Wie vielleicht einige wissen, bin ich Kunsthistorikerin und hege eine wahrhaft irrationale Vorliebe für Architektur, deren Form immer die Menschen dahinter entlarvt. Dieses Faible ist aber nicht der einzige Grund, warum mir „The Link“, ein Architekturmagazin aus Berlin so gut gefällt. Als ich hörte, dass einer der beiden Macher, der Kollege Jan Dimog, ein Buch über Kabul plant, war meine Neugierde geweckt. Kabul, ausgerechnet Kabul?
Jan, du hast ein paar Jahre deines Lebens in Kabul verbracht. Was hat dich nach Afghanistan geführt?
„Eine Mischung aus Neugierde, Abenteuerlust, Leidenschaft für die Medien und der Wille, einen beruflichen Schnitt herbeizuführen. Ich hatte zuvor als Redakteur für Stadt- und Fernsehmagazine gearbeitet, was mir irgendwann gereicht hat. Afghanistan hatte mich als Thema schon länger interessiert, erst recht nach dem Beschluss der damals rot-grünen Regierung sich dort politisch, militärisch und mittels Entwicklungshilfe zu engagieren.
Dann bin ich auf das Medienaufbauprogramm der NATO-geführten ISAF (International Security Assistance Force) gestoßen und habe mich intensiver damit beschäftigt und gesehen, dass sie Fachleute suchten, auch Redakteure. Ich habe mich beworben und bin nach einem langwierigen Verfahren tatsächlich genommen worden.“
„Vor Ort bestand die Aufgabe – und Herausforderung – in der Zusammenarbeit nicht nur mit anderen ausländischen Medienfachleuten, Journalisten und Analysten, sondern auch mit afghanischen Fotografen und Radio- und Print-Reportern. Es wurden Berichte für Radionachrichten, Informationsbroschüren und Zeitungen produziert, die in ausländisch-afghanischer Teamarbeit konzipiert, erstellt, übersetzt, überprüft, lektoriert und schließlich dann gedruckt beziehungsweise ausgestrahlt wurden.
Ziemlich viel Aufwand für zum Teil nur einminütige Beiträge oder Texte von weniger als 2000 Zeichen. Hinzu kam, dass alles auf Englisch und in den zwei Landessprachen Dari und Paschtu gemacht werden musste. Außerdem gab es auch in den Jahren 2005/2006, dem Zeitpunkt meiner Ankunft, keine gewachsene Medienlandschaft mit entsprechender Expertise.
Das heißt, mein Job bestand auch darin, Coach und Mentor zu sein. Das hat an der Arbeit am meisten Spaß gemacht. Einer meiner damaligen Zöglinge ist heute Intendant und Chefredakteur von Tolo TV, dem wichtigsten Nachrichtensender des Landes und mehrfach für seine Berichterstattung ausgezeichnet.“
Mit welchem Gefühl bist du dorthin gereist? Und wie war der Anfang?
„Wieder eine Mischung. Diesmal: Daueradrenalin, Dauerspannung und der Wunsch endlich anzukommen, schließlich hatte ich ein monatelanges Bewerbungsverfahren hinter mich gebracht, war gedanklich schon längst vor Ort. Wie das so ist: es ist immer anders als man es sich ausmalt, erst recht für ein von Kriegen und Krisen so zerrüttetes Land wie Afghanistan. Die Zerstörungen im Stadtbild von Kabul waren bedrückend. Ich habe viele Kriegsversehrte gesehen, Armut, viel Militär, eine große Präsenz der Vereinten Nationen. Eine Stadt mit wenig Grün und noch weniger Wasser. Afghanistan ist vielerorts karg, sehr gebirgig und wasserarm. Kabul repräsentiert das sehr gut.
Zugleich habe ich in der Stadt eine große Aufbruchstimmung erlebt. Die Leute wollten etwas verändern, wollten das Land nach so viel Leid endlich stabilisieren. Für mich war das alles hochspannend. In Kabul bin ich auf die United Nations of Media getroffen: auf Journalisten, Grafiker und Fotografen aus Australien, Afghanistan, Kanada, Indien und vielen weiteren Ländern. Diese Internationalität hat mich beeindruckt. Die ganze Welt war damals nach Kabul gekommen, um es in eine bessere Zukunft zu führen.“
Was für ein Ort ist Kabul? Was hat dich besonders beeindruckt?
„Ein schrecklich schöner Ort. Wahlweise auch ein schön schrecklicher Platz. Rein topografisch liegt die Stadt fantastisch. Auf über 1800 Meter Höhe mit unglaublichen Höhenzügen und Ausläufern des Hindukusch umgeben, sind Berge, Täler und Plateaus die prägendsten, natürlichen Elemente der Stadt. Hinzu kommt eine sehr trockene, staubige Luft. Nach 2001, dem Fall der Taliban, setzte eine unglaubliche Stadtentwicklung ein. Viele Menschen und Flüchtlinge kamen zurück und ließen Kabul aus allen Nähten platzen. Ursprünglich war die Stadt für einige hunderttausend Einwohner gemacht, maximal für eine Million Menschen. Heute sollen es bis zu 6 Millionen sein bei weiterhin mangelhafter Infrastruktur, viel zu viel Verkehr und zu wenig Arbeit für die Menschen bei einer weiterhin extremen (Un)Sicherheitslage.
Beeindruckend ist die Gabe der Menschen, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Irgendwie geht das schon alles: so eine Art Inschallah-Ideologie. Ein „C’est la vie“ auf Afghanisch. Ich hatte das Glück einige Male in afghanische Haushalte eingeladen worden zu sein. Selbst in der kleinsten, bescheidensten Wohnung fiel die Pracht der Inneneinrichtung auf, zumindest im Wohnzimmer. Familien mit Häusern haben ihre kleinen Höfe in Klein-Eden verwandelt, üppiges Grün hinter hohen Mauern. In diesen Mini-Oasen war Kabul besonders schön.“
Und nun planst du ein Buch darüber. Warum ausgerechnet ein Architekturführer über Kabul?
„Ich habe mit dem Architekten Hendrik Bohle bereits zwei Architekturführer geschrieben, einen über Istanbul und einen über die Vereinigten Arabischen Emirate. Wir haben bei beiden Publikationen mit dem renommierten Berliner Verlag DOM publishers gearbeitet. Der Verleger und ich haben einige Male über meine Zeit in Afghanistan gesprochen. Da er die Region gut kennt und auch die Nachbarländer bereist hat, entstand die Idee aus meinen Erfahrungen und Erlebnissen ein Buch zu machen.
Normalerweise sind Architekturführer vollgepackt mit Wissen, Recherchematerial und Fakten. Das wird im Kabul-Buch ebenso sein, aber mir ist es wichtig, auch das Leben hinter der Architektur zu beschreiben. Solche Elemente wie das Wohnen hinter den hohen Mauern, die typisch sind für islamisch-afghanische Grundstücke und Häuser. Aber auch der Einfluss der Mogul-Herrscher und die Entwicklungen der vergangenen Jahre sollen beschrieben werden.
Die Architektur der Neureichen, der Warlords und der Profiteure der Krise zum Beispiel ist hochspannend und protzt nur so vor Bombast, Angebertum und schlechter Bauweise. Diese Häuser nennt man passenderweise „Wedding Cakes“, weil die Stile, Farben und Materialien wild übereinandergestapelt werden, so dass sie aussehen wie Tortenkreationen auf Drogen. Die Vielfalt Kabuls soll sich in dem Buch spiegeln, unterstützt von Gastbeiträgen, Interviews und guten Bildstrecken.“
Was und wen will deine Crowdfunding-Kampagne unterstützen?
„Die Kampagne zu meinem Kabul-Buch soll die Produktion und Umsetzung unterstützen. Vor allem möchte ich die Gelder für die Beauftragung von Fotoarbeiten, Gastbeiträgen und Grafikarbeiten nutzen. Der Kontakt zu möglichen Auftragnehmern wie Fotografen ist ziemlich aufwendig, zudem gibt es nur wenige wirkliche Profis und die möchten eben entsprechend honoriert werden. Momentan ist noch nicht so viel zusammengekommen, aber aus Erfahrung wird man ja klug. Ist schließlich meine erste Crowdfunding-Aktion. Also, Leute, bitte teilt die Info und sagt es allen weiter!“
Danke, Jan, für deine Einblicke in eine andere Welt. Ich bin sehr gespannt auf dieses besondere Buch und hoffe, du kannst es so realisieren, wie du es dir vorgestellt hast!
Zur Person
Jan Dimog ist Autor, Blogger und Journalist aus Berlin. Er hat mit dem Architekten Hendrik Bohle das Architekturmagazin The Link gegründet. Gemeinsam haben sie auch die Bücher „Architekturführer Vereinigte Arabische Emirate“ und „Architekturführer Istanbul“ geschrieben.
Mit Afghanistan ist Jan Dimog seit 2005 verbunden, dem Jahr seiner Bewerbung für die Redakteursstelle des Medienaufbauprogramms der ISAF in Afghanistan. Seitdem ist er mehrere Male ins Land gereist und war insgesamt dreieinhalb Jahre dort. 2014 wurde sein Dokumentarfilm „Countdown Afghanistan“ auf ARTE ausgestrahlt.
Fotos: Jan Dimog
Ein sehr interessanter Bericht, vielen Dank, Elke. Es ist toll, dass Du Deinen Kollegen durch einen Artikel unterstützt. Leider habe ich gerade gesehen, dass die Kampagne nicht erfolgreich war.
Aber bestimmt gibt Jan nicht auf und findet einen Weg, seinen Architekturführer zu veröffentlichen.
Danke, Martina! Das ist in der Tat schade, aber ich hoffe auch, dass das Buch trotzdem realisiert werden kann.