Im Bauch des Fisches

Früh am Morgen wecken mich die gurrenden, geräuschvoll umherflatternden Tauben und schreiende Möwen. Die offenen Fenster meiner kleinen Wohnung führen auf einen Innenhof, mehr Schacht als Patio. Venedig – die Enge der Stadt, die Ruhe des Wassers, die Gelassenheit des Fisches. Keine Autos, keine Straßenbahnen, ein Leben im plätschernden Rhythmus der Kanäle.

Zuletzt habe ich in einem kleinen Hotel direkt an einem Kanal gewohnt. In Dorsoduro, meinem Lieblingsviertel. Die Einrichtung typisch venezianisch, etwas altmodisch mit Understatement. Der Blick aus dem Fenster ein Spektakel. Wie sich das Licht im Wasser spiegelte und brach, wie es in unser Zimmer drang. Überhaupt, das Licht. Manchmal fehlt es ganz, und es zieht mich im Winter hierher.

Doch jener Februar war voller Sonne. Wir mochten das Klopfen zur verabredeten Zeit: Frühstück im Zimmer mit Aussicht. Leider habe ich es im Wust ansonsten eher überteuerter Angebote für Venedig dieses Mal nicht wiedergefunden. Und so bin ich nun in San Polo gelandet, mittendrin im Bauch des Fisches. Schon beim Anflug gut sichtbar, diese einzigartige Form der Hauptinsel.

Der Fisch und seine Inseln
Der Fisch und seine Inseln

Ich habe den Expressbus vom Flughafen zur Piazzale Roma genommen, 20 Minuten unter Brasilianern, der Sound eines auf der Zunge wie Eis schmelzenden Portugiesischs. Venedig empfängt mich mit Regen auf der Piazzale, wo ich ins Vaporetto mit der Nummer 1 umsteige. 7,50 Euro bis Rialto Mercato, habe ich richtig verstanden?

Richtung San Polo

Glockengeläut über der alten Stadt, die immer noch von ihrer Schönheit lebt, vielleicht mehr denn je. Der die jungen Leute abhanden kommen, weil sie erst auf dem Festland bezahlbaren Wohnraum finden. Dass sich die Touristen Venedig noch leisten können, grenzt an ein Wunder.

Doch kaum, dass ich übers Wasser schippere, vorbei an den schönsten gotischen Fassaden, flankiert von Booten und Gondeln, fühle ich mich wie Zuhause. Ein junger Mann steht neben mir und spricht aufgeregt ins Leere, Kopfhörer in den Ohren. Die ganz normale italienische Realität also. Oder fast.

Das Herz verkauft man nicht.
Das Herz verkauft man nicht.

Nur sechs Stationen, dabei könnte ich ewig so weiter fahren, die Zeit auf dem Wasser vergessen. Wohl nicht den Raum. Auf die Markise des Rialto-Marktes hat jemand auf Italienisch gesprüht: „Das Herz verkauft man nicht!“ Ein älterer, längst überholter Protest der Händler gegen die Absicht hier ein anderes Museum als das über den Mythos Venedigs einzurichten.

Eine Wohnung in Venedig

An der Haltestelle warte ich auf eine Kontaktperson. Jemand wird mich zu meinem Apartment führen, hier in San Polo. Der Boden ist noch nass, die Luft frisch vom Regen, nur wenig Leute unterwegs. Kein Vergleich zum brausenden Tagesbetrieb. Wir queren nur über eine Brücke, das heißt nah in Venedig. Dann stehen wir in der Gasse vor dem Haus mit der vierstelligen Nummer.

Der Fisch ist in sechs Stücke unterteilt, daher heißen die Viertel „Sestieri“ und sie sind schlichtweg durchnummeriert. Eine schmale Stiege führt in den dritten Stock, etwas anderes habe ich in Venedig nicht erwartet, wo Platz Mangelware ist, Luxus meint. Schöne Terrazzoböden, teilweise bröckelig. Diese spezielle Charme der Stadt, die spürbare Vergänglichkeit.

Nur die Wohnung ist frisch renoviert, alles in Weiß und Grau gehalten, mit ein paar Farbtupfern. Als wolle sie die Enge und das Alter der Stadt leugnen. Aber schon bald holt mich die Realität der Stadt wieder ein. Im Flur knallt es, die Sicherungen fliegen raus, ein Problem mit der Spannung? Ich rufe die angegebene Notdienstnummer, spreche aufs Band.

Zeit fürs Dinner, italienische Zeit. Ich hatte den freundlichen Schlüsselüberreicher nach einem guten und bezahlbaren Lokal in der Nähe gefragt, und der Tipp kommt prompt: Die „Cantina do Spade“ liegt nicht nur um die Ecke, sie ist auch voller Einheimischer. Wie lange habe keine Spaghetti Vongole mehr gegessen! Dazu ein Glas Prosecco, das ist quasi Pflicht im Veneto. Und zum Nachtisch Tiramisù!

Italien, du hast mich wieder.

Und am nächsten Tag habe ich vor allem eines vor: mich einfach zu verlieren. In San Polo, in Venedig, auf den Inseln.

Text und Fotos: Elke Weiler

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