Der Duft von Tee

Im Speicherstadtmuseum von Hamburg

Graugänse auf dem Rathausmarkt? Sonst wohnen sie auf Feld und Wiese, und zeigen sich beim Vogelkiek – in Nordfriesland oder woanders. Doch mitten in Hamburg spazieren die Wasservögel gelassen übers Pflaster.

Renate meint, sie picken das Grün zwischen den Ritzen weg. Nicht gerade ein üppiges Mahl. Ich habe es mir im hinteren Teil des aerodynamisch gestylten Fahrradtaxis gemütlich gemacht und lasse mich zur Speicherstadt kutschieren. Ein sonniger Herbsttag mit fast winterlichen Temperaturen.

Die Pedalofahrerin wird bald nur noch an den Wochenenden unterwegs sein, dann steigt die Nachfrage wieder an. Renate erzählt, dass es den Gästen erst unter null Grad zu kalt im Velo wird. Die Decken liegen griffbereit, doch ich friere nicht. Gemächlich geht es voran, wir frönen der Langsamkeit.

Mit dem Radtaxi durch Hamburg
Cooles Radtaxi.

Hier und dort ein Fotostopp oder: Sightseeing light. Dafür wäre im normalen Taxi keine Zeit. Und umweltfreundlicher sind wir ohnehin. Renate hält auf einer Brücke und zeigt mir die Fleetseite der Häuser von der Deichstraße. Ein Stück Hamburger Geschichte, hübsche Bürgerhäuser aus dem 17. bis 19. Jahrhundert.

Am Sandtorkai

Dann sind wir auch schon in der Speicherstadt gelandet, und sie lässt mich am gleichnamigen Museum heraus. Als ich die Tür des ehemaligen Lagerhauses am Sandtorkai öffne, strömt mir ein intensiver Teeduft entgegen. Kein Wunder, die Exponate gruppieren sich quasi um das Museumscafé „Kaffeeklappe“ – und hier werden eifrig Teeblätter gekocht. Wer will, kriegt aber auch Kaffee und Kuchen. Bis auf letzteres passt das bestens ins Konzept, denn die exotischen Genussmittel zählten zu den wichtigsten Lagerwaren der Speicherstadt.

Schade, dass nicht Samstag ist, denn dann hätte ich sogar die reale Chance auf eine Teeverkostung gehabt. So sehe ich nur, dass für den nächsten Termin schon alles griffbereit steht: Dosen, Kännchen, Tassen. Tee. Der alte Kleinröster für die Kaffeebohnen dient nur noch als Ausstellungsstück, und die gefüllten Gewürzgläser weisen auf weitere wichtige Güter aus Übersee hin. Im Freihafen herrschte zollfreie Einfuhr, Lagerung und Verarbeitung von Importgütern, erfahre ich.

Heute steht hier alles unter Denkmalschutz. Dass die Bebauung der Brookinseln so einheitlich wirkt, hat einen Grund. Was nämlich teilweise auf der Deichstraße noch aus dem 17. Jahrhundert erfreut, wurde im Süden der Altstadt zur Errichtung der Lagerhäuser im 19. Jahrhundert abgerissen: die Fachwerkhäuser von Handwerkern, Gastwirten und Ladeninhabern. Und auch die Bürgerhäuser im Barockstil, Residenzen wohlhabender Kaufleute.

Tee trinken im Speicherstadtmuseum
Teeverkostung im Museum

Schade eigentlich. Doch spätestens der zweite Weltkrieg hätte die alte Bebauung vermutlich zerstört. Die Speicherstadt jedenfalls ging zur Hälfte zu Bruch, wurde aber wieder aufgebaut, rekonstruiert oder auch neugestaltet. Ich stehe vor alten Schwarzweißaufnahmen und sehe, wie starke Männer ihre Schuten, motorlose Lastenkähne, durchs Flachwasser staken. Mit einer Holzstange.

Der Blick von außen

So kamen also die Waren zu den Lagerhäusern – alles auf dem Wasserweg. Wer immer schon alles über Stroppen und Seemansknoten erfahren wollte, wird hier aufgeklärt. Denn die Säcke wurden an Winden in die Speicher gezogen, eine auf der Straßenseite, eine am Fleet. Dazu war tiefer gehende Kenntnis auf dem Fachgebiet „Seile“ vonnöten.

Nachher schaue ich mir das Ganze live von draußen an. Schließlich werden die Speicher ja immer noch benutzt, und die Kranhaken der Lastenwinde baumeln hoch oben. Allerdings lagert hier nicht mehr Kakao oder ähnliches. Perserteppiche dominieren das Angebot hinter rotbraunen Fassaden. Vorbild: Backsteingotik. Aufgelockert wird die Gliederung durch Gesimse und Friese, Bänder. Ornamente aus gelben und grün lasierten Ziegeln setzen Akzente. Solide und leicht verschnörkelt.

Speicherstadt Hamburg
Hamburg, Wasserstadt

Kaum zu glauben, dass die Speicherstadt immer noch auf den zwölf Meter langen, alten Eichenholzpfählen steht. Ich muss an Venedig denken. Auch dort trägt Holz die Gebäude, auch dort stakt man durch die Kanäle. Immer noch. Schade, dass es in Hamburg keine Gondeln gibt.

Wobei die Fahrt mit einer Schute wesentlich origineller wäre. Ohne Motor, wie damals. Lautlos durch die Fleete. Stattdessen teste ich die Gastronomie des Viertels: Pizza, Pasta oder persisches Gulasch? Norddeutsch, japanisch oder nordamerikanisch?

Ein Hauch von Internationalität in der Speicherstadt – wie einst das Angebot im Freihafen. Der Duft der weiten Welt.

Text und Fotos: Elke Weiler

14 thoughts on “Der Duft von Tee

  1. Hach****, ich würd sofort mitkommen.
    War aber neulich erst da. Und dies internationale Flair versus alter Speicherhäuser, wirklich spannend!
    Schön geschrieben!

    LG Levke

      1. Hallo, es ist so schön eure Berichte zu lesen-wer schreibt sie,wechselt ihr euch dabei ab?-.Es klingt nach vielen intensiven Erlebnissen, die wahrscheinlich nur ansatzweise schriftlich vermittelbar sind. Noch eine gute Zeit für euch alle, herzliche Grüße von Corinna

  2. Wir waren neulich auch in Hamburg und haben leider nur einen Teil der Speicherstadt sehen können – vom Fähranleger bis zum Miniatur Wunderland. Auf dem Rückweg haben wir uns etwas mehr Zeit gelassen, aber erst dort gesehen wie groß die Speicherstadt eigentlich ist.

    Danke für deinen kurzen Ausflug in die Backsteinwelt Hamburgs!

    Viele Grüße,
    Alex

    1. Gerne, Alex!

      Als nächstes steht für mich in Hamburg die HafenCity auf dem Programm. Da war ich zwar schon mehrmals, hab aber das Gefühl, noch nicht viel zu kennen… ;-)

  3. O wie schön jeden Tag von euch zu lesen. und die Bilder vor Augen und im Kopf zu haben von dem, was ihr erlebt. Liebe Grüße aus dem herbstlichen Deutschland heute mit Wind und Regen, Bettina

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