Morgens in Raval

Wir trinken einen „café con leche“ in der Boquería. Über die Rambla de Raval sind wir zur Markthalle geschlendert und haben an einer Kaffeebar die letzten Thekenplätze ergattert. So schaue ich dem Barista auf den gar nicht breiten Rücken, während heißer Dampf aus der Schaumdrüse der Kaffeemaschine zischt.

Barcelona mal wieder. Würde ich in Raval wohnen, und ich würde gerne in Raval wohnen, wäre ich ständig in der Boquería, um zwischen Fischen und Früchten zu frühstücken. Heute müssen es Churros sein, ein längliches, krapfenartiges Gebäck. Es ist dieser Moment des kaum vernehmbaren Knackens beim Abbeißen. Das Herzhafte des frittierten Teigs. Churros – allein dafür lohnt es sich, das Leben, die Reise, alles.

Der Markt füllt sich langsam, die beste Zeit also, umherzuschlendern und den Händlern beim Aufbau der Obstberge zuzuschauen. Rein hypothetisch einen Fisch zum Dinner, faktisch einen Turrón, weißes Nougat, als Mitbringsel auszuwählen. Was ist mit Tapas? Vielleicht komme ich in der Mittagszeit zurück zum Markt, vielleicht auch nicht. Ich möchte mich in Raval ein wenig umsehen, das sich in den letzten Jahren vom verrufenen zum trendigen Viertel gemausert hat.

Die Kollegin Cornelia hat nach dem Kaffee andere Pläne und biegt rechts von der Rambla ins Barri Gotic ab. Raval ist anders. Hipper, bunter, jünger. Weniger gestylt und nicht so geschäftig wie der Rest der Altstadt. Viele der kleinen Läden sind vor elf Uhr noch geschlossen, Raval erwacht noch später als sein Markt.

Der neue Trend: Krönuts!

Doch „Chöc the chocolate kitchen“ auf der Carrer del Carme lässt bereits hypnotische Düfte aus der weit geöffneten Tür verströmen. Ich bewundere die wilde Komposition aus sogenannten Krönuts im Schaufenster. Ein Trend aus New York City, wo die Verschmelzung von Croissant und Donut zum Cronut für Furore sorgte. Leider habe ich in der Boquería ja schon die Krapfen inhaliert und kann beim besten Willen keinen Krönut mehr nachschieben.

Krönuts in Barcelona
OMG – Krönuts!

Ein paar Gassen weiter sehe ich eine Heiligenfigur im Schaufenster, umzingelt von Kräutern. Eine ältere Frau mit apfelsinenrot gefärbtem Haar steht hinter der Theke des nostalgischen Lädchens und lächelt mich freundlich an. Mein Spanisch ist nicht wirklich gesellschaftsfähig, daher beschränke ich mich auf das Nötigste. Aber das muss sitzen. Was denn, ein Sonnenöl mit Kokosnuss und Frangipani aus Tahiti? Sie angelt die Flasche aus dem Regal und erklärt: „Made in Barcelona“. Ohne Silikone und so.

Perfekt. Wie eine karibische Kokosnuss duftend ziehe ich weiter durch die schmalen Gassen von Raval. Vor dem MACBA, dem Museu d’Art Contemporani de Barcelona, tanzen die Skater auf ihren Brettern nach einer Choreografie, die keiner kennt. Alles im Fluss. Studenten hocken auf der Plaça dels Angels in der Sonne, vertieft in ihre Bücher.

Schräg gegenüber entdecke ich die Initiative BioBui(L)t-Txema: Rund um eine Architektur, die sich nach zweckentfremdeter Kirche anfühlt, Graffiti und Vertikelgärten. Doch die Pforten sind geschlossen, niemand kann mir sagen, ob es sich um eine permanente Einrichtung handelt. Ob sie sich im Viertel zusammengeschlossen haben zum Urban Gardening.

Radfahren in Barcelona

Zu Raval würde das passen, doch ganz Barcelona ist stets für eine Überraschung gut. So wie gestern, als wir bei dichtem Nebel in den Hafen einfuhren. Was für ein Gefühl, mit dem Schiff in dieses weißgraue Nichts einzutauchen. Aber Nebel im Mai über dem Mittelmeer?

Nebulös, das alles!
Nebulös, das alles!

Da lösten sich die Schwaden mit einem Mal auf. Barcelona hob den Vorhang an, die Vorstellung konnte beginnen. Wir haben Jaume und Debora am Hafen getroffen, die Fahrräder vermieten und Touren organisieren. Radfahren in Barcelona? Wieder eine Überraschung. Zwei Stunden sind wir mit den beiden Katalanen durch die Altstadt geradelt, Raval haben wir dabei nur gestreift.

Katalanisches Tomatenbrot

Trotz enger Straßen und Trubel klappte es besser als vermutet. Dass wir überhaupt in der Fußgängerzone fahren durften! An einigen breiteren Straßen gibt es sogar Radstreifen, wenn auch nur schmal, dem Bürgersteig abgezwackt. Im Prinzip also wie in Deutschland, wo Radfahrer als schnelle Fußgänger angesehen werden. Zeichen der Verständigung tauschen die Radler hier nicht aus, Barcelona ist nicht Kopenhagen.

Im Parc de la Ciutadella
Im Parc de la Ciutadella

Inzwischen habe ich in Raval den sympathischen Laden „Bar Lobo“ an der Carrer del Pintor Fortuny für ein „light lunch“ aufgetan. Nachdem ich gestern Abend bereits den „pimientos de padrón“, gebratenen grünen Paprikaschoten, und meinen Lieblingskartoffeln, den würzigen „patatas bravas“ gefrönt habe, muss heute das katalanische Brot „Pa amb tomaquet“ herhalten.

Raval wäre einen Wohnversuch wert, das wird mir beim Tomatenbrot immer klarer.

Als hätte ich meine Hood entdeckt, das höchste der Gefühle, wenn du fremd bist. Dein Ort in der Stadt. Warum ausgerechnet Raval? Positive Schwingungen vermutlich. Nein, ich mag einfach das Unfertige und Bunte. Ich mag es, wenn alles in Bewegung ist. Nach dieser fundamentalen Erkenntnis muss ich blöderweise den Rückweg antreten.

Stimmung an Bord

Durch die Platanen der Rambla de Raval knallt die Sonne. Bei der Plaça de les Drassanes nehme ich den Shuttlebus zum Schiff. Umgeben von den üblichen #NotMyNonni – bei Instagram der Hashtag für Senioren, mit denen man nicht verwandt ist. Nett bis adoptionsfähig, aber korrekt deklariert nicht meine Großeltern. Italiener, die ebenfalls zurück zum Schiff wollen.

Zurück zum Hafen
Zurück im Hafen

Vor der Kontrolle vermischen sie sich mit deutschen und spanischen Passagieren. Letztere schmettern „My Bonnie lies over the ocean“ und stimmen sich auf den kommenden Seetag ein. An Deck 11 wird gegessen, getrunken, gequasselt, gesonnt, was das Zeug hält. Ich entdecke Exoten, das vermutlich jüngste Pärchen dieser Tour, beide Anfang 20, Hand in Hand. Aus den Boxen schallt Popmusik: Zu den Klängen von Shakira und anderen Latino-Krachern ist die Animation in vollem Gange.

Adios, Barcelona!
¡Adios, Barcelona!

Bei „Macarena“ ist der tanzwütige Trupp schon aufs Doppelte angewachsen, was auch daran liegen mag, dass das Personal die Gäste von den Stühlen holt. Gut, dass ich auf Deck 12 sitze! Das zweite Tuten ertönt, und dann schallt es aus allen Boxen. Ein Lied wie „Time to say goodbye“ kann wirklich nur von einem Italiener komponiert, einem Zweiten getextet und einem Dritten interpretiert worden sein.

„Io con te…“ schmettert Bocelli. Ich mit dir, Barcelona? Bis in alle Ewigkeit. Ach nein, morgen ist ja Seetag. Keine Stadt, kein Hafen, kein Abschied. Einfach nur Meer.

Text und Fotos: Elke Weiler

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