Wir haben die berüchtigte Drake-Passage überlebt. Zwei Tage auf bewegter See liegen hinter uns, bis zu sieben Meter hohe Wellen. Zeitweise torkelten alle wie beschwipst über die Decks. Was die weiterhin schnurgeradeaus gehenden Kellner zu Scherzen wie „ein Glas hätte doch auch gereicht“ animierte.
Vorgestern um acht Uhr abends dann die spektakuläre Nachricht: Land in Sicht. Nicht irgendein Land, die Südlichen Shetlandinseln zählen zur Antarktis. Wir haben es geschafft. Ganz vorne lehne ich mich in den eisigen Wind und schaue einem Schwarm schwarzweißer Kapsturmvögel bei ihrer Performance zu.
Sie wären die besten Bootsbegleiter, hatte unser Ornithologe Dan Busby verkündet. Vor dieser Reise hatte ich nicht einmal von ihrer Existenz geahnt. Unsere Seetage waren randvoll mit Aktionen, Vorträgen, Vorbereitungen für die erste Anlandung wie das Absaugen der Klamotten und Taschen. Und immer wieder: Essen, Essen, Essen.
Dann ging es mit einem Mal rund: Buckelwale vor Backbord! Alles strömt an Deck 6. Unser Fotograf im Jagdglück, hat er doch die Schwanzflosse in voller Schönheit und mit sämtlichen Details wie anhaftenden Seepocken erwischt. Ich kam spät und kann auf meinem Foto immerhin ein Stück Rücken identifizieren.
Dabei messen Buckelwale schon bei der Geburt vier bis fünf Meter, später werden sie 17 bis 19 Meter lang und können sage und schreibe 40.000 Kilos auf die Waage bringen. Doch als wir einen Trupp emsiger kleiner Schwimmer in den Wellen entdecken, sind die Buckelwale quasi abgeschrieben: Was ist das? Fische, Vögel?
Die ersten Pinguine, die wie Delfine bogenförmig aus dem Wasser schießen und blitzschnell wieder abtauchen. Zu schnell für uns, zu schnell für die Kameras. Das war erst der Anfang, ein Gruß aus der antarktischen Showküche sozusagen. Am frühen Morgen gab es nebelverhangene Eiskuppen und über Wellen hüpfende Pinguine live, während wir frühstückten.
Der Kapitän hatte um Mitternacht vor Half Moon Island geankert. Ein poetischer Name, der einen halben Vulkankrater beschreibt. Die Leiterin des Expeditionsteams hatte uns geraten, an unseren fünf Antarktis-Tagen auf etwas Schlaf zu verzichten. Die Nächte seien kurz und das Zwielicht am frühen Morgen und in der Nacht besonders schön.
Um acht Uhr rückt das Expeditionsteam aus, um sich ein Bild zu verschaffen und die Wege auf Half Moon Island für unsere Anlandung abzustecken. Niemand soll versehentlich auf einen Pinguin-Highway geraten. In der Antarktis gilt:
Ab neun Uhr pendeln die Tenderboote, um die ersten Gruppen an Land zu bringen. Es dürfen nie mehr als 100 Leute gleichzeitig bei einer Antarktis-Anlandung unterwegs sein, und auf 20 Gäste sollte mindestens ein Expeditonsguide kommen. So legt es der Antarktisvertrag fest.
Außerdem können nur Schiffe mit bis zu 500 Passagieren überhaupt Anlandungen buchen, während die Gäste der großen Kreuzer nicht von Bord dürfen. Wir, die wir für einen kurzen Moment unseres Lebens die Welt der Pinguine, Robben und Seevögel betreten dürfen, sollen respektvoll handeln.
Nichts dort lassen und nichts mitnehmen, erst recht keinen Pinguin. Das sei nämlich schon einmal passiert, so erzählen sie uns. Ein Gast habe tatsächlich einen Pinguin in seinem Rucksack an Bord geschmuggelt, der dann als blinder Passagier in die Dusche des Gastes eingezogen wäre. Das Zimmermädchen hat zur Aufklärung dieses Falles erheblich beigetragen.
In meine Dusche wird kein Guanoscheißerle einziehen, sinniere ich vor mich hin. Dick eingepackt stapfe ich in groben Gummistiefeln an Deck 3 zum sogenannten Tender Pit. Ich werde mit einem der ersten Zodiacs an Land gehen und bin aufgeregt. Wie viele Pinguine wird es geben? Welche Sorten? Wie werden sie sich Menschen gegenüber verhalten?
Nach einer recht kurzen Zodiactour ziehen zwei Leute aus dem Team das Boot an den steinigen Strand, und jeder einzelne Passagier muss seinen Hintern über den breiten, prall mit Luft gefüllten Gummirand schieben.
Zwei weitere Helfer ziehen die Gäste beim Aussteigen mit dem sicheren Armgriff an Land, für den man beide Hände frei haben muss. Schwups, stehe ich im Wasser und habe zum ersten Mal antarktischen Boden unter den Füßen. Was für ein Moment.
Nur ein paar Meter entfernt putzen sich zwei Zügelpinguine, als würde ihnen die ganze Hektik an der Öldrüse vorbeigehen. Ja, als sonnten sie sich in der Aufmerksamkeit der Ankömmlinge. Durch den Kehlstreifen strahlen die Zügelpinguine eine ewige Freundlichkeit aus. Als würden sie lächeln, lächeln, lächeln. Frohgemut durchs Leben watscheln.
Unser Empfangskommitee hat dann doch noch andere Dinge auf dem Schirm und begibt sich auf einen der Highways. Tomasz Zadrozny vom Expeditionsteam mahnt uns, nicht an der Wegkreuzung stehenzubleiben, um für die nächsten Pinguine den Weg frei zu machen.
Als Pinguin bist du viel unterwegs. Nein, nicht immer. Die Expeditionsleiterin Tessa van Drie hatte uns gleich beim Anlanden voller Freude verkündet: „Wir haben einen einzelnen Kaiserpinguin entdeckt!“ Etwas ganz Außergewöhnliches auf Half Moon Island, den die Großpinguine lieben es kälter und tummeln sich normalerweise auf dem antarktischen Festland.
Tessa beschreibt uns den Weg zu diesem besonderen Exemplar. Gleich in der zweiten Bucht steht der Kaiserpinguin unbeweglich herum, stundenlang auf einer Stelle, wie ein sturer Hund. Er kehrt uns den schwarzen Rücken zu: Batman ohne Hals und Kopf. Die Zügelpinguine hingegen watscheln unbeirrt weiter in alle Richtungen.
Vor lauter Fotografieren, Bewundern und Beobachten vergessen viele Gäste, auf die Watschelgänger zu achten. Einige sind sich dessen nicht bewusst, dass wir hier nur zu Gast sind. So bereiten wir den Pinguinen bisweilen Stress.
Einige Zügelpinguine watscheln ganz aufgeregt von ihrem Weg hinunter und nehmen wegen uns einen Umweg, um zum Ziel zu gelangen. Auch sind ein paar Gäste recht dicht an die Brutplätze herangegangen. Man wundert sich, wie nah der Mindestabstand von fünf Metern manchmal ist, beziehungsweise wie dehnbar seine Interpretation.
Auf einem Hügel brütet eine ganze Kolonie, die von Zeit zu Zeit ein wildes Konzert startet, um sich etwas Luft zu machen. Sind wir doch zu viele? Zu nah? Wie schön es doch wäre, hier nur mit sehr wenigen Menschen oder gar allein unter Pinguinen zu verweilen. Sie über einen längeren Zeitraum zu beobachten, ihr Verhalten zu studieren, ihre Gegenwart zu genießen.
Auf einem anderen Hügel stehe ich fast allein mit dem Historiker Henryk Wolski, der ebenfalls zum Expeditionsteam gehört. Ich frage ihn, ob wir den Pinguinen Stress machen. „Aber sie sind doch ganz ruhig“, meint er. Ja, jetzt sind sie es. Kurz darauf bewegt sich einer, und die Anderen kommentieren das.
„Sie machen sich untereinander Stress.“ Das komme in den besten Familien vor und erst recht in Pinguinkolonien. Weiter unten in Ufernähe schnarcht eine dicke Robbe, wacht kurz auf und kratzt sich. Niemand wagt sich näher an den Koloss heran, hier gilt ein Mindestabstand von 15 Metern.
Ich entdecke einen Eselspinguin, der furchtlos auf mich zugeht, sich reckt und einfach mal laut trötet. Keine Ahnung, was er mir sagen will. An anderer Stelle wurde sogar einer der schrägen Goldschopfpinguine ausgemacht, auch als Punk unter den Seevögeln bekannt.
Wolski zu diesem Phänomen des reibungslosen sozialen Miteinanders diverser Typen: „Das ist noch so eine schöne Seite der Pinguine.“ Leben und leben lassen.
Text und Fotos: Elke Weiler
Infos
Half Moon Island zählt zu den Südlichen Shetlandinseln, die sich nördlich der antarktischen Halbinsel aufreihen. Sie fallen unter den Antarktisvertrag, gehören also niemandem außer ihren Bewohnern. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden die Shetlandinseln von Walfängern aufgesucht. Wir haben in einer Bucht auf Half Moon Island das Wrack eines alten Walfängerschiffes entdeckt.
Die argentinische Forschungsstation ist nicht besetzt, und so wird die Insel vor allem von Zügelpinguinen, Dominikanermöwen und Kormoranen bewohnt. Wir konnten auch zwei Weißgesicht-Scheidenschnabel entdecken, zart-weiße Vögel, die jedes Ornithologenherz höher schlagen lassen.
Ich bin mit der MS Midnatsol unterwegs in der Antarktis – auf einer Pressereise von Hurtigruten.
Und wenn ihr wissen wollt, wie sich Kajakfahren in der Antarktis anfühlt, lest weiter bei Madlen von „puriy“.
Bald geht es weiter mit den Pinguinen: Bei Brown Bluff, einem subglazialen Vulkan, betreten wir erstmals antarktisches Festland. Leider werden es nicht alle schaffen, denn plötzlich dreht das Wetter, Eisschollen scheinen uns einzuschließen…
Ohgottohgottohgottohgott. Ich bin schon vom Lesen ganz aufgeregt!!! Wahnsinn.
Bist du aber schnell, Stefanie! :-) Liebe Grüße aus der Caldera von Deception Island!
Boah, suuuper. Du machst gerade meine Traumkreuzfahrt! Ich wünsche Dir weiter viel Spaß!
Viele Grüße
Martina
Danke, liebe Martina! Ich fühle mich auch wie in einem Traum, ohne Witz. Liebe Grüße aus Orne Harbour! Elke
Liebe Elke – Guanoscheißerle, Antarktisvertrag, auf Schlaf verzichten, „fünf Meter“ interpretieren … Wunderbar, mit welcher Leichtigkeit du uns zwischen all diesen Themen mit auf deine Reise nimmst.
Liebe Grüße in die Antarktis, Nadine
Danke, liebe Nadine! Beim nächsten Artikel wird es etwas spannender, weil wir plötzlich vom Treibeis umzingelt waren. Hier kann echt alles passieren, und das schnell, immerhin ist es die Antarktis! Liebe Grüße, auch von den Guanoscheißerle! :-D
Woah … großartige Pics und toller Bericht! ich bin zwar ein Frostköddel aber ich bin neidisch auf deine abenteuerliche Reise !
Grüße ans Rudel
Liebe Angela, es ist wirklich gar nicht so kalt, und in den letzten Tagen war es sehr trocken. Wir waren alle overdressed bei den Anlandungen und haben ziemlich geschwitzt. ;-) Liebe Grüße aus der wunderwunderschönen Antarktis!
Wahnsinn Elke!
Geniale Eindrücke und ein super Bericht. Ich hab mich schon fast selbst auf Half Moon Island gesehen :)
Ich kann dich verstehen, dass du gerne mehr Zeit mit den Pinguinen hättest. Mein Herz haben die süßen Tierchens auch erobert – vor allem mit ihrer witzigen Art durch die Gegend zu watscheln.
Genieß die Reise noch
Liebe Grüße aus dem Wunderland
Dori
Danke dir, liebe Dori! Vor der Reise hatte ich noch nie Pinguine in freier Wildbahn gesehen, und nun gleich Hunderte! Heute ist einer ganz nah an mir vorbeigewatschelt! Ein Eselspinguin, die scheinen mir etwas selbstbewusster zu sein als die kleineren Zügelpinguine, aber das sind die niedlichsten. :-) Liebe Grüße (auch aus dem Wunderland), Elke
Ah wie herrlich :)))
Liebe Elke,
wundervoll geschrieben, so als wäre man selbst dabei. Das ist wirklich ‚ones upon a lifetime‘! Viel, viel Spaß noch und weiter so schöne Berichte bitte. LG, Britta
Danke, liebe Britta, das freut mich sehr! Aber klar, da kommt noch einiges. Auch wenn wir jetzt leider schon wieder auf dem Rückweg sind. Aber selbst die chilenischen Fjorde sind noch einmal schön. LG, Elke
Wow, ich bin wahnsinnig beeindruckt. Da würde mir das Herz auch schneller schlagen vor Freude und Aufregung. :) Ich finde es schön, dass so gut darauf geachtet wird, dass niemand den Pinguinen zu nahe kommt. Das wäre meine Sorge, dass man ihnen ausversehen etwas tut, aber das kann dann ja nicht passieren.
Liebe Grüße aus Seis,
Isabell
Moin liebe Elke,
ich liebe es ja , unseren Pinguinen im Zoo am Meer unter Wasser zuzuschauen – geniale „Flieger“! Aber dein poetischer Beitrag und auch die tollen Fotos geben dem Pinguin-Dasein eine fantastische neue Dimension. Ich kann dein Sehnen, Zögern, Zweifeln, Wunschen (auch aus den vorherigen drei Beiträgen) sehr gut verstehen. Und bin einfach nur dankbar fur deine so besondere Art der Bloggerei.
Herzlich, Dörte
Danke, liebe Dörte, das freut mich sehr, so eine Ehre! Es ist eine besondere Reise, vermutlich die außergewöhnlichste, die ich je gemacht habe. Aber dazu kommt noch mehr. Liebe Grüße aus Paris! Elke