Keilerei an der Haltestelle? Ein Mann geht in Stellung, scheinbar zu allem bereit. Der Andere ist unentschlossen. Ein Ausbruch aus der kollektiven Anständigkeit? Mein noch frisches Bild von Zürich als adretter, ruhiger Stadt gerät bereits an Tag 1 ins Wanken.
Nicht lange jedoch. Denn ich steige am Bürkliplatz aus, und vor mir breitet sich ein Panorama aus, das einem den Atem verschlägt: der Zürichsee und die Berge dahinter. Also mache ich spontan eine kurze Rundtour, ungefähr um die Hälfte des Sees. Das Schiff ist gleichzeitig Verkehrsmittel für die Viertel rund um den See.
Vielen Leuten geht es gut in Zürich, so mein Eindruck. Die beiden älteren Frauen, die sich mit mir die Bank teilen, wirken recht zufrieden. Überhaupt scheinen vor allem Einheimische an Bord zu sein. Schweizerdeutsch, Französisch, Italienisch – alles in der Luft.
Die Bergseite ist beeindruckend. Wenn es kein Meer gibt, nehmen die Berge seine Funktion sein. Jedenfalls würde es mich an den Wochenenden in die Natur ziehen. Um von den Gipfeln in die Ferne zu schauen.
Wieder an Land laufe ich zur rechten Limmatseite hinüber. Schaffelle, soweit das Auge reicht. Neben den Menschen, die darauf sitzen, bevölkern auch einige Hunde die kleine Terrasse des Café Schober. Neben mir Yuki, ein Doodle, der auf den Kuchen wartet, dann aber nur Herrchen zugucken darf.
Die beste Schoggi
Die drei Neuankömmlinge zur Linken geben ihre Bestellung auf. „Ist das Kakao oder richtige Schokolade?“ Mich wundert, dass die Kellnerin gelassen bleibt. Das „Schober“ ist nämlich berühmt für seine Schoggi, überhaupt eine Institution für Süßigkeiten seit 1842. So habe auch ich einen großen Pott vor mir, sahnegekrönt.
Ich mag die Umgebung rund um das „Schober“, das sogenannte Niederdörfli. Es ist viel los, ein gemischtes Publikum und nicht nur die Schickeria wie auf der anderen Limmatseite. Die Altstadt gegenüber hat die vermutlich höchste Dichte an Luxusdesigner-Läden, die eine Altstadt haben kann.
Doch sympathische, originelle Shops habe ich drüben wie hier gefunden. Zürich ohne Shopping scheint ein Widerspruch in sich zu sein. Ich versuche immun zu bleiben, Schokolade als Gegenmittel zu trinken. Auch, weil ich gegenüber im „Schwarzenbach“ keinen Platz mehr bekommen habe.
Happy in Niederdorf
Dort soll es nämlich den besten Kaffee geben, frisch geröstet. Noch so ein Traditionsladen, wieder 19. Jahrhundert und schön nostalgisch. Aber gut, dass „Schwarzenbach“ auch „Schober“ beliefert. Zunächst bleibe bei Schoggi und Sahne. Yoga erst wieder im Zug.
Niederdorf ist meins, das weiß ich jetzt. Auch wenn das andere Ufer recht hübsch ist. Der Lindenhof. Die Aussicht ersetzt quasi die Fahrt auf den Uetliberg. Außerdem wird am Lindenhof noch eifrigst geküsst. Mit Blick auf Limmat, Zürichsee und Berge, wenn die Liebenden von Zürich die Augen wieder aufmachen.
Von den Linden rieselt das Laub wie leichter Schneefall herab. Bald schon ist es vorbei mit der herbstlichen Farbenpracht. Doch mir ist heiß bei fast sommerlichen Temperaturen. An der Limmat ist es so nett, dass ich mich im Café Wühre niederlasse. Auf dem Tisch ein Schild: „Only für lunch“.
An der Limmat
Allerdings ist der Mittagstisch auf ein paar Salate, Suppen und wenige warme Gerichte beschränkt. So bitte ich die Kellnerin um einen Tipp. Obschon sie unübersichtlichstes Schwyzerdütsch spricht, verstehe ich, dass ihre erste Wahl auf die Spätzle mit Raclette fällt.
Da bereits ein Käseladen in der Altstadt die Raclette-Zeit ausgerufen hat, bestelle ich die wohl teuersten Käsenudeln meines Lebens. Die – zugegeben – frisch, lecker und äußerst käsig daherkommen, wenn auch leicht ölig im Abgang. Leider gibt es trotz des Zürich-Limmat-Preises kein auflockerndes Grün dazu.
Alles ist vollbesetzt mit Einheimischen, die den Flussblick bei einem Kaffee genießen, die Lunch-Schilder ignorierend. Die Sonne zieht langsam weiter und ich auch. Am nächsten Tag ist mir nach einem leichten Herbstgericht, also fällt meine Wahl auf den Salat mit Kürbis und sogenannten Eierschwämmli, also Pfifferlinge. Und ich bin erneut im Niederdörfli gelandet.
Time to kiss
Eigentlich ist der Nachtisch schuld daran: Kafi & Kiss!, heißt es da Das „Café Mohrenkopf“, dass sich leider noch nicht in „Café Schaumkuss“ umbenannt. Die windschiefen, handgeformten Eischnee-Teile in Schokohaut gibt es in den Geschmacksrichtungen Cappuccino, Erdbeer, Kokos, weiß und klassisch. Ich beginne mit der Klassik-Version, der mit einer Gabel serviert wird.
Was tun die Anderen? Ich inspiziere die Lage. Normalerweise neige ich dazu, mich den Landessitten anzupassen. Ein braver Vater köpft das gute Stück tatsächlich mit der Gabel und verteilt die Einzelteile großzügig an die Familie. Währenddessen saue ich mich barbarisch ein. Aber es gibt einfach Dinge, die schmecken nur mit den Fingern.
Am letzten Abend verirre ich mich ins Oberdorf. Ein Schild mit der Aufschrift „Free WiFi“ hat mich angelockt. Außerdem der Name des Ladens: „Cakefriends“ – für Leute wie mich gemacht! So also sieht der Kuchenhimmel aus. Moderner, als ich dachte. Neben den süßen Sachen in aufreizender Vielfalt gibt es auch herzhafte Cakes.
Ich bestelle Flammkuchen mit halbtrockenen Tomaten, Parmesan und Rauke. Hauchdünn der Teig, unglaublich aromatisch die Pomodori.Ein würdiges Abschlussmahl, wenn auch nicht dem Schweizer Klischee entsprechend. Aber diese Stadt ist ja so vielsprachig, sonnig und nett, dass auch mediterran ausgezeichnet passt.
Text und Fotos: Elke Weiler