Ein Seehund guckt uns an. „Velbekomme!“ wünscht uns ein Paar im Vorbeigehen lächelnd. Es ist Abend, und wir blicken auf die leicht schaukelnden Boote im Hafen von Lemvig und picknicken.
Ich bin überzeugt, dass die Skandinavier das Picknick erfunden haben, doch scheinbar speisten schon die alten Griechen und Römer gerne unter freiem Himmel. Sogar in der Bibel gibt es einen entsprechenden Passus. Picknick mit Jesus.
Die Frage ist, ob im Hier und Heute irgendwo auf der Welt so intensiv gepicknickt wird wie in Dänemark oder Schweden. Auf unserer Reise in die nordwestdänische Region Limfjorden treffen wir schon bald auf erste Beweise für meine These.
Genauer gesagt, beim ersten Halt. Ein Parkplatz an der Autobahn mit einer Wiese, Tischen, Bänken, Bäumen. Und wir sind die Einzigen, die unvorbereitet dazustoßen. Die Einzigen ohne Picknickkorb. Das muss sich ändern, beschließen wir.
Der Borbjerg Mølle Kro wäre eigentlich der geeignete Ort, alle guten Vorsätze direkt in die Tat umzusetzen. Der Sommer, das Vogelgezwitscher, die Ruhe am See. Die Aura der Elefanten.
Als wir bei der alten Wassermühle ankommen, deren Vorgängerin schon im 14. Jahrhundert drehte und das Wasser Richtung Limfjord spie, ist unser erste Gedanke: chillen… an diesen kleinen Strand am See. Hier neben den Elefanten, die so stolz dastehen.
Statt uns nun auf ein Dinner am Strand niederzulassen, sitzen wir im Restaurant von Bjorberg Mølle Kro und speisen Hähnchencurry und gebratenen Fisch – direkt am See und natürlich neben einem Elefanten.
Und als wir später einen Spaziergang in weitem Bogen um das Gewässer machen und die Dickhäuter im Abendlicht sehen, spüren wir einen Hauch von Afrika auf Jütland, und der Mühlensee mutiert zur Wasserstelle.
Doch es ist nur eine Illusion, die Elefanten bewegen sich nicht. Es sind Skulpturen, verteilt über das Gelände des Borbjerg Mølle Kro. Wer hat sie auf die jütländische Halbinsel geholt?
Die Borbjerg Herde zählt immerhin an die 2000 Tiere, und daran ist größtenteils die Besitzerin der Anlage, Ester Jensen, schuld. Denn sie reist regelmäßig nach Afrika. Doch inzwischen bringen sogar die Gäste hin und wieder ein Rüsseltier mit.
Es gibt auch echte Tiere rund um die Mühle, das Restaurant und die Hotelzimmer in den ehemaligen Stallungen: Lamas, Nasenbären, Ziegen, Esel und Emus. Mitten in der Nacht kann ich ihre Laute nicht immer zuordnen. Zu den seltsamen Geräuschen kommt die Hitze, und ich weiß nicht mehr, wo ich bin.
In Dänemark. Unser erstes Picknick folgt schon am nächsten Tag. In eben jenem Hafen der kleinen Stadt Lemvig, am Ufer des Limfjords, unter den Blicken eines Seehundes und den guten Wünschen der Passanten. Dabei fehlen auch die Miesmuscheln nicht – ein Produkt der Fjordregion.
Obwohl wir es gleich bei der Ankunft am lauschigen Mühlensee gespürt haben: Spätestens jetzt überlassen wir uns der ländlichen Intimität dieser Region mit ihren wogenden Weizenfeldern, kleinen Ortschaften und dem magischen Sund in der Mitte.
Wie ein Meeresarm durchschneidet das Gewässer die Halbinsel Jütland im Norden. Schmale Landzungen trennen es von der Nordsee, doch seit einer Flut mit Durchbruch im 19. Jahrhundert ist der Salzgehalt im Limfjord gestiegen.
Wir sind im westlichen Teil des Fjordgebietes, beliebt bei dänischen Familien. Das Wasser ist hier schön flach, viel ruhiger und wärmer als die wilde Nordsee. Und weit ist es nicht bis zum Meer.
Zeit für Softeis, beschließen wir in der Mittagshitze – umgeben von niedlichen Backsteinhäusern, Pferden, Schweinen und traditionell gekleideten Handwerkern. Im Freilichtmuseum Hjerl Hede schmeckt das Eis besonders gut, wenn auch nicht historisch korrekt.
Die Softeis-Spur führt uns auf einem neuzeitlichen Campingplatz bei Humlum – wir probieren uns durch. Rund um die Wohnmobile dienen Gehege kleineren Hunden als Vorgärten. Und gegenüber, auf der sogenannten Hundeinsel, gibt es sogar einen eigenen Strand für die Vierbeiner.
Von hier aus schauen wir direkt auf die Insel Venø, die für ihre Kartoffeln bekannt ist. Morgen werden wir dort sein. Ein Paar in Neopren trägt ein Kanu an die Wasserkante. Stimmt. Zu dieser Ruhe passt es einfach besser, als einen Bootsmotor anzuwerfen. Nur das Plätschern der Paddel hören. Anhalten, sich zurücklehnen und in den Himmel schauen.
Ich habe ein Fahrrad vom InfoCenter Struer ausgeliehen und schiebe es auf die Fähre. Einer der sogenannten Limfjordbusse fährt zwischen dem Festland und Venø im 20-Minuten-Takt hin und her. Die Überfahrt dauert einen Augenblick, dann genieße ich den Fahrtwind im Haar und auf der Haut.
Ganz flach ist Venø nicht, immer wieder habe ich mit Steigungen zu kämpfen. An einem einsamen Strand treffe ich den Rest der Familie, die mit dem Auto angereist ist. Gemeinsam düsen wir weiter in den Norden der Insel, denn ein Picknickkorb wartet im Hofladen von „Venø Kartofler og Lam“ auf uns.
Nun suchen wir den idealen Ort. „Fahrt einfach geradeaus weiter“, rät Mads Thoustrup, der erwachsene Sohn der Hofbesitzer. Schafe säumen unseren Weg. Die Straße ist schmal und führt gen Norden, zur Spitze des Eilands. Dort finden wir einen Tisch im Freien, ideal gelegen zwischen schattenspendenden Nadelbäumen.
Von hier reicht der Blick über einen Strand hinaus in den Fjord. Einige Radfahrer stoppen hier, um einfach nur den Ausblick zu genießen – am Rand der Steilküste. In unserem Korb finden wir diverse Salate: einer davon natürlich mit Miesmuscheln! Aber der Knüller ist der Kartoffelsalat mit ganzen Knollen in Öl, Knoblauch und Petersilie.
Selbstgebackene Brötchen, süße Erdbeeren, alles Produkte aus der Region. Außer dem Riesling, der wegen der Hitze schnell zu Kopf steigt. Wir fühlen uns wie auf dem Gemälde von Édouard Manet „Le déjeuner sur l’herbe“, auch wenn es kein Frühstück sondern ein üppiges Lunch ist.
Sogar ein Stück Wurst für die Hunde liegt im Korb – mit lieben Grüßen! Eigentlich würden wir gerne auf Venø bleiben, eine Weile zumindest. Eine paar Tage, Wochen, einen Urlaub lang. Und jeden Tag radeln, schwimmen und picknicken.
Abends in Handbjerg – es ist die südlichste Bucht des Sunds – legt sich ein suggestives Licht über das Land, das Wasser, die Boote. Intensiv blau und so weichgezeichnet, als wäre alles ein Traum. Aus dem wir bald aufwachen und leider verschwinden.
Doch eines wollen, müssen, dürfen wir noch tun: das Meer sehen. Die Nordsee ohne Watt, hier oben in Nordwestjütland. Über Holstebro fahren wir nach Bjerghuse, das in der Ecke zwischen Nissumfjord und Meer unterhalb der Landzunge liegt.
Ich steige hoch auf eine Düne: Wasser zu allen Seiten. Dazwischen Sand, Dünenlandschaft, bunte Ferienhäuser. Trotz Hochsaison liegen nur hier und da ein paar Sonnenanbeter verstreut am Strand, im Wasser ist niemand.
Doch schon im Borbjerg Mølle Kro hat man uns gesagt, der Fjord sei zum Baden einfach sicherer, da frei von Unterwasserströmungen. So laufen wir barfuß durch den Sand, vorbei an den bizarren Resten der Bunker. Vor der Rohheit des Betons wirken die leicht bekleideten Badegäste eher verletzlich.
Das Meer klatscht gegen Felssteine, rollt im Sand aus. Es wirkt nicht gefährlich. Und während der Fjord uns narrt und mit dem Himmel verschmilzt, ist und bleibt das Meer unendlich.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an die Region Limfjorden, die diese Reise ermöglicht hat.
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