Istanbul am Wasser
Ein Glück, dass ich die Füniküler nicht gefunden habe. Die Standseilbahn hätte mich vom Taksim-Platz hinunter nach Kabataş gebracht. Dort legen die Boote an.
Wer durch das Labyrinth der Stadt läuft und das Blau des Bosporus sieht, dem kommt die Wasserstraße zwischen dem Schwarzen und dem Marmarameer wie eine Verheißung vor. Aber wie fotografiert man eine Verheißung?
Zwischen dem Gewimmel auf dem zentralen Platz Istanbuls und diesem Viertel gleich um die Ecke scheinen Welten zu liegen. Eine Katze macht Siesta unter einem Wagen, kaum Autos unterwegs, nur ein paar Einheimische auf den Straßen. In der Sackgasse kommen die Autos nicht weiter, doch ich schon.
Ich laufe einfach in Richtung Bosporus, wie ferngesteuert. Es geht bergab, doch der Blick schweift nach oben, zu den verschachtelten Architekturen, den Farben der Stadt. Zum Himmel mit seinen Wolkengebilden.
Hinter dem Bosporus liegt Asien
Am Kai wird es wieder bunter und lebhafter, das Bild. Die Menschen tummeln sich auf Grünflächen, unter Bäumen, auf Bänken. Es ist Mittagszeit, und die Schnellrestaurants sind gut besucht. Im Angebot: Käsetoast, Hamburger, Köfte, Pommes Frites, Tee.
Asien liegt nur einen Steinwurf entfernt, nicht so weit, wie es sich für einen anderen Kontinent gehört. Nur das Wasser trennt uns, der Bosporus. Ich will das Vapur um 14 Uhr nehmen und freue mich aufs Meer. Fünf Türkische Lira kostet die Überfahrt zu den Prinzeninseln, umgerechnet zirka 1,70 Euro.
Und wieder finde ich etwas nicht: den Ticketautomaten. Doch der Restaurantbesitzer, der an der Anlegestelle Werbung für sein Lokal macht („das beste auf der Insel Büyükada“), kann mich kompetent beraten. Nicht nur mich, versteht sich.
Auf der Visitenkarte trägt er gleich die drei günstigsten Rückfahrzeiten des Vapurs ein. Das Ticket ist eine Münze, ein „Jeton“, das gleiche Prinzip wie an den Metro-Automaten, einzuwerfen an der Schranke.
Auf der Fähre
Komisch irgendwie, danach nichts mehr in der Hand zu haben. Sonst trage ich immer Beweismittel mit mir herum. Für Bus oder Bahn, für meine Existenz. Es geht also auch ohne.
Auf dem Schiff erfahre ich, warum die Passagiere so früh an der Anlegestelle sind, schon eine halbe Stunde vor der Abfahrt: Die besten Plätze auf dem Vapur sind in Nullkommanix besetzt, draußen auf den Bänken, nah am Wasser. Hallo Bosporus, sage ich, als er gegen den Kai klatscht und das Schiff bewegt.
„Du bist höflich“, hatte Özen bemerkt, der zuletzt noch den Bundespräsidenten auf Besuch in Istanbul betreute und nun mir Tipps zum Überleben in der Big City gibt. Es ist sein Job als „Operations Specialist“ für „beynar travel“. Er kommt aus Essen, wohnt aber seit 30 Jahren am Bosporus. Beneide ich ihn?
Am Ende meiner vier Tage in Istanbul werde ich eine Antwort geben. Jetzt erst mal überleben. Im Innern des Vapurs ein Gemisch aus Parfüm, Schweiß, Alkohol, Kaffee und Simit. Ein Verkäufer hat die hochbeliebten Sesamkringel kunstvoll aufs Tablett geschichtet, ein Turm aus Hefegebäck vor meiner Nase.
Stimmung auf dem Schiff
In Istanbul könnten die Straßenmusiker auch Wasserstraßenmusiker heißen. Drei von ihnen versuchen Stimmung auf dem Boot zu machen, mit Bender, Saz und Net, also typischer Trommel, Laute und Flöte. Der Sound des Bosporus. Für seine Melodie und seinen Rhythmus sind sonst die Wellen, Bootsmotoren, Schiffshörner und ein Heer von Möwen verantwortlich.
Plötzlich steht einer der Passagiere auf und demonstriert lauthals den vermutlich besten Gurkenschäler am ganzen Bosporus. Allgemeine Heiterkeit, einige Wenige gucken eher genervt. Diese wilde Mischung auf dem Vapur, das Boot als Mikrokosmos.
Der Verkäufer macht Umsatz. Auch mit diesem Service, Interessierten das Ding in die Hand zu geben und später bei allen Testern vorbeizuschauen und mit jedem persönlich zu diskutieren. Ein Erfolgsmodell in Sachen Verkaufsstrategie.
Was mit den geschälten Gurken passiert ist, steht in den Sternen. Das Vapur entwickelt sich zum Bazar. Eine Frau verteilt Zettelchen, will aber anscheinend nichts verkaufen. Oder? Ich frage meine Sitznachbarinnen. Sie können mir zwar nicht übersetzen, was auf dem Papier steht, wissen jedoch, was die Frau will: „Money.“
Verkaufsstrategien auf dem Wasser
In den hinteren Reihen erhebt sich ein Mann, der Lockenwickler verkaufen will. Die Mädels kichern. Es sind keine Lockenwickler, sondern einzigartige Zitronenpressen. Natürlich demonstriert der Mann ausführlich die Funktion. Eine Innenpresse, sehr raffiniert. Nach dem Einführen nur noch zusammendrücken. Nach und nach füllt er ein Glas, Zitronenduft verbreitet sich im ganzen Raum.
Draußen immer noch bebaute Küste. Istanbul, unermesslich groß. Ich laufe ein bisschen zwischen den Polen der immer dichter bevölkerter Fähre umher und entdecke: Die Zettel-Frau picknickt mit Gleichgesinnten im hinteren Teil des Vapurs. Sie essen Melonen, geschälte Tomaten und Gurken. Richtig, geschälte Gurken. Hier schließt sich der Kreis.
Inzwischen haben wir den Bosporus verlassen und schippern über das Marmarameer. Nach über einer Stunde erreichen wir die erste der sogenannten Prinzeninseln, der Prens Adaları, kurz Adalar.
Bald werde ich den Mikrokosmos Schiff verlassen. Von hier aus wirkt Istanbul wie New York, das nicht nur in Manhattan, sondern überall gleichmäßig in die Höhe schießt. Poli, die Stadt.
„Is tin polin“, in die Stadt, so leitet sich „Istanbul“ aus dem Griechischen ab.
Und am schönsten fährst du übers Wasser in die Stadt.
Text und Fotos: Elke Weiler
Dies ist der Beginn einer Mini-Serie über die Türkei. Mehr über Istanbul, die Prinzeninseln sowie Archivgeschichten über Bodrum und Blaue Reisen demnächst in diesem Theater…
Und einen ganz herzlichen Dank an das Mövenpick Hotel Istanbul und Opodo, die meine Istanbul-Reise unterstützt haben!
Oh, wie schön, endlich angekommen! Gute Reise!
Merci, ich bin schon wieder zurück. Die Muße zum Schreiben habe ich erst jetzt. :-)
Hallo liebe Elke,
Schöner Reisebericht und wie mich auch sehr fasziniert wie du so schön detailreich deine Ausflüge in der Türkei beschreibst.
Ja ich war ja auch schon am Bosporus, was nun aber doch schon etwas laaang her ist!
Bin gerade dabei meine Kappadokien Tour, auf WordPress umzusetzen… :)
Na bis bald und viel Freude bei deinen nächsten Reisen und beim Schreiben!
Liebe Grüße Peter
Danke dir! Kappadokien stelle ich mir auch ziemlich gut vor… Wie lange warst du dort? Wie viel Zeit sollte man einplanen? LG, Elke
Ach trotzdem, es lebe die Standseilbahn! Kraft spendend, Kraft erhaltend in müden Touristenbeinen. Das Leben in der Stadt entdeckt sich auch im Sitzen – siehe oben – wenn man den richtigen Ort kennt. :)
Ein wenig bewundere ich diese Verkäufer, dieser Job erfordert ein gesundes Selbstbewusstsein. Freue mich auf weitere Berichte aus Istanbul! Lg, Stefanie
Du hast recht, Stefanie! Auf dem Rückweg habe ich die Füniküler auch gefunden, und sie war mir noch sehr nützlich. :-) Und von den Verkäufern ist viel zu lernen. Selbst, wenn man kein Türkisch spricht. ;-)
Ach, so schön…Da möchte ich mich gleich morgen in den Flieger setzen und nach Istanbul und aufs Boot und zu den Prinzeninseln…
Und danach mit dem Zug ab Kadiköy Richtung Iran? ;-)
Oh, wie schön. Bin schon gespannt, was Du noch alles erlebt hast!
Viele Grüße
Martina
das stachelt meine Vorfreude an! Im Juni geht´s auch an den Bosporus. Bis dahin freu ich mich auf noch mehr Storys von Dir.
Übermorgen geht’s weiter mit Istanbul. ;-) Und dir wünsche ich eine tolle Zeit dort!
Atmosphärisch dicht und unterhaltsam, Elke. Gib uns mehr davon.
Beste Grüße, Wolfgang
P.S.
In Istanbul hat mir ein gemieteter Scooter beste Dienste erwiesen.
Was, du hast dich in diesen verrückten Verkehr gestürzt? Und überlebt????? :-D
Sehr schöner und informativer Bericht! Wir durften vor gut einem Jahr, nur wenige Tage bevor die schrecklichen Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und der Polizei begannen, Istanbul im Rahmen unserer Kreuzfahrt etwas kennenlernen. Da wir nur einen Tag Zeit hatten, artete der Versuch möglichst viel von dieser quirligen Stadt zu sehen, leider etwas in Stress aus. Am Ende des Tages standen wir vor einem Kiosk und der Mann schaute uns an und sagte nur „You need something to drink“, man konnte es uns wohl direkt ansehen, wie anstrengend es war nur einen Bruchteil von Istanbul zu sehen, zumal es an dem Tag auch noch knapp 30 Grad hatte. Beim nächsten Besuch werden wir über Nacht dort vor Anker gehen, damit wir genug Zeit haben nicht nur um die Seilbahn zu finden und auszuprobieren.
Ich finde es immer etwas schade, dass du nur, wie ich bis jetzt in deinem Blog gesehen habe, über die Städte mit Meeres-Nähe berichtest. Ich mag deinen Schreibstil sehr. Auch finde ich die Blogartikel sehr interessant und würde mich, auch wenn der Blog Meerblog heißt, über andere Städte, welche evtl. nicht am Meer grenzen, freuen! Kappadokien in der Türkei bei Nevshir wäre doch ein wunderbarer Anfang. Es ist super schön dort!
Klar, das ist mein Schwerpunkt, aber es sind auch viele Destinationen dabei, die nicht direkt am Meer liegen. Kappadokien würde ich super gerne mal bereisen!