin vorm Balkon

Prenzlauer Berg

Der Prenzlauer Berg. Das Kinderwunder. Der Helmholtzplatz. Ich habe das Gefühl, mitten im Epizentrum gelandet zu sein. Wie ein Fels in der Brandung erhebt sich die Grünanlage in der Mitte des Platzes. Als bester Beweis und damit Symbol für den Boom. Der Helmholtzplatz – für Berlin mindestens so wichtig wie das Brandenburger Tor, der Fernsehturm, der Mond und die Sterne.

Jeder Taxifahrer kennt ihn. Und das nicht erst, seit „Sommer vorm Balkon“ hier gedreht wurde. Eine Art Hügel mit Bäumen und Büschen – mitten in der steinernen Stadt. Vor allem funktioniert er als Spielplatz. Und wenn die jungen und mittelalten Eltern vom Job zurückkehren, treffen sich alle Kids hier, wo tagsüber Elternzeitler ihre Kinderwagen schieben.

Ich gehe in eine Apotheke, in der gerade Chaos herrrscht. Verzweifelt sind alle Anwesenden inklusive Papa damit beschäftigt, ein Kleinkind zu beruhigen, das sich wehgetan hat. Misslungener Versuch. Ich kann auch nichts beitragen, außer wartend daneben zu stehen.

Papa und Kind gehen hinaus, kommen aber schnell wieder, da der Bestechungsversuch mit einem Apothekerbonbon im ersten Anlauf schief ging. Aber es gibt Nachschub, Ruhe kehrt ein, die Fronten sind geschlichtet. Der Existenz von Lutschbonbons sei Dank.

Streetart im Helmholtzkiez
Lebhafte Wände im Kiez

Ich schlendere motiviert durchs Viertel, in dem ich mich fast heimisch fühle. Ich wohne nämlich hier, wenn auch nur für fünf Tage im März. Und mein Apartment ist so süß eingerichtet, als wäre es normalerweise von jemandem mit einem ähnlichen Geschmack bewohnt.

Passe ich also zur Wohnung, oder passt sie zu mir? Eines ist sicher: Bei mir wäre sie weniger aufgeräumt. Getreu dem Motto des kreativen Chaos.

Mein Leben im Helmholtzkiez

Auf dem kleinen Balkon sprießen die ersten Frühjahrsblüher, auf dem Küchentisch ein Strauß gelber Tulpen. Morgens mache ich mir einen Kaffee mit einer kleinen Espresso-Maschine, schäume Milch auf und esse schwedische Haferkekse, während ich auf die Zeitung von vorgestern krümele. Wahlweise auf den neuen Merian von Berlin. Mein Leben im Helmholtzkiez.

Vermutlich beobachten mich die Nachbarn aus dem Vorderhaus dabei, vielleicht haben sie auch was Besseres zu tun. Mein Mitarbeiter Luis, das Rastaschaf, besetzt schon seit Tagen den Schaukelstuhl, dafür gehört mir das Doppelbett ganz allein. Daneben wacht ein Frosch mit guten Yogakenntnissen in meditierender Pose über meinen Schlaf.

Home sweet Home auf Zeit

Wenn ich nach Hause komme, gehört mir außerdem das Sofa – ideal zum After-Messe-Surfen im Halbliegen, während das Smartphone eingestöpselt in der Mini-Stereoanlage meine Lieblingssongs spielt.

W-Lan ist frei und flott, Gastgeber Michele hat Namen und Passwort dagelassen. Und auch sonst hat er an alles gedacht. Im Kühlschank steht eine Flasche Sekt, für die es leider keine Gelegenheit geben wird.

Vintage Flair und Lässigkeit

Das Haus ist so hellhörig, wie es in diesen Altbauten eben ist. Du fühlst dich mittendrin im Leben der Nachbarn, mitten in der Metropole. Egal, ob das Kind in der Wohnung über dir über den Boden rollt oder ein Solo-Nachbar morgens dumpfe Musik zum Aufwachen hört. Das pralle Leben.

Die Deko „meiner“ Wohnung stammt vermutlich aus den kleinen Läden des Viertels. Ebenso wie die Klamotten-, Kinderläden und netten Cafés geben sie dem Prenzlauer Berg ein Gesicht. Wie die Gründerzeithäuser ohne Aufzüge. Wie die größtenteils familiär orientierten Bewohner mit ihrem lässigen Look.

Statt teuer und schick findest du im Kiez eher die sportliche Note, so etwas wie Understatement mit Pfiff. Individuell und gekonnt gemixt. Jener Prenzlauer Style ist familienintern fortführbar – nicht zuletzt auch dank des Angebots an individuellen Kindershops.

Die geselligen Zwerge nennen übrigens auch einen Treffpunkt ihr eigen. Mit Flohmarkt, Kinderdisco, Theater, Café, Spielsachen und beheiztem Innen-Sandkasten. Mitten auf dem heiligen Helmholtz-Hügel.

Vor mir laufen zwei Hüter des Schatzes, Erwachsene mit einem ganzen Kindergarten an der Hand. Alle hübsch mit den Signalwesten eines großen schwedischen Möbelhauses eingekleidet. Man unterhält sich über Pommes – ein beliebtes Thema unter Zwergen. Genau wie Süßes.

Eiszeit

Deswegen hat der Helmholtzplatz natürlich auch eine wundervolle kleine Eisdiele – alles handmade vor Ort. Gestern war der letzte warme Tag dieses ersten Frühlingsausbruchs und dementsprechend lang die Schlange vor dem Eis.

Heute herrscht wieder Eiszeit und vielleicht sollte ich die Gelegenheit nutzen. Aber erst einmal etwas Warmes. Ein spätes, zweites, opulentes Frühstück in „Caterinas Liaison“. Mit Milchkaffee und einem Kunstwerk aus Käse, Aufschnitt, Obst, Salat, Marmelade. Frühstücken geht hier bis zum Nachmittag, so wie es die Berliner am Wochenende lieben. Vorher dann ausreichend Zeit zum Kindermachen.

Im Innenhof meiner vorübergehenden Residenz sortiert ein Vater gerade sein Fahrrad und diverse Utensilien, als ich zurückkomme. Dabei rollt ein Kinderhelm geradewegs vor meine Füße. Zufall, ein Zeichen oder versteckter Hinweis?

Wir lachen. Was die Berliner hier treiben, scheint ansteckend zu sein. Darum ist der Prenzlauer Berg also so. Jung, kreativ und lebhaft. Ich jedenfalls mag ihn so. Was fehlt, ist der Sommer vor meinem Balkon.

Text und Fotos: Elke Weiler

14 thoughts on “Berlin vorm Balkon

  1. Ach Mensch, der Prenzlberg ist doch voll out! Hätten wir mehr Zeit gehabt, hätte ich euch mal in meinen Kietz geschleppt! Im F’hain gibts nämlich auch Fahrräder, Helme und Plätze… vor allem aber Heavy Metal Kneipen, Comic- und Plattenstores und absurde Galerien ;)
    Näxtes Mal! Und grüß den Luis ;)
    LG Claudi

  2. Sehr charmant, wirklich sehr sympatisch. Mir gefallen die hellen und freundlichen Farben deiner Unterkunft und die Art deines Berichtes. Das weckt ein „Ich will dabei sein“ Gefühl… Hach ja…

  3. Ach … Heimweh nach Berlin. Drei Jahre in diesem Kietz leben und arbeiten.
    Fotos + Texte wie immer so das man gleich da sein möchte und mit Dir die Flasche Sekt geniessen möchte.
    Danke sagt Daniela

  4. Die Fotos sehen so schön nach Sommer aus. Ich glaub, du hast monstermäßig Glück gehabt, weil jetzt das absolute Schneechaos in Berlin herrscht!

    1. Da hast du Recht, Sandra! Das Glück dauerte genau zwei Tage, und da sah man die Leute schön draußen sitzen und in die Sonne blinzeln… Dieser Schnee war ja überhaupt nicht eingeplant! ;-)

  5. Richtig klasse geschrieben! Ich konnte förmlich die Kinder kreischen und lachen hören…
    Ich muss sagen, dass mir Berlin immer besser gefällt, je öfter ich dort bin.

    Liebe Grüße
    Jessi

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