Das Spektiv steht, ist ausgerichtet, scharf gestellt und wartet auf die ersten Kranichgucker des Tages. Auf uns. Wir sind auf dem Festland, gegenüber von Zingst. Heidi und ihre Kollegin halten die Stellung auf diesem Bretterverschlag, dem Beobachtungsposten am Günzer See.
Wenigstens ein Kranichpaar mit zwei Jungvögeln bekommen wir zu Gesicht – dank der Argusaugen der wackeren Damen und des goldwerten Spektivs. Heidi steht hier von morgens bis abends, zählt Vögel, gibt Auskunft, kümmert sich um Kraniche wie Besucher und erlebt Geschichten jeder Art.
Etwa die von den beiden älteren Damen, die fragten: „Wo kann man hier die Kraniche streicheln?“ Das geht leider nicht, denn Wild ist wild. Und so wurde Heidi auch schon einmal beschimpft, wenn sie die Leute zurückgepfiffen hat, die sich den Tieren zu sehr näherten.
Aber im Allgemeinen gelten die Naturfans als eine große, internationale Familie. Wer einmal zum Herbsttanz der Kraniche nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen ist, tut es immer wieder. Tierliebe schweißt zusammen.
Noch bleiben die tierischen Stars von Mecklenburg-Vorpommern der Fütterungsstelle fern: Es gibt einfach zu viele frisch gedroschene Maisfelder. Dort stehen sie dann und futtern die Erntereste, echte Leckerbissen für die Kraniche.
Die Naturschützer richten zusätzliche Fütterungen ein, um die Vögel von den frischen Wintersaaten der Bauern abzulenken. Heidi weiß genau, dass es bald losgehen wird: „Nächste Woche wird auch hier ein Maisfeld geerntet!“
Dann kommen sie in Scharen, solche Sachen sprechen sich in Kranichkreisen wie der Blitz herum. Sind die Reste dann weggefuttert, bedienen sich die Kraniche auch gerne beim Weizen, der auf den Wiesen am Günzer See für sie ausgestreut wurde.
Der Ruf der Wildnis, wo gibt es ihn sonst in Europa? Es ist dieser trompetenartige Laut, der es Dr. Günter Nowald angetan hat. Gemeinsam mit dem Leiter des Kranich-Informationszentrums in Groß Mohrdorf fahren wir zu einem frisch abgeernteten Feld. Immer mehr Kraniche trudeln ein, lassen sich langsam segelnd nieder, was dem Biologen so gut gefällt.
Von den „Gauklern der Lüfte“ schwärmt er. Wir bleiben zwecks Beobachtung im Bus sitzen, denn die Autos machen den Kranichen grundsätzlich keine Probleme. Aber ein kleines Tänzchen vor Freude, das scheint zur Zeit nicht drin zu sein. Man ist vollauf mit Picken beschäftigt.
Als wir gegen Abend mit zwei Zeesbooten in Zingst ablegen, ist der Experte ebenfalls mit an Bord. Er trägt ein Empfangsgerät mit sich – in der Hoffnung, einen der besenderten Kraniche aufzuspüren. Dank der Besenderung haben die Biologen herausgefunden, dass die Kraniche, die über die Westroute gen Süden fliegen, zum Teil ihr Ziel geändert haben.
„Traditionell überwintern sie in den Eichenwäldern der spanischen Extremadura, doch nahezu die Hälfte überquert die Pyrenäen nicht mehr und bleibt in Frankreich“, weiß Nowald inzwischen. Aber jetzt rasten sie erst mal am Bodden.
Die Kapitäne unserer Boote, Martin und Achim, fahren oft hinaus in die seichten Lagunengewässer, denn auf den nahen Boddeninseln Kirr und Oie tummeln sich die Kraniche gerne. Zusammen mit vielen anderen Vogelarten: Uferschnepfen, Säbelschnäblern, Graugänsen, Brandgänsen und zig Möwenarten.
Ein geeigneter Schlafplatz ist das allemal, denn Feinde wie der Rotfuchs kommen selten auf die Inseln. Überhaupt lieben die Kraniche diese Feuchtgebiete, und der Bodden beherbergt also aus gutem Grund die meisten Durchreisenden dieser Art hierzulande. Haben sie auf den Feldern genug gefuttert, kommen sie zum Schlafen auf die Inseln im Flachwasser.
Martin hat den Motor abgestellt, jetzt wird es also ernst. Wir liegen ruhig im Wasser, nur das Rauschen des Empfangsgerätes durchbricht die schöne Stille der Natur. „Da kommt ein kleiner Trupp, eine Familie, wieder vier!“, ruft der Bootsmann uns zu. „Aber den schönsten Blick hab‘ ich bei mir zu Hause. Die fliegen da direkt vorbei.“
Die Kraniche. Sinnbilder des Frühlings und eines langen Lebens, Boten des Glücks und die Sonnenvögel der alten Ägypter. Hat dich das Fieber einmal gepackt, lässt es dich nicht mehr los. Auch am Ufer auf dem Ringeldeich haben sich Horden von Schaulustigen versammelt, um dem Naturspektakel beizuwohnen.
„Was is‘ los, Achim, auf deiner Seite kommen ja gar keine?“, witzelt Martin mit seinem Kollegen vom anderen Boot. Der hatte nämlich angekündigt, dass er telefoniert hätte: Die Kraniche kämen in einer Viertelstunde.
Fanfaren! Trompeten! Endlich tut sich was am Himmel. In Zickzack-Formation nähern sich größere Trupps und landen sachte auf Kirr. Es hat sich also gelohnt, dass wir in warme Decken gewickelt so lange auf dem Wasser ausgeharrt haben. Dem Ruf der Wildnis folgend. Oder einfach nur dem Bedürfnis, näher an der Natur zu sein. So nah, wie es geht.
Text und Fotos: Elke Weiler
Danke an den Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern e.V., der diese Reise ermöglicht hat.
… und hier eine Vertonung zu Elkes Blog: Kraniche im Anflug
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=7XrxqrnIs-g#!
Mir geht dabei das Herz auf…
lg
h.
Super, danke Ha Punkt!!! :-)