Fernab von Gaudí

Benvinguts, bienvenidos! Herzlich willkommen in Barcelona. Während wir vor dem Altstadthaus auf unseren „Herbergsvater“ warten, lehnt sich eine ältere Dame neugierig aus dem Fenster.

Sie will wissen, ob wir den Schlüssel vergessen haben. Lieb, dass sie uns aufmachen will. Das ist wahre Nachbarschaft. Doch wir müssen wohl ein bisschen warten. Auf Raimundo. Die Señora drückt noch ihr Mitgefühl aus, als sich der in die Gasse einbiegende Motorradfahrer als nicht zuständig entpuppt. Dann verschwindet sie hinter der Gardine.

Voller Wäsche hängt die schmale Häuserschlucht, das Viertel Sant Pere zwischen Barri Gotic und El Born wirkt fast idyllisch. Wäre da nicht… Die laute spanische Rockmusik kommt jedenfalls nicht aus der Wohnung unserer hilfsbereiten Nachbarin. Wir wippen ein bisschen mit, ganz im Rhythmus Barcelonas.

Eine Viertelstunde später steht Raimundo vor uns. Sehr aufgeschlossen und auskunftsfreudig. Sogar den aktuellen englischsprachigen Barcelona-Guide mit allerlei Veranstaltungshinweisen hat er im Gepäck. Damit wir gleich mitten im Leben sind.

„Von hier aus erreicht ihr alles in fünf Minuten“, meint Raimundo. Und wir übersetzen: in einer Viertelstunde. Zumal wir uns ja nicht im Galopp durch die schnuckligen Gassen bewegen wollen.

Unsere Gasse im Kiez

Los geht’s. Ohne Plan, kreuz und quer durch die Altstadt gelangen wir wie von einem magischen Kompass geleitet vor die Kathedrale. Und tappen – dank knurrendem Magen – auch direkt in die erste Touri-Falle. So viel zur Planlosigkeit.

Die Restaurants bieten hier zwar Außenplätze mit bestem Ausblick auf „La Seu“, lassen sich das aber auch bezahlen. Bei überhöhten Preisen essen wir mehr oder weniger schlechte Tapas wie Oliven aus der Dose.

Jetzt müssen wir natürlich auch hinein in das alte Gemäuer. Für 6 Euro Eintritt überlegen sich die beiden Touristen neben uns, ob sie die Kathedrale wirklich besichtigen sollen. Absurd, im Gotteshaus Eintritt zu zahlen?

Samstags und sonntags ist der Eintritt frei, wenn man morgens oder abends kommt. Wer aber zu einer anderen Zeit die Highlights sehen und auch in das Dach der Kirche aufsteigen möchte, bezahlt eben und tut gleichzeitig etwas für den Erhalt des Gebäudes aus dem 13. Jahrhundert.

Die Kirche als Museum. Der Chor, eine Pracht. Ich liebe ja Kreuzgänge, und dieser hier hält eine echte Überraschung für uns parat: Ein Goldfischbecken wird von 13 echten Hausgänsen bewacht. Schon im Mittelalter hielt man sich das Schnattervieh angeblich als eine Art Alarmanlage.

Gänse als Alarmanlage

Vom Barri Gòtic wechseln wir ins Viertel Born. Jung, hip und voller interessanter Läden. Ich sage nur: Café Bubó. Zum leckeren Café con Leche gibt’s aus der zugehörigen Konfiserie ein paar Meter weiter die besten Süßigkeiten. Ich meine: echtes Hüftgold. Der Hit sind die in Plastikschälchen abgefüllten Cremes mit Nüssen und Fruchtstückchen.

Weniger prunkvoll, aber eigentlich noch stimmungsvoller als die Kathedrale ist die eintrittfreie Santa Maria del Mar im Viertel Born. Und wie der Kirchenname schon andeutet: Das Meer ist hier in der Altstadt von Barcelona gleich um die Ecke. Wir bewundern die schlanken Säulen und eine gotische Mutter Gottes mit Kind im liturgischen Zentrum der Kirche.

Und führen die Kaffee-Tour fort. Auch das Café Schilling im Barri Gotic gefällt uns. Mit seinem Nostalgie-Interieur, den roten Samtsesseln vor rauchfarbenen Wänden gibt es die passende Kulisse für Young Urbans mit Laptop auf dem Tisch. Kreativer Barcelona-Style.

Doch das Publikum ist gemischt: Da sind die Jüngeren mit den asymmetrischen Frisuren. Während Louis Armstrong und Amélie-Musik auch älteren Intellektuellen gefällt, die eher unauffällig ihre Bücher verschlingen.

Wenn wir schon nicht viel von Gaudí sehen, dann doch wenigstens das Picasso-Museum von innen. Wieder katalanische Gotik, dieses Gebäude-Ensemble in der Carrer de Montcada. Trotz Nebensaison müssen wir uns die Räumlichkeiten mit japanischen Gruppen sowie spanischen Schulklassen und dem Inhalt eines ganzen Kindergartens teilen. Mitten im Leben!

Mit glasklarem Blick stellen wir fest, dass der Mann von Anfang an gut war. Dann hat es Picasso nach 1900 in Paris schier umgehauen – der Impressionismus und erst der Kubismus! Einen ganzen Raum füllen Picassos Interpretationen von Velásquez Meninas.

Der gotische Innenhof

Schließlich noch die Keramiken. Im Innenhof kann man nach dem Kunstgenuss einen Kaffee trinken, umgeben von gotischen Spitzbögen. Und dann ab in den vielleicht best sortiertesten Museumsshop der Welt. So unendlich viel gibt der Künstler an nützlichen Fan-Artikeln her, an Stiften, Memories, Blöcken, Heften, Schalen, Salzstreuern, Postern und Büchern.

“Ich hab sie verloren”, scherzt der nette Garderobier, als ich meine Tasche wieder abholen möchte. Man lacht gemeinsam, dann holt er sie doch aus den Tiefen seines Reichs hervor und bewundert noch einmal das lustige Tintin-Motiv auf dem Umschlag. Es muss ja nicht immer Picasso sein.

Unsere Bude

Und wir haben unseren Spaß mitten im alten Barcelona. Ganz ohne Gaudí.

Text und Fotos: Elke Weiler

8 thoughts on “Fernab von Gaudí

  1. Oh, meine Lieblingsstadt… Ich gucke mir Gaudí meist auch nur von außen an. Der jeweilige Eintrittspreis ist echt absurd. Aber Barcelona hat ja zum Glück sooooooo viel mehr, hach… Danke für deinen Bericht :-) LG Martina

  2. In Barcelona gibt es auch viele andere schöne Orte, die man besichtigen kann. Park Güell ist z.B. sehr schön oder einfach mal entlang der Ramblas Richtung Hafen spazieren. Man muss ja nicht gleich alles mitmachen, was Geld kostet :D

    Gruß

  3. Hallo Elke,
    Dein Beitrag konnte zu keinem besseren Zeitpunkt erscheinen, denn für mich geht es nächsten Donnerstag nach Barcelona.
    Danke für die Tipps.
    Liebe Grüße, Heike

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