Der Niederländer Jan spricht nur vom Meer und von den Dünen. Ich versichere ihm, dass ich dorthin radeln werde. Schließlich bin ich in Den Haag, also an der Küste, da hat man als Meerbloggerin quasi eine Verpflichtung. Und Scheveningen, einst ein Fischerdorf, heute Teil von Den Haag, ist altbekannt. Zumindest, wenn du vom Niederrhein stammst.
Meine erste Tat an diesem Tag folgt einer spontanen Reaktion auf das „nieuwe haring“-Schild. Eine subtile Aufforderung in großen Lettern über der Bude im Rotweißblau-Design. Ich stehe vorm Binnenhof, dem Epizentrum der niederländischen Politik, und erstehe ein Matjes-Brötchen. Ein mittelalterliches Ensemble als Regierungsquartier, das als solches schwer zu identifizieren ist, denn Schilder mit „Bannmeile“ suche ich vergeblich. Passanten laufen ungeniert durch den Hof, die allgegenwärtigen Radfahrer kreuzen ihn hemmungslos.
Ich wende mich meinem Hering zu. Der Vorteil von einem ultrasoften weißen Brötchen ist, dass es den ebenfalls butterweichen Matjes mitsamt Zwiebeln wie ein Wölkchen umarmt. Light Lunch für Zahnlose. Klischee-Alarm! Fehlen nur noch ein paar Bitterballen, die werde ich mir zum „borrel“, also nach 17 Uhr traditionell hereinziehen. Inklusive Senf zum Dippen.
Wer weiß schon genau, was in den Bitterballen steckt, dieser Kugel aus pürierter, panierter Masse. Traditionell soll es sich um Rindfleisch handeln. Früher eine Möglichkeit, die Reste vom Vortag aufzubrauchen. Bitterballen kommen knusprig frittiert und heiß auf den Tisch.
Veggies verwenden Pilze statt Fleisch. Weitere Zutaten: Mehl, Zwiebel, Petersilie und Muskatnuss. Ich oute mich hiermit als Fan holländischer Tapas. Das mag auch an meiner Kindheit unweit der niederländischen Grenze liegen, denn am Niederrhein wird man schon früh mit Frikandel sozialisiert. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wer diese und weitere kulinarische Highlights in der veganen Version in Den Haag sucht, wird bei „De vegetarische slager“ am Spui fündig. Der vegetarische Schlachter namens Jaap Korteweg arbeitet mit Gemüse und Lupinen und ist berühmt für Rezepte wie veganes Hühnchen-Shawarma.
Zunächst habe ich ein Date mit Arthur. Den Haag lässt sich prima zu Fuß erwandern, doch das schönste Holland-Feeling kommt beim Radfahren auf. Und perfekt integriert bist du mit einem Omafiets. Das sind jene klassischen Hollandräder mit dem meist schwarzen, tiefen Rahmen, dem sogenannten Hollandbogen.
Aktuell en vogue scheinen vor dem Lenker festmontierte, breite Holz- und Plastikkisten zu sein. Sozusagen die Lightversion des Bakfiets, des niederländischen Transportrads. Arthur wird mich aufklären, denn Arthur ist Fachmann. Als Besitzer von „Lola Bikes & Coffee“ auf der Noordeinde-Straße muss er das sein.
Ich treffe ihn aber nicht dort, in diesem als beste Kaffeebar der Niederlande ausgezeichneten Lokal, sondern ein paar Häuser weiter, im „Lola Clubhuis“. Dort gibt es natürlich auch netten Kaffee, und Arthur geht in seinem Job als Barista völlig auf. Seine erste Frage: „Willst du einen Kaffee?“ Klar will ich, dank je wel.
Aber ich nehme einen Cappuccino, klarer Fehler. Er schmeckt zwar vorzüglich, doch in der letzten Zeit bin ich zum Normalkaffee, das heißt zum guten alten Filterkaffee, beziehungsweise Pressstempelkannenkaffee zurückgekehrt. Einfach, weil der so unverfälscht nach Kaffee schmeckt und nicht so sättigt wie Cappuccino und sämtliche Latte-Varianten.
Während Arthur weiter beschäftigt ist, schaue ich mich ein wenig im „Clubhuis“ um. Auf den ersten Blick wirkt es wie ein Concept Store, eine Mischung aus Café und Buchhandlung mit hohem Nostalgie-Wohlfühlfaktor. Doch Arthur, das sagt er mir später, mag den Begriff Concept Store nicht so. Sein „Clubhuis“ soll vielmehr ein Versammlungsort für Radfahrer sein.
Sie können einfach wie ich Kaffee trinken, in den Büchern stöbern oder eines davon kaufen sowie ein Rad ausleihen oder an einer der geführten Touren teilnehmen: Radeln mit Insidern sozusagen. Bevor Arthur sich zu mir setzt, berät er noch die beiden Gäste am Tisch gegenüber in Sachen Buch.
Und mir erzählt er dann die ganze Geschichte: Sein „Clubhuis“ war nämlich eine Buchhandlung, bevor er das Lokal am Noordeinde übernahm, und er hatte schon lange ein Auge darauf geworfen. „We sell books, we tell stories“, meint Arthur. Und wer drei Stunden bei einem Kaffee im Klub sitzt, wird auch nicht herausgeworfen. Alle Bücher haben einen Bezug zu Den Haag. Wie jener Bildband, der bei den Nachbarn ausliegt: Er zeigt die „New Horizons“ des Foto-Künstlers Bruno van den Elshout, Porträts der Nordsee.
Da muss ich nun endlich hin. Arthurs Kollege übergibt mir ein echtes Omafiets mit einem breiten Korb vor dem Lenker, perfekt also. Und ich düse los. Aber in welche Richtung? Per Zufall finde ich mich auf der verheißungsvoll klingenden Zeestraat wieder, eine Verlängerung von Noordeinde. Über den anschließenden Scheveningseweg geht es mehr oder weniger geradeaus bis zum Beach, vorbei an den Scheveningse Bosjes, Wäldchen zu beiden Seiten.
Mein Omafiets, von Arthur übrigens auch als Hallelujafiets bezeichnet, ist flott und angenehm zu fahren. Warum Halleluja? Weil es keine Handbremse, kein Licht und keine Gangschaltung hat? Weil ich zum Anhalten kurz auf den Rücktritt gehe, um den letzten Schwung mit einem gekonnten Sprung auszubremsen? Wohl nicht. Niederländer lieben einfach Spitznamen für alles, und das Halleluja rührt noch aus den Zeiten, als Soldaten der Heilsarmee mit den Rädern herumfuhren.
In einer guten Viertelstunde erreiche ich die Küste, muss mich aber noch etwas durchwurschteln, um an den Pier zu gelangen. Die Promenade ist nämlich, ich glaube es kaum, für Fietser gesperrt. Wo man doch sogar im Binnenhof radeln darf! Also parke ich, gehe zu Fuß weiter, vorbei an den Sprookjesbeelden, den Märchenfiguren von Tom Otterness. Am Pier treffe ich mich mit der lieben Kollegin Simone vom Blog Nach-Holland.
Die Insiderin erzählt mir, dass das Wahrzeichen Scheveningens baufällig und eine Zeit lang gesperrt war. Im Herbst letzten Jahres wurde der Pier mit Tamtam wiedereröffnet, ich habe also Glück. Wir setzen uns in eines der Promenaden-Cafés und schnacken bei „koffie met appeltaart“ weiter, bis ich mich auf den Rückweg mache.
Die Strecke ist auch im Halbdunkeln und ohne Licht leicht auszumachen – man Rad findet quasi allein den Weg zurück nach Den Haag downtown. Der Wind weht mir um die Nase. Geschwindigkeitsrausch auf dem Omafiets. Eine Gangschaltung braucht man in Holland nun wirklich nicht. So ein Omafiets an sich macht glücklich, Radeln in Holland oder Skandinavien ebenso. Mit glühenden Wangen stehe ich vor Arthur, nur um zu sagen, dass das Rad im Hof vertäut ist. Ich werde es vermissen, mein Omafiets!
Text und Fotos: Elke Weiler
Bleibt dran, liebe Holland-Fans! Als nächste Küstenstory folgt demnächst „Mein idealer Tag in Den Haag„.
Derweil ein paar Lesetipps:
Meine persönliche Neuentdeckung unter den Hollandblogs heißt „buurtal“. Lest die „Ode an die Krokette“ von Alexandra Kleijn!
Ein weiterer Tipp ist der Hollandblog aus den Federn von Frida van Dongen und Ralf Johnen: „Grachten und Giebel“. Vor allem falls ihr nach einer stylischen Übernachtungsmöglichkeit in den Dünen von Scheveningen sucht.
Danke fürs Teilen! Dein Text selbst macht auch glücklich. :) Ich hab‘ ihn mit sehr viel Freude gelesen. ^maurice
Jaaaaa. Ohne Radfahren ist das Leben halb so schön.
Ein toller Artikel Elke!!
Ich bin auch gern in Scheveningen, dort ist es zu jeder Jahreszeit toll:
http://www.niederlandeblog.info/sehenswertes/den-haag/mal-wieder-ans-meer-nach-scheveningen/
Freue mich auf ein Wiedersehen auf der ITB!
LG Katharina
Danke, liebe Katharina! Ich mag die Sprookjes auch so gerne! Liebe Grüße und bis bald in Berlin! Elke
<3 Scheveningen <3