Penguin Days #2, Tierra del Fuego

Am Ende der Welt

Puerto Williams? Nicht im Leben hätte ich gedacht, hier einmal zu landen. Als diese meine Antarktis-Reise startete, hatte ich zwar von Garibaldi-Fjord und Kap Hoorn gehört, aber nie von Puerto Williams.

Bislang steuerten wir über die Magellanstraße und den Beagle-Kanal in Richtung Kap Hoorn. Gerade haben wir erfahren, wegen des stark aufgefrischten Winds nicht dort anlanden zu können, doch auf der Rückfahrt werden wir eine zweite Chance erhalten.

Straße in Puerto Williams
Am Ende der Welt

„Wissen Sie, was eine Expeditionsreise ist?“, fragt ein Mitglied des Expeditionsteam der MS Midnatsol. Alle warten gespannt auf die Antwort. Man wüsste eben nicht genau, ob Plan A oder B greife. Vertraut klingt diese Definiton für mich, scheint mein ganzes Leben doch eine einzige Expeditionsreise zu sein.

Nur wenige Versuche, Kap Hoorn zu erreichen, sind erfolgreich. Das von den Seefahrern einst so gefürchtete Kap galt vor der Eröffnung des Panamakanals neben der Magellanstraße und dem Beaglekanal als einzige Möglichkeit, vom Atlantik zur Westküste Amerikas zu gelangen.

Wer ist Arturo Prat?

Gestern noch war bestes Wetter, strahlender Sonnenschein, und das oft vom Regen graue Puerto Williams glänzte. Da stand ich an diesem gottverlassenen Ort am Ende Südamerikas. Ein letztes Stück Feuerland, dann ab ins Eis. Zwar liegt die legendäre Drake-Passage noch zwischen uns und dem Ort dem kältesten Kontinent der Welt. Doch alle lechzen nach Eisschollen und Pinguinen.

Gibt es welche in Puerto Williams? „Plaza Arturo Prat“ prangt in Riesenlettern auf einem Holzschild. Dahinter zwei Kanonen und eine Kirche. Ich befinde mich im Gebiet der Navy Base, hier stehen die ältesten Häuser des Ortes, lese ich. Gründungsjahr 1953 – ein junges Städtchen also.

Überall Gänseblümchen, die den Kontrast zur Strenge der Platzarchitektur aufweichen. Eine Glocke in der Mitte. Soll ich? Oder wecke ich damit nicht den ganzen verschlafenen Ort, der zur Zeit von uns Kreuzfahrtgästen bevölkert wird? Rufe ich gar das hier stationierte Militär auf den Plan? Und wer zum Teufel ist Arturo Prat?

Irgendwo bellt ein Hund. Leben kommt in die Bude. Ein Junge fährt mit einem Rad vorbei. Ich gehe in die kleine Holzkirche, eine zeltartige, spitz zulaufende Architektur, die mit den Kronen der Berge zu kommunizieren scheint.

Die Stille des Ortes

Eine Frau sitzt ganz vorne und betet zu Maria. Zur Linken die Holzskulptur des „Sagrado Corazón del Señor de los Mares“, den die Fischer und Seefahrer um Schutz bitten. Soll ich eine Kerze anzünden? Die anderen Kerzen brennen nicht, alle gelöscht, und ich denke an das ganze Holz drumherum.

Zwei Kreuzfahrttouristinnen kommen herein und unterbrechen die Stille. Draußen ist es wieder ruhig, sieht man von den Motoren des Schiffes ab. Vereinzelt nur die Stimmen von Gästen, Vögel trällern. Gänseblümchen auf der Wiese, Müll in Käfigen auf der Straße. Kreuzfahrtler, die sich fragen, warum ich Müllkäfige fotografiere.

Acht Grad plus

Überall in der leichten Brise wehende chilenische Flaggen. Hufspuren auf dem „Paso turbal suboficial Hector Maluenda Cortes“. Ich nehme den schmalen Pfad und lande vor einer pragmatischen Konstruktion aus Bretterbude, Van, Bootsmotor und Schrank. Ein auf den Kopf gestellter Müllkäfig hält den Löwenzahn unter sich und der SAT-Anlage gefangen.

Acht Grad plus, als ich gestartet bin, und die Sonne knallt erbarmungslos. Jede Minute wird es heißer unter Winterjacke und Mütze, die weniger gegen Kälte als gegen die UV-Strahlung dieser Gegend mit schwächelnder Ozonschicht helfen soll.

Ich klopfe beim bunten Hostel, die Klingel ist demoliert, das Schloss abgerissen, keiner antwortet. Nur eine Katze steht hinter der Tür und miaut. Eine Frau am Fenster des Gebäudes dahinter beobachtet mich telefonierend. Als ich weitergehe, verschwindet sie.

Bei Opa Philipp

Eine Bar an der Plaza O’Higgins soll verkauft werden. Inzwischen ist Puerto Williams aufgewacht. Jeeps kreuzen die Straßen, Waren werden in einen kleinen Supermarkt geliefert. Die „Pasteleria“, so sagt mir ein Einheimischer, öffne erst um vier Uhr nachmittags.

Opa Philips Plätzchen in Puerto Williams
Opa Philips Plätzchen

Es ist Samstag am Ende Südamerikas. Herrenlose Hunde laufen die Straßen entlang, andere bellen heiser hinter Zäunen oder sind gar angebunden. Erste Touristen knüpfen Kontakte mit Einheimischen: „My Spanish is…“ Man lacht gemeinsam.

Die „Tenda Fío-Fío“ verkauft Wolle aus Punta Arenas, handgewebte Decken, Strickmützen, gefilzte Pinguine, Postkarten und passende Bücher über die Flora und Fauna der Antarktis, Shackleton und über die Ureinwohner. Die Besitzerin erzählt, dass ihre Schwägerin die Decken kreiert hat.

Der Platz mit dem niedlichsten Namen des ganzen Ortes, die „Plaza de Abuelo Felipe“, also des Opas Philipp, entpuppt sich als soziales Epizentrum von Puerto Williams. Hier reiht sich Laden an Laden, spielt ein Mann mit seinem Hund, sitzt ein kleiner Junge auf dem Boden, tönt Reggaeton-Musik aus den Boxen.

Lesen macht nicht intelligenter, aber weniger ignorant.

Mauerspruch in Puerto Williams

Englischsprachige Gäste wollen an der nächsten Kreuzung von mir wissen, wo denn die auf der Papiertüte beworbene Tienda wäre. Ich schicke sie zum Opa. Neben der Feuerwehr schön aufgereiht ein Kindergarten, eine Schule, ein Gemeinschaftssaal, eine Bibliothek.

Unten am Hafen übt der maritime Nachwuchs das Segeln in Badewannen ähnlichen Bötchen. Alles im Lot. Puerto Williams trennt den in seinen in Käfigen gesammelten Müll. Das Leben ist geordnet in Puerto Williams, scheinbar so adrett und sauber wie die weißen Häuser. Die Leute grüßen auf der Straße. Lächeln breit. Männer winken aus dem Auto.

Pinguine gibt es keine in der Gegend, nicht im Ort, nicht auf der Isla Navarino. Aber es kann jetzt nicht mehr lange dauern bis zum ersten Meeting. Derweil schließe ich Freundschaft mit einem frechen Pony, das sogleich in überraschender Vertrautheit meine Tasche anknabbert.

„Denen geht es gut hier“, meint der Gast neben mir auf Deutsch und zeigt auf die Pferdefamilie, die gemütlich die Straße quert. Das Pony verfolgt mich. Eine Engländerin meint, ich wäre ja nah dran gewesen. Und ich frage mich, ob dieser Taschentrick auch bei den Pinguinen auf den Südlichen Shetlandinseln funktioniert.

Text und Fotos: Elke Weiler

Infos

Puerto Williams liegt auf der Insel Navarino, die zu Feuerland gehört, und ist benannt nach dem britischen Fregattenkapitän John Williams Wilson, der für Chile im Unabhängigskrieg gegen Spanien kämpfte.

Puerto Williams buhlt mit Punta Arenas und Ushuaia um den Titel „südlichste Stadt der Welt“. Zwar liegt es weiter südlich als letztere, zählt aber nur an die 3.000 Einwohner. Die Hauptwirtschaftszweige: Fischerei, Marine und zunehmend auch der Tourismus. Es ist per Flugzeug und Fähre von Punta Arenas aus zu erreichen.

Nur wenige Nachkommen der Yagán oder Yámana-Ureinwohner leben heute noch in Puerto Williams. Der Priester und Anthropologe Martin Gusinde hat sich seinerzeit der indigenen Kultur Feuerlands gewidmet. Nach ihm ist das feine, kleine Anthropologie-Museum in der Aragay Straße benannt. Dort wurde u.a. ein traditionelles Kanu der Ureinwohner nachgebaut.

Die Yagán waren die ersten Bewohner der Gegend.
Die Yagán waren die ersten Bewohner der Gegend.

Der Fregattenkapitän und Rechtsanwalt Agustín Arturo Prat Chacón gilt als chilenischer Marineheld des 19. Jahrhunderts.

Ich bin mit der MS Midnatsol unterwegs in die Antarktis – unterstützt von Hurtigruten.

Was haben die Kolleginnen über den Start unserer Reise in die Antarktis geschrieben?

Bei Madlen von puriy könnt ihr über unsere Schwierigkeiten und Erfolge lesen, bei Kap Hoorn anzulanden. Das gelingt nämlich nur selten.

Und Melanie schreibt auf Good Morning World sehr ausführlich über unsere Cruise durch den Garibaldi Fjord zum Gletscher. Patagonien ist so schön…

Darum hat auch Angelika von Reisefreunde unsere Fahrt durch Feuerland als gelungenen Auftakt unserer Reise zur Antarktis beschrieben. Über das erste blaue Eis am Garibaldi-Gletscher.

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