Eben noch verschluckte der Nebel das ganze Eis, jetzt leuchtet es in allen Tönen blau auf. Bizarre Skulpturen im Südpolarmeer. Ich konnte mir nie vorstellen, in die Antarktis zu reisen. Nun, dass ich hier bin, nun, dass Eisberge, Schollen und Vulkane aus dem Meer ragen, fühle ich mich wie auf einem anderen Planeten, losgelöst von Zeit und Raum.
Die bleibende Realität ein Gespräch nach Hause mit einem Zeitunterschied von vier Stunden. Auf dem Schiff haben wir die chilenische Uhrzeit aus Tierra del Fuego beibehalten, doch unsere Tage werden merklich länger, die Nächte kurz.
Die Wirklichkeit habe ich zu Hause gelassen. Ich lebe in einem Traum, der reich an Pinguinen ist.
Zwar beherbergt Deception Island eine der weltweit größten Kolonien der Zügelpinguine, doch wir werden heute vermutlich keinem begegnen, da wir in der Telefon Bay anlanden wollen. Trotzdem haben wir Glück – wie oft habe ich das in den letzten Tagen gesagt?
Denn endlich scheint die Sonne in die eisige Welt, die im antarktischen Sommer weniger kalt wirkt, aber das ist nur ein Trick. Sie kann sich ruckzuck in ein Monster verwandeln und alles in Schnee, Eiswind oder Nebel hüllen. Dich einschließen und lebendig verspeisen.
Die perfekte Caldera
Als wir aus Brown Bluff vom antarktischen Festland kommen, um erneut auf einer der Südlichen Shetlandinseln anzulanden, sind es kurz nach sieben Uhr morgens. Langsam fahren wir in die perfekte Caldera von Deception Island ein.
Alle stehen schussbereit mit ihren Kameras an Deck 6 um mitzufilmen, wie der Vulkan von uns, vom ganzen Schiff Besitz nimmt. Wir sind uns dessen bewusst, dass in einen aktiven Vulkan hineinfahren. In den Jahren 1967 bis 1970 ist er zuletzt ausgebrochen, und an einigen Stellen können wir auch heute sehen, wie die Erde dampft und qualmt.
Die ferngesteuerte Kamera
Es ist ein außergewöhnlicher Ort, so wie jeder Ort in der Antarktis. So besonders, dass meine Kamera verrückt spielt. Sämtliche Aufnahmen gnadenlos überbelichtet. Wie ferngesteuert. Oder falsch eingestellt.
„Neptun’s Bellow“ nennt sich der nur 500 Metern breite Eingang von Deception Island. Eine magische Pforte, antarktische Poesie. Zu unserer Rechten die Ruinen von Whalers Bay, und was müssen wir sehen? Dort liegt bereits ein Schiff vor Anker. Da sind wir nun tagelang unterwegs, sehen nichts als Pinguine, Wale und Kapsturmvögel.
Und nun ein Stück Zivilisation in Form eines anderes Schiffes. Wie passt das in unseren Traum? Irgendwie stört es nicht, es macht ihn nur bizarrer. Die Ruinen von Whalers Bay geben Zeugnis von der einstigen Existenz der Walfänger, Robbenschläger und Forscher.
Bucht ohne Telefon
Unsere Bucht heißt Telefon Bay, benannt nach einem französischen Expeditionsschiff. Dieses Mal muss das Expeditionsteam Wege auf einem relativ großen Areal kennzeichnen, ein Art Rundweg um zwei Gletscherseen. Dieses Mal werden wir keine Brutkolonien von Pinguinen sehen. Maximal ein paar faule Wedell-Robben, die am Strand liegen, wenn auch nicht an unserem. Den werden wir nämlich selber zum Schwimmen nutzen. Ja, es wird passieren, hier, auf Deception Island.
Aber erst wandern wir ein bisschen. Auf Kraterrändern. Über vulkanisches Gestein. Ich schwitze unter meiner Expeditionskluft, die Sonne brennt ungehindert durch viel zu dünne Ozonschichten, noch nicht einmal die Mütze kann ich ausziehen, allein um dem Risiko eines Sonnenbrands vorzubeugen.
Die Steine von Deception Island
Ich treffe die Geologin Friederike Bauer vom Expeditionsteam auf der Hälfte der Strecke und erkundige mich, wie man sich hier oben die Zeit so vertreibt. Am Kraterrand, in der Mitte von Nichts.
Aber da frage ich die Richtige: „Ich schaue mir Steine an“, meint sie begeistert. Es gibt eben Leute wie den Kapitän, die das Eis lesen, und andere, die Steine lesen können. Die Erdgeschichte an Steinarten und -formen erkennen.
Ich spüre, es ist Zeit. Zwar ist mir heiß am Krater in der Sonne, doch die Lufttemperatur beträgt höchstens ein Grad. Und das Wasser? Ich werde es testen. Noch einmal komme ich am geologischen Checkpoint vorbei. „Jetzt geht es in Wasser?“ Ich nicke. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Irgendwie erscheint mir alles ganz normal in diesem Traum.
Als wir mit dem Boot die Bucht erreichten, habe ich einen einzelnen Pinguin gesehen, der sich in der Aufmerksamkeit der Gäste von Deception Island sonnte. Natürlich war er verschwunden, als ich an der Stelle auftauchte. Wohin? Er kann nur im Wasser sein. Also werde ich mal nachschauen. Das Expeditionsteam und seine Helfer haben Handtücher für alle Schwimmwilligen mitgebracht.
Rein ins Wasser
Es muss an der Sonne, an der Sternenkonstellation oder am Ort liegen: Alle Handtücher sind bereits benutzt, als ich komme – so viele Leute wollen in einem antarktischen Krater schwimmen? Vielleicht in der Hoffnung, dass das Wasser leicht angewärmt von der seismischen Aktivität ist? Nein, es muss etwas anderes sein.
Jedenfalls dauert es nicht lange, bis uns der Nachschub per Boot erreicht. Ich beginne, mich zu entkleiden, trage die Badesachen bereits unter den schweren Expeditionsklamotten. Zwar liegt die Bucht geschützt, doch lässt mich der kalte Windhauch sofort frieren.
Nun darf ich nicht lange zögern, drücke einer freundlichen Helferin meine Kamera in die Hand, da sie sich netterweise bereit erklärt hat, meine Wahnsinnstat für die Nachwelt festzuhalten. Gnadenlos macht es klick, klick, klick, während ich ins Wasser renne, den Gefrierschock irgendwie ignoriere und eintauche.
Bis zum Hals. Die Mütze habe ich anbehalten, damit die Haare nicht nass werden. Zwei, drei Schritte, den verliere ich den Boden unter den Füßen, die Kälte drückt gegen den Brustkorb, schnürt mir die Luft ab. Ein paar Schwimmzüge. Ein paar Sekunden. Ich will einfach nur wieder hinaus, schwimme panikartig zurück, freue mich, als meine Füße den Boden wiederfinden, rette mich.
Ich weiß nicht, welche Geräusche ich während der ganzen Aktion von mir gegeben habe. Jedenfalls klatschen alle, die gerade in der Nähe stehen, und die freundliche Helferin drückt weiter auf den Auslöser, während ich mich abtrockne. Zurück in der Umkleidekabine, die sich durch nichts als ein paar auf dem Boden liegenden Dingen definiert, versuche ich mich umzuziehen.
Der Schwimmclub
Eine hilfsbereite Frau, die bereits im Wasser war, will mir mit dem Handtuch als Paravent dienen. Antarktisches Baden verbindet. Etwas Wichtiges habe ich in diesen Momenten verpasst: Just neben der Badestelle ist Mister Penguin wieder aufgetaucht. Zur Freude aller Besucher.
Eine ganze Gruppe jüngerer Leute hüpft in die Fluten. Kälte in Kombination mit verrückten Unternehmungen macht ausgelassen. So versucht sich einer in Selfie-Position mit dem Pinguin, doch dieser weiß nicht so recht, was er davon halten soll und watschelt stoisch weiter.
Der typische Forschungspinguin
Es scheint ein völker- und artenverbindendes Nass zu sein, hier in der Telefon Bay. Erst später erfahren wir, dass die Wassertemperatur an diesem Tag minus ein Grad betrug. Dieses Bad hätte ich sonst doch nie freiwillig unternommen! Die Antarktis macht dich verrückt.
Vermutlich hat sich auch der Pinguin gewundert, dass die Menschen ohne Spezialfedern und schützendem Öl ins Wasser gehen. Das muss sein Neugierde geweckt haben. Der typische Forschungspinguin also, der mehr über diese Sorte von Zweibeinern erfahren will, die zwar nicht den gleichen, doch einen ähnlichen Gang wie er an Land beherrscht. Seiner ist natürlich effektiver.
Als hätte uns die Antarktis an diesem Tag nicht schon genug beglückt, spendiert sie uns nach dem Dinner noch ein ganz spezielles Highlight. Alles strömt an das hochbeliebte Deck 6, als die Durchsage ertönt: Buckelwale vorm Bug.
Der Kapitän hat die Fahrt gestoppt, alle verstummen. Mit so vielen Menschen zu schweigen! Jetzt klingt nur noch das geräuschvolle Ausatmen der Wale durch die Luft wie eine unbekannte Melodie. Erst die Fontäne, dann das Aufreißen des Mauls an der Wasseroberfläche.
Furchenwale belieben Krill zu speisen und filtern dafür bis 80.000 Liter Meerwasser innerhalb von Sekunden, allen voran Blauwale. Unsere Buckelwale zeigen uns den Rücken, die Finne, und jedes Mal, wenn auch die Fluke sichtbar in die Höhe gereckt wird, geht ein Raunen durch die Menge. Es ist wie ein Ritual aus alten Zeiten.
Der Wal, der Mensch, eine unendliche Geschichte.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit der nächsten Anlandung geht es zurück auf das antarktische Festland. Und eines kann ich schon mal verraten: Es wird recht sportlich in Orne Harbour…
Bei Reisefreundin Angelika findet ihr noch mehr zum Thema und tolle Fotos!
Heute bin ich wieder gelandet – zurück in meiner Welt. Ich war mit der MS Midnatsol unterwegs in der Antarktis – unterstützt von Hurtigruten.
Das war richtig toll! Bin froh, dass wir uns getraut haben und baden waren, haha
Meerblog …rein aus Recherchegründen natürlich Na klaro! Das schaffst du nach den -1 Grad locker!
Ja, wir waren hart. Hab schon zu Stratos gesagt, dass es nur logisch ist, nächstes Wochenende ins Kaltbadehaus von Malmö zu gehen und im Öresund zu schwimmen.
Du hast da nicht wirklich gebadet, oder?
Aber ja doch!
Super mutig!
Oder wahnwitzig! :-D
Du bist so mutig Elke…baden brrrrrrrr
Zu Hause mach ich das nie, von wegen Anbaden zu Neujahr und so…
Atemberaubende Ein- und Ausblicke. Ja, die Ozonschicht erholt sich nur langsam, obwohl die ozonschädlichen FCKW eigentlich schon lange verboten sind (eine internationale Übereinkunft, die, anders als beim Klima, mal recht reibungslos geklappt hat). Allerdings ist auch nicht ganz klar, inwieweit die Hautkrebsraten nicht auch mit dem geänderten Badeverhalten und den Freizeitmöglichkeiten zusammenhängen (ohne das Ozonrisiko kleinreden zu wollen). Ich weiss noch, wie in den sechziger Jahren meine ersten Klassenkameraden in der Grundschule erstmals nach Italien zu den Bettenburgen in Urlaub fuhren und wie im Zuge des ‚Bikini-craze‘ die bedeckte Haut immer kleiner wurde, ebenso, wie die Obsession mit „gesunder“ Bräune immer grösser wurde. Danach erinnere ich mich, wie plötzlich Sonnenstudios aus dem Boden schossen und Menschen aller Altersklassen nun ZUSÄTZLICH zum Urlaubs-Sonnenbaden auch noch wöchentlich zu den sonnenarmen Jahreszeiten auch noch sich UV-Belastungen aussetzten. Ich denke, dass hier zwei unglückliche Entwicklungen zusammentrafen, die man medizinstatistisch kaum auseinanderhalten kann.
Danke! Die Ozonschicht und das FCKW, der Klimawandel und die Treibhausgase, die Meere und das Plastik… Es kommt mir so vor, als könne der Mensch gar nicht schnell genug reparieren, was er zerstört.