Penguin Days #7, Cuverville Island

Cuverville

Ein letztes Mal setzen wir unsere Füße auf antarktischen Boden. Wehmütig, glücklich ob der blendenden Schönheit dieses unwirklichen Ortes. Eisberge in allen Formen vor Cuverville Island. Alle Farben Blau. Doch nur ein Traum, aus dem wir gleich aufwachen?

Tiefblau und glatt wie ein Spiegel, das Meer. Kaum ein Windhauch, ein Tag wie gemalt. Wir schwitzen unter der Expeditionskluft. Das Eis der umhertreibenden Schollen glitzert wie Milliarden Kostbarkeiten. Voller Elan hüpfen die Pinguine ins Wasser, tauchen unter, schießen pfeilschnell nach oben. Viel zu schnell für mich, für meine Kamera.

Wieder einmal sitzen wir im Tenderboot, wieder einmal liegt der Höhepunkt des Tages, die nächste Anlandung, vor uns. Wieder dieses Kribbeln. Nun gepaart mit einem Hauch von Wehmut. Cuverville ist unsere letzte Station in der Antarktis. Und sie gibt alles an diesem Tag, der ein Fest ist.

Doch dann riechen wir es: Ein gelinder Duft, vergleichbar mit dem einer Müllhalde, weht zu uns hinüber. Guano? Guano! Wir sind jetzt Kenner auf diesem Gebiet. Gutes Guano erkennen wir schon auf 300 Meter Entfernung. Und Cuverville ist fest in den Krallen der Pinguine, Eselspinguine, um genau zu sein. Wir machen die ersten Brutkolonien am Strand auf unvereisten Flächen aus.

Dann setzen wir ein letzes Mal unsere Füße auf antarktischen Boden. Es gibt zwei Wege, zwei Möglichkeiten: Links runter, immer den Strand entlang. Wir laufen über Schnee und Eis, brechen ab und zu ein, doch nie weiter als knietief. Ich bin penibel darauf bedacht, alle Löcher wieder zu stopfen, damit auch ja keiner von unseren kleinen Freunden darin einsinkt und sich am Ende nicht wieder befreien kann.

Ein Freund

Der andere Weg führt hinauf auf den Berg, der leicht und problemlos zu erklimmen ist, kein Vergleich mit Orne Harbour. Wie jedes einzelne Mal denke ich auch heute: Das ist unsere schönste Anlandung. Wieder haben wir anderthalb Stunden Zeit.

Die beste Vorfahrtregel aller Zeiten

Ein Skua sitzt breit auf einem Pinguinweg, und natürlich bleibt er nicht lange allein. Meine Vermutung geht dahin, dass Pinguinwege ungefähr so frequentiert sind wie die A8. Und schon watschelt ein Eselspinguin um die Kurve. Er bleibt vor dem Skua stehen, dem Feind. Nichts passiert, endlose Sekunden vergehen.

Schließlich geht der Pinguin irgendwie um ihn herum, ganz pragmatisch. Ein Stück weiter zwei Pinguine, die sich an einer engen Stelle des Highways gegenüberstehen. Man überlegt. Wer wird als Erster zur Seite gehen? Und wieder arrangiert man sich ohne großes Aufheben, zieht die Bäuche ein und watschelt aneinander vorbei. Wie eine eingeübte Choreografie, der Pinguintanz.

Pinguine in der Antarktis
Samba

Diese unbeugsamen Vögel benutzen auch „unsere“ Straße. Ihr gutes Recht. Schließlich haben Pinguine immer Vorfahrt. Es ist die beste Verkehrsregelung der Welt, hier in der Antarktis. Die Sonne brennt auf den wenigen freien Hautstellen, und mir wird heiß unter der Winterjacke. Nicht wenige Pinguine kühlen ihr Bäuchlein auf dem Eis und chillen ein bisschen.

Ich versuche es auch einmal, lege mich zum Fotografieren ins Eis, setze mich dann gemütlich hin, um das Treiben zu genießen. Bei reduziertem Höhenunterschied fassen die Pinguine schneller Vertrauen. Einer kommt geradewegs auf mich zu, ich traue mich kaum, auch nur den Kopf zu bewegen. Steif hocke ich da, während er an mir vorbei watschelt. Nur wenige Zentimeter entfernt!

Pinguin
Geschafft.

Fast fühle ich mich integriert in den antarktischen Tagesablauf. Doch unser Zeitfenster von 90 Minuten schließt sich auch dieses Mal rasch, das Visum läuft ab. Ein kleines Trostpflaster bleibt uns noch: das Cruisen durchs Treibeis am Nachmittag. Ich gehe an Bord des Zodiacs von Tomasz. Der Mann aus dem Expeditionsteam, der gerne flott fährt, dreckig lacht und die reinste Witzkanone ist.

Nicht nur. Er kann auch mit Fachwissen zum Thema Eis auftrumpfen. Er erklärt uns die Farbe Blau, die bei älterem, kompaktem Eis zum Vorschein kommt. Tomasz kann das Eis lesen. Und so macht er uns darauf aufmerksam, dass einer der Eisberge umgekippt ist. Tatsächlich. Das ominöse Teil hat die Form eines liegenden Pilzes.

In der Antarktis verlierst du das Gefühl für Zeit.

Eine Stunde sollten wir cruisen, doch die ist längst um, als wir uns schneidig zwischen zwei Eisschollen hindurch zwängen. Schade für die Nächsten, denn unsere gewagte Passage wird ihnen zum Verhängnis. Das uns folgende Tenderboot bleibt stecken. Aber nur für kurze Zeit, dann können sie sich befreien.

„Wir müssen nach Hause“, meint Tomasz und gibt Gas. Wir fliegen über das mit weißen Tupfern gespickte Dunkelblau des Südpolarmeers. Salzig schmeckt es. Der gutgelaunte Skipper feixt: „Unser Schiff ist weg. Wir müssen mit dem Schlauchboot durch die Drake-Passage.“

Künstler? Mutter Natur.

Alle stimmen lachend ein: „Wir werden die Ersten sein, die es mit dem Schlauchboot durch die Drake-Passage schaffen.“ Der Expeditionsgeist greift um sich. Es hinterlässt eben seine Spuren, wenn Arved Fuchs und Henryk Wolski an Bord sind, die schon gemeinsam auf den Spuren von Shackleton durchs Südpolarmeer zogen. Die uns so viel erzählt haben während dieser Reise, dass mir das Schiff manchmal wie eine Universität vorkam. Vorlesung um 11, Vorlesung um 15 Uhr. Und nun schreibe ich meine Seminararbeit.

Eisformationen, Cuverville Island
Alle Farben Blau

Als wir nach einem unvergesslichen Tag wieder an Bord gehen, heißt es Abschied nehmen. Abschied von der unwirklichen Schönheit der Antarktis, von hoffentlich ewigen Gletschern. Von allen Farben Blau. Von Bergen, die in Wolken aufgehen, und Wolken, die in Berge übergehen. Von schwindenden Kontrasten und viel zu satten Farben. Von Eis und Bergen, die erst im Spiegel des Meeres wahr werden.

Wie sollen wir von dieser ebenso lebhaften wie rauen Unwirklichkeit zurück in den Alltag kommen? Das gefräßige Monster, die Drake-Passage, wartet schon. Gefürchtet wegen ihrer mindestens sechs Meter hohen Wellen. Wie ein Kokon umgibt sie dich, wenn das Perfekte, das Strahlende weicht.

Abschied

Wenn du dann, noch trunken von all der Schönheit, durch die Gänge wankst. Denen zulächelst, die dir begegnen. Weil alle wie besoffen wirken. Wenn du den Seegang Tag und Nacht spürst, dann hat die Drake-Passage dich im Griff. Wie eine Transitzone. Ein Tunnel vom Traum zur Realität. Das Leben wird wieder normal, wenn Kap Hoorn am Horizont auftaucht. Wenn du durch die chilenischen Fjorde fährst und einen Hauch von Südamerika in Santiago de Chile erhaschst.

Doch der Traum begleitet dich fortan, er lässt dich nicht mehr los. Mutiert zu einer Idee, wird zum Sinnbild. Wo, wenn nicht in der Antarktis, begreift der Mensch, wie unbedeutend er ist? Dass die Welt der Pinguine nie die seine werden wird, egal wie viele verrückte Dinge er tut oder erfindet? Alles wird klar wie das Meer bei Cuverville. Perfektion hilft dir nicht, wenn du dem Leben begegnest.

Eisberge in Cuverville Island
Ohne Worte

Und ja, es ist dekadent auf einem zwar nicht luxuriösen, aber komfortablen Schiff bei 70 Grad in einer Sauna zu sitzen und Eisberge vorbeiziehen zu sehen. Dekadent, traumhaft, irreal. Wunderschön.

In der Stille knackende Schollen

Dieses Schiff ist für die Meisten immer noch die einzige Möglichkeit ans Ende der Welt zu gelangen, das nicht von dieser Welt ist, dass alle Zeiten in sich vereint, vor allem die Eiszeit. Wir haben nur eine winzige Idee davon bekommen, wie es in der Antarktis ist, zwischen Schnee, Treibeis, Wind und Wolken. In der Stille knackender Schollen. Allein unter Pinguinen.

Bauchlage

Es gibt kaum jemanden, den die Pinguine kalt gelassen haben. Wir bewundern ihre Anpassungsfähigkeit, Ausdauer, jenen Gegensatz zwischen tolpatschiger Langsamkeit an Land und eleganter Schnelligkeit im Wasser. Manchmal haben sie versucht, auf dem Eis zu schwimmen um vorwärtszukommen. Mit den Flügelchen gerudert. Wir konnten nicht fassen, welche immens weiten und steilen Wege sie unbeirrt und langsam zurücklegen, um von der Nahrungsquelle zur Brutstelle zu gelangen.

Just walking

Wir bewundern sie, weil wir es uns so bequem im Leben eingerichtet haben, das von Hause aus nicht bequem ist. Weil wir manchmal vergessen oder verdrängt haben, was Leben ist. Weil wir die Leute, die es suchen, für verrückt halten.

Und vielleicht ist es so, dass wir etwas in uns aufnehmen von dieser Schönheit und der wilden Kraft der Antarktis. Ich habe keine Ahnung, wie sich das in Zukunft auswirken wird. Aber keine Sorge, ich werde nicht auf die Idee kommen, Kap Hoorn mit dem Kajak zu umrunden. Zumindest nicht im Winter.

Tschüss, ihr Pinguine, Skuas, Schneesturmvögel, Robben, Wale. Tschüss, Antarktis.

Cuverville Island
¡Adiós, Antarktis!

Text und Fotos: Elke Weiler

Seit nunmehr sieben Tagen bin ich zurück in meiner Welt. Und wie ich die Bilder so anschaue, sortiere, auswähle, dabei Musik im Hintergrund höre, bekommen die Pinguine einen Rhythmus. Das ist natürlich Quatsch, denn sie haben längst einen. Vermutlich ist es nur so, dass beide Rhythmen kongruent sind. Genial. Ich habe die Samba-Pinguine entdeckt.

Samba!

Ich war mit der MS Midnatsol unterwegs in der Antarktis – auf einer Pressereise von Hurtigruten.

Und noch ein paar Tipps:

Zum Thema Cruisen in der Antarktis könnt ihr bei Susi von Black Dots White Spots weiterlesen.

Elisa hat auf Just Travelous über all das sinniert, was die Antarktis so mit einem macht.

Vor allem (be)rührt sie einen zutiefst, und das ging nicht nur Nina von Smaracuja so.

Die Antarktis ist und bleibt eine Herausforderung für Abenteurer wie Arved Fuchs. Mehr erfahrt ihr im Interview von Piet auf We travel the World.

9 thoughts on “Penguin Days #7, Cuverville Island

  1. Danke, Inka! Ich habe ja den Verdacht, dass keine Reise, kein Ort auf der Welt es je mit der Antarktis aufnehmen kann, und man als Reisender auf ewig verdorben ist und natürlich auch immer wieder hin will, liebe Pinguin-Kollegin… :-)

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