Erst am Abend kommen wir in Granada an. Es ist nur 47 Kilometer von der Hauptstadt Managua entfernt. Doch wir sind auf dem Weg der Langsamkeit, mit dem Pangaboot über den Río San Juan, hierher gekommen. Ein sanftes rosafarbenes Laternenlicht erleuchtet die Gassen. Niedrige Gebäude aus den Zeiten kolonialen Reichtums – Granada wirkt ein bisschen, als wäre die Zeit stehengeblieben.
Wenn man abends ankommt, ist der erste Tag wie eine Überraschung. Die Stadt leuchtet in tropischen Pastelltönen. Im Schachbrettmuster sind die Einbahnstraßen angelegt, das Kopfsteinpflaster glänzt in der Sonne.
Einst gründete Eroberer Hernández de Córdoba die Stadt an der Westküste des Nicaraguasees. 22 Jahre, nachdem Kollege Kolumbus an der nicaraguanischen Karibikküste entlang gestreift war.
Wir schlendern durch die alten Gassen vorbei an der mächtigen weißen Kathedrale, dem Hauptplatz der Stadt und dem Parque Central. Alte Männer sitzen im Schatten, Kinder sind in Schuluniformen unterwegs, Obstverkäufer am Straßenrand.
Granada erinnert mich an Antigua Guatemala, Liebling der Touristen. Es ist nur weniger los. Rund um die Plaza mischen sich die Stile: Zum spanischen Kolonialstil gesellt sich ein strenger Klassizismus. Nicaraguanische Baumwollplantagen-Arbeiter haben die neoklassische Bauweise aus dem nordamerikanischen Süden importiert.
Hinter den bis zum Boden geschwungenen Fenstergittern der Kolonialhäuser spielt sich nicaraguanisches Familienleben ab: Es wird gegessen, gelacht, diskutiert, gestritten.
„Five dollares!“ ruft der Kutscher und klopft seinem Pferd auf den Rücken. Er wartet vor der Iglesia San Francisco auf Kunden. Das Fassadenblau der Kirche konkurriert mit dem Himmelston.
Die Sonne brennt unerbittlich auf die Stufen der Freitreppe. San Francisco bedeutet Geschichte auf Schritt und Tritt: Zu Zeiten der Eroberung ließ de Córdoba an dieser Stelle eine Holzkapelle errichten, in der der Kleriker Bartholomé de las Casas später den Massenmord der Spanier an den Indianern anprangerte.
„No, señorita“, ein wachsamer Arbeiter stürmt in den Kreuzgang: Die Kirche sei noch geschlossen. Das Museum im Innenhof mit den präkolumbianischen Skulpturen öffnet um 10 Uhr.
Also erst einmal frühstücken: Gleich um die Ecke liegt das Hotel Casona de los Estrada, ehemals vornehmer Familiensitz. Unter den schattigen Arkaden des Patios lässt sich die Hitze gut ertragen. Leise erklingt klassische Musik, während wir Mangos, Papayas, Ananas und warmes Brot essen.
In den weißen Dörfern südlich von Granada leben Frauen mit magischen Kräften. So treffen wir uns in Diria mit der 97-jährigen Elisa de Moraga, einer Heilerin. Über den Hof, vorbei an gackernden Hühnern und verschreckten Küken, gelangen wir ins Wohnzimmer.
Es ist grün gestrichen und mit Madonnenstatuen und künstlichen Blumen dekoriert. Vereinzelte Sonnenstrahlen dringen durch die Ritzen der Fensterläden in den abgedunkelten Raum. Eine Hase hoppelt in den Eingang der Stube, schaut uns an.
Elisas graubraune Augen funkeln lebhaft. Als sie zu sprechen beginnt, werden ihre Zahnlücken sichtbar: „Schon meine Mutter und Großmutter haben das Wissen um die Wirkung der Kräuter benutzt, um Leute zu heilen.“
Sie warnt uns: „Heute gibt es viele, die so etwas machen, darunter auch Scharlatane! Für die Heilwirkung ist die Kenntnis der alten Rezepte notwendig.“ Elisa kann bei Impotenz, Rheuma, Arthritis und vielen anderen Problemen Ratschläge erteilen.
„Das kostet nichts“, sagt sie. „Die Leute hier sind arm.“ Aber es geht um mehr als Kräuterwissen. Elisa besitzt die Fähigkeit, Krankheiten zu erkennen. „Das Heilen ist eine Gnade“, sagt die gläubige Katholikin. Mit Spiritualismus habe sie nichts zu tun.
„Das Wissen von den Kräutern hat indianischen Ursprung“, bestätigt sie unsere Vermutungen. Helfen die Essenzen wohl auch in der Liebe? Elisa schüttelt das graue Haupt. Dafür sei sie nicht zuständig.
Hinter Granada erhebt sich der Mombacho, der grüne Wächter Granadas. In seiner majestätischen Ruhe schlummert vulkanische Kraft. Der Weg hinauf ist steil und unwegsam, Nebel umhüllen die Spitze des Berges.
Auf beschrifteten Wanderwegen gelangen wir durch den dichten Dschungel. Hundertjährige Bäume zeugen vom tiefen Schlaf des Vulkans. Warmer Dampf steigt an einigen Stellen aus Erdlöchern auf: Es ist der Atem des Vulkans.
Die sogenannten „fumaroles“ bezeugen, dass tief unten noch ein Feuer brodelt. Für einen Moment weichen die Wolken und geben den Blick frei: auf den Lago de Nicaragua, Granada und die vielen Isletas, die kleinen Inseln.
Wer je auf dem Mombacho gelebt hat, muss sich wie ein König gefühlt haben: Er konnte den Himmel berühren und bis zum Horizont sehen.
Text und Fotos: Elke Weiler
Aus der Reihe “Archivgeschichten”: Als ich noch analog fotografierte und als Reisejournalistin für Tageszeitungen und Magazine unterwegs war, war ich insgesamt zwei Mal in Nicaragua. Granada mit seiner Lage zwischen See und Vulkan hat mir besonders gut gefallen.
Danke an Martinair und Solentiname Tours für die Unterstützung dieser Reise.
Ich war vor Jahren vor Ort und ich muss zugegeben der Mombacho, der grüne Wächter Granadas hat mich wahnsinnig in seinen Bann gezogen. Tolle Momente liebe Elke.
LG sendet Dani
Mich auch, liebe Dani! Ich möchte da wieder hin… :-)