Als ich in den Öresund sprang

Genauer gesagt, sprang ich nicht. Ich ging über Stufen ins Wasser. Ich wandelte. Ohne alles, ohne Sorgen und Klamotten. Obwohl das Wasser die Temperatur eines Eisschranks hatte. Doch es war so klar, grün und leuchtete im Abendlicht, ich musste es einfach tun.

Wie das passieren konnte?

Harmlos, es begann harmlos. Ich wollte nach Malmö, schon seit Jahren, wenn auch nicht wegen des Kaltbadehauses. Kopenhagen hatte ich bereits kennengelernt, mit jedem Besuch ein bisschen mehr. Da blieb keine Zeit für die Stadt auf der anderen Seite.

Jetzt aber. Während ich mit dem Öresundtåg über die Meeresenge brause, entdecke ich die Stelle des Showdowns der ersten Staffel von „Die Brücke“. Ich hasse Serien, doch „Die Brücke“ ist wunderbar, aufregend und skandinavisch. Eine Krimiserie, die in Kopenhagen und Malmö spielt. Obwohl in beiden Städten ewiger Winter und meist Dunkelheit herrschen, weil das besser zum Krimi passt.

Malmö downtown
Nein, Malmö ist nicht so grau und dunkel wie im Krimi.

Die Wahrheit an diesem warmen Frühlingstag: Malmö strahlt. Ich wohne in der Gamla Staden, so heißt die Altstadt auf Schwedisch. Hübsche Häuser aus diversen Epochen, vor allem rund um den Lilla Torg, den kleinen Platz.

Mit dem Rad zum Westhafen

Mittags und abends steppt hier der Bär, es duftet nach Gegrilltem, und die Leute sitzen bis zu den letzten Sonnenstrahlen draußen. Und Sommerabende dauern lang in Skandinavien. Dass der April und Mai in diesem Jahr schon Sommer mitbringen, ist ein Glück.

Ich erobere Malmö mit dem Fahrrad, es ist nicht weit zum neuen Teil der Stadt: Västra Hamnen, der Westhafen. Das neue Wahrzeichen dreht sich in den Himmel, Architektur im Kontrapost sozusagen: der Turning Torso von Calatrava.

Am Öresund
Bestes Fortbewegungsmittel

Rundherum Wohnhäuser, schick, am Wasser gelegen. Mit Blick auf den Öresund. Ein paar Boutiquen und Lokale. Im „Salt & Brygga“ gefällt mir die kleine Mittagskarte, bio und regional. Ich wähle Würstchen, sehr lecker, Kartoffelsalat mit Öl und Kräutern. Als Gruß aus der Küche kommt Gemüse-Couscous, das Brot selbst gebacken. Alles mit Blick auf die Brücke.

Später düse ich noch ein bisschen durch Västra Hamnen, versuche den Turning Torso in allen Lebenslagen abzulichten, und dann geht’s weiter nach Ribersborg. Hier sind die Sandstrände der Stadt. Es ist Abend, Wasser, Brücke und Architektur in ein magisches Licht getaucht.

Dann sehe ich es vor mir: ein langer Steg, an dessen Ende sich ein flaches Gebäude aus Holz über dem Wasser ausbreitet, etwa 50 Meter oder mehr vom Ufer entfernt.

Im Kaltbadehaus

Blau und grün das Wasser, mintgrün der Holzbau darüber. Ein Relikt aus einer anderen Zeit? Im Rucksack sind die Badesachen. Traue ich mich? Ich laufe über den Steg, noch kann ich umkehren.

Doch als ich mit dem Mann im Café rede, gibt es kein Zurück mehr. Er drückt mir ein Schloss, ein Handtuch und ein Stück Vlies in die Hand, schickt mich in die Frauenabteilung.

Die Badeklamotten? Kann ich theoretisch draußen anziehen, nicht jedoch in der Sauna. Auf den Vlies darf ich mich setzen, falls nicht auf das Handtuch. Ich laufe an kleinen Umkleiden vorbei, die verwaist sind und eher dekorativ wirken.

Vor mir der Öresund. Das Kaltbadehaus von Malmö kommt in der Krimiserie nicht vor. Wenn doch, hätten sie nackte Menschen zeigen müssen, die im Abendlicht aufs Wasser schauen und reden, reden, reden.

Malmö, Strand
Die Strände von Ribersborg

Ich packe die Badesachen nicht aus, alle um mich herum sind nackt, die Kinder, die jungen wie älteren Frauen. Und es ist ganz natürlich, wenn auch erst ungewohnt für mich. Ich habe mir an der Kasse alles ganz genau erklären lassen: erst duschen, dann schwitzen, dann abkühlen. Im Öresund.

In der Sauna geht es hoch her, wie beim Kaffeeklatsch ohne Kaffee. Die Schwedinnen lächeln mich an, freundlich, alle haben hervorragende Laune. Ich auch. Ich gucke aufs Wasser, auch in der Sauna. Kurz vor dem Kollaps, den ich wegen der Aussicht kaum bemerke, nehme ich mein Handtuch und gehe hinaus. Zu einem der Stege, die ins Wasser führen. Es leuchtet.

Jetzt kommt der spannende Moment. Sie grinsen mich an: Traut sie sich? Sie wissen alles. Dass ich zum ersten Mal dort bin, verklemmt und eine Frostbeule. Aber sie wissen nicht: Ich wohne in Norddeutschland und bade in der Nordsee. Mit Badeanzug, da ist der Bauch wenigstens im ersten Moment vor Kälte geschützt.

Jetzt also ohne alles, aber mit Saunahitze, wunderbar. Ich spüre den ersten Moment nicht so, tauche ein, ohne zu zögern, schwimme los. Ohne Schreie. Dann aber erwischt sie mich, die Kälte, also wieder zurück. Die Schwedinnen lächeln. Auch von ihnen hält es keine länger aus.

Kaltbadehaus mit Stil
Wie neugeboren.

Irgendwie bin ich stolz, fühle mich frisch, verjüngt, lebendig. Und so wiederhole ich die Prozedur einige Male. Langsam werde zum Fan von Kaltbadehäusern, bin für eine sofortige Einrichtung einer Sauna am heimischen Everschopsiel. Dort kann ich zwar nicht auf die magische Brücke schauen, aber auf die Nordsee, falls sie da ist. Und baden. Kalt genug ist es auch.

So begann am 19. Mai diesen Jahres die Badesaison für mich. Und ich ernenne das Kaltbadehaus von Malmö zu meinem Lieblingsplatz am Meer.

Kaltbadehaus Malmö
Was für ein Start!

Text und Fotos: Elke Weiler

P.S.: Zwischenzeitlich habe ich ein weiteres Kaltbadehaus am Öresund getestet – und zwar in Bjärred. Natürlich ist es ganz anders, aber lest lieber selbst.

26 thoughts on “Als ich in den Öresund sprang

  1. MUTIG! ich wäre ja vermutlich ohne Sauna ins Wasser gegangen – und mit Badeanzug. Aber andere Länder, andere Sitten :D
    Und, wie kommt der heimische Saunabau voran? Hast du dem Bürgermeister schon Vorschläge gemacht? ;)

    LG aus der natürlichen Trockensauna Berlin
    Claudi

    1. Es ist wahrscheinlicher, dass wir an den Öresund ziehen, als dass der Bürgermeister hier eine Sauna baut…. ;-)

      Ist es immer noch heiß in Berlin? Wir hatten Gewitter…

  2. Liebe Elke, wieder mal ein sehr sehr sehr stimmungsvoller und „neidischmachender“ Artikel. Schön, dass du mit dem dunklen Klischee aus der spannenden Krimiserie aufräumst… Ich liebe die Serie, aber die hellen Momente hier gefallen mir doch besser ;-)

  3. Ja? Wirklich? Wahnsinn! Ziemlich mutig! Dort stehen also die hübschen türkisen Häuser, in die ich mich verliebt habe? Aber wenn man da nackt baden muss, ist das – glaube ich – nichts für mich … Na ja, vielleicht sollte ich es mal darauf ankommen lassen? Neugierig bin ich jetzt ja! Sonnige Grüße,
    Jutta

    1. Über die türkisen Häuser werde ich noch berichten, die stehen im Zentrum. Ich hätte auch nie gedacht, dass ich das mache! Also nackt im Öresund baden. Erschien mir dann aber ganz natürlich. Natürlich kalt auch. :-D

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