Recherchereise | Schon weit vor der Zeit sitzen wir im Taxi Richtung Busbahnhof, dem Rodoviária. Von der Copacabana kommend müssen wir ein ganz schönes Stück nordwärts und das mitten im Berufsverkehr. Der Taxifahrer ist jung und sympathisch, aus den Boxen klingen brasilianische Rhythmen. Den Bus nach Búzios werden wir kriegen, so oder so.
Plötzlich horche ich auf. Singt jemand auf Deutsch? Fragend schauen Nicole vom Blog Freibeuter-Reisen und ich uns an. „Das kenn‘ ich“, sagt sie. „Ist wohl von Joachim Witt.“ Ich höre ein wiederholtes „Wann kommt die Flut?“ heraus. Der Taxifahrer nickt begeistert und sagt auf Englisch: „Schönes Lied!“
Rio de Janeiro liegt im Dunst, trister als London, als wir abfahren. Der Bus nach Búzios führt über eine schier endlose Brücke ins Grau, links eine Armada von Schiffen, rechts die Skyline der Stadt, ihre Spitzen von den Wolken verschluckt. Niteroi ist der nächste Stopp. Ich denke an Seu Jorge, denn unsere WG-Partnerin Hanna hat erzählt, dass der Sänger aus Rio hier lebt. Und dass er sich manchmal irgendwo in der City mitsamt Gitarre platziert und spontan singt.
Die Mitreisenden futtern Bananen und Snacks aus der Tüte, ein Kind singt, immerhin. Wir kuscheln uns in die bequemen Sitze, ich ziehe mir mein Strandhandtuch bis ans Kinn, denn die Temperatur im Bus geht auf Kühlschrankniveau hinunter. Der Italienisch sprechende Mann, den wir am Rodoviária kennengelernt haben, flüchtet quasi aus Rio an die Strände von Búzios. Der Kaffee! Man müsse wirklich lange nach einem Guten suchen. Und mit dem Essen wäre es ähnlich.
Der Schweizer besteht eigentlich aus zwei Personen: Spricht er Italienisch, dann gekonnt gestikulierend, ganz der temperamentvolle Süditaliener, geboren und aufgewachsen in Salerno. Wechselt er ins Deutsche, kommt ein einwandfreies Schwyzerdütsch heraus, mit schwungvollem, gemütlichen Tonfall. Er ist als Jugendlicher nach Zürich gekommen und lebt seitdem dort.
Die 200 Kilometer nach Armação dos Búzios, einem beliebten Strandort nordöstlich von Rio, dauern normalerweise knapp drei Stunden. Wir haben die Tickets bereits online gekauft und jeder knapp 100 Reales (zirka 23 Euro) für Hin und Zurück bezahlt. Die entsprechenden Ausdrucke müssen wir noch am Schalter der Busgesellschaft am Rodoviária eintauschen.
Mit Verspätung düsen wir los und holen das auch im dichten Verkehr der Peripherie nicht mehr heraus. Erst hinter Niteroi geht es zügiger voran. Um uns herum saftgrünes Weideland, Kühe, die auf Hügeln stehen, grasende Schafe und Pferde.
In Búzios steigt das Gros der Passagiere aus. Nach und nach fragen sie beim Fahrer an, jeder scheint eine individuelle Haltestelle zu beanspruchen. Mit einstündiger Verspätung erreichen wir die Endstation. Leo wartet geduldig auf uns, er ist unser Betreuer vom Besucherbüro und mimt den Guide und Chauffeur für die nächsten Tage.
„Das Essen wird kalt!“ Scherz, im Hotel haben sie gewartet, alles kommt frisch auf den Tisch. Wir trinken Guaraná zum Fischgericht, und Leo verrät ein Paar Details: Búzios war nämlich ein kleines Fischerdorf, bevor es losging mit dem Tourismus. Heute hat es 30.000 Einwohner, dazu kommen in der Hochsaison 200.000 Gäste. „Dann schiebt man sich durch die Straßen!“
Als sich Brigitte Bardot in den 60er Jahren in diese Ecke verirrte, war die Küste noch wild, urwüchsig, naturbelassen. Búzios größtes Kapital seien die Strände, meint Leo, davon gäbe es für jeden Geschmack etwas: für Surfer, Nudisten, Romantiker und Familien. So brechen wir auch direkt nach dem späten Lunch zu einer Trolley-Tour auf, die uns das ganze Spektrum des Strandspezialisten Búzios offenbart.
Was fehlt, ist die Sonne. So schimmert das Wasser leider nicht typisch türkisgrün, und unsere Fotos suggerieren nicht das Paradies. Dabei nennt sich der Landstrich „Costa do Sol“ und ist erklärter Liebling urlaubender Argentinier, die den Löwenanteil an den ausländischen Gästen stellen. Man kommt zum Baden, und warm ist es ja.
Überall werden wir auf Spanisch angesprochen, im Hotel, auf dem Boot, auf der Straße. Ein Argentinier stolpert mir am Aufzug unseres Hotels entgegen, als sich die Türe in Zeitlupe aufschiebt. Eine Replik der Bergbahn zum Corcovado in Rio ist dieser Aufzug. Ich komme gerade vom Strand, die Haare hängen herunter, eine nasse und salzige Erscheinung.
Der ältere Mann macht mir Komplimente, vor allem die Augen haben’s ihm angetan. Wo ich denn herkäme? „Deutschland“, antworte ich ausnahmsweise korrekt. Er macht ein paar militärisch zackige Bewegungen, und das Lachen platzt aus mir heraus. „Das war einmal, ist schon ein paar Jährchen her!“ Da stimmt er gerne in mein Lachen ein, bei so trefflichen Neuigkeiten.
Mehr als 20 Strände verteilen sich rund um die Halbinsel, einst das Gebiet des Stammes der Tupinambás. Zu Kolonialzeiten fanden Piraten Gefallen am Kap, und die Indios versuchten mit Hilfe der Portugiesen, die Freibeuter zu vertreiben – etwa 100 Jahre nach der „Entdeckung“ durch die Europäer. Der Plan ging nur halb auf: Zwar suchten die Piraten das Weite, doch die Portugiesen beanspruchten die strategisch wertvolle Stelle für sich.
Geht man noch weiter, viel weiter zurück, ist sogar ein Stück Erdgeschichte in Búzios ablesbar. Der vorspringende Landflecken oberhalb des Cabo Frío liefert den anschaulichen Beweis für das Abdriften der Kontinentalplatten. Bei Ponta da Lagoinha bewundern wir Felsformationen, die über 500 Millionen Jahre alt sind: Der geologische Zwilling, das passende Gegenstück liegt im afrikanischen Angola.
Eine vergleichbare Mineralstruktur findet sich ebenfalls in Angola. Und selbst die Kakteen, die wir überall sehen, sind ein Souvenir aus Afrika. Eine weitere Besonderheit der Gegend: der rosarote Sand des Praia do Forno. Forno bedeutet Ofen, denn es gibt hier warme Strömungen, die dem Ort seinen Namen eingebracht haben.
Auf die Flut muss ich nicht warten, das Wasser ist immer da. Barfuß schlurfe ich über den von Mineralien gefärbten, rötlichen Sand. Selbst die Algen sind haben sich farblich angepasst. Das Wasser umspült meine Füße, es ist so warm wie versprochen am Ofenstrand. Und zum ersten Mal seit langem rieche ich wieder, was ich in Rio vermisst habe, trotz Copacabana, trotz Ipanema. Den Duft des Meeres.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an Air France sowie Setur/TurisRio und Visit Búzios für die Unterstützung meiner Brasilien-Reise.
Was für eine Geschichte ! Die Photos sind toll, trotz fehlender Sonne !
Danke, Martina!!!
Hi! Was für eine gute Erzählung ich komme mir vor als wenn ich gestern erst dort war und dabei ist das schon wieder Wochen her . Im November/Dezember waren wir in Rio und Buzios wann warst du dort? Deine Bilder sehen fast so aus wie meine ( gleiche Wetterlage sowohl in Rio als auch in Buzios)
Glg Dominique
Danke, Dominique! Und ja, da waren wir wohl exakt zur selben Zeit am selben Ort! Und sind auch noch Nachbarn, wie ich gerade gesehen habe! Da winke ich mal rüber nach Büdelsdorf! Liebe Grüße, Elke
Hallo Elke, ich war vor Jahren in Brasilien, allerdings nur südlich von Rio. Schade dass bei euch die Sonne nicht geschienen hat. Ist das normal für die Zeit in der ihr dort wart, oder einfach nur Pech?
Liebe Grüße Britta
Hallo Britta, in der Tat ist es ein Pech, das du vor allem in der Zeit von Dezember bis April haben kannst. Als regenreichster Monat gilt der Dezember. Jetzt weißt du, warum Flipflops dort so beliebt sind! Liebe Grüße, Elke
Hallo Elke,
Ich kenne Buzios seit fast 20 Jahrzehnten. Fast jedes mal wenn ich in Brasilien bin, fahren meine Familie und ich nach Buzios. Eine Oase, die es mir besonders angetan hat. Zum Glück gibt es dort keine Hochhäuser da diese schon die Copacabana die Landschaft verschändeln. Habe dort 2.5 Jahre gewohnt. Dein Bericht ist sehr ausführlich und gut beschrieben. Leider waren wir am Praia Forno noch nicht. Unsere sind Azeda, João Fernandes, Tataruga, Geriba, Praia da Ferradura unsere Ziele meistens. Die Nordsee kenne ich auch (Cuxhaven, Sylt). Wie hast Du Dich dort verständigt?
Hallo Ralf, danke dir! Leider spreche ich kein brasilianisches Portugiesisch, ich würde es gerne lernen. So habe ich mich auf Englisch verständigt. Kennst du auch Paraty? Dort würde ich auch gerne einmal hin. Viele Grüße!