Alles über Ayşe

Osman hakt mich unter und führt mich geradewegs zu den Kamelen, die am Boden sitzen. Warum beschleicht mich immer mehr das Gefühl, dass das Ganze nach einer erprobten Choreografie abläuft? Zumindest ab dem Zeitpunkt, als Osman mich fragt, ob ich ein Foto von mir mit einem Kamel wolle. Natürlich will ich ein Foto. Von dem Kamel.

Wir sind in Göreme, mitten in Kappadokien. Heute touristischer Hotspot und Weltkulturerbe, in frühen Jahrhunderten Treffpunkt gläubiger Christen. Der Großteil der Kirchen stammt aus dem 10. bis 12. Jahrhundert. Urig sind sie als Höhlen allemal. Und von weitem erinnert das Bild mit den dunklen Eingängen im Stein an Waben, um die herum die Touristen wie Bienen summen.

Wir haben uns mit asiatischen Gästen in einige der kleinen Höhlenkirchen gedrängt, die in den Tuffstein hineingegraben wurden. Wie Bildhauer haben die Architekten hier gearbeitet, statt Materialien aufeinander zu setzen, haben sie die Säulen, Nischen, Kapitelle und Gewölbe aus dem Stein heraus geschält.

Höhlen in Göreme
Göreme

Die Bemalungen stammen wie die Kirchen aus unterschiedlichen Zeiten, manche sind naiver im Stil und ausschließlich rot, andere haben die ganze Farbpalette byzantinischer Kunst vorzuweisen. Jede Kirche hat ihren Reiz, alle sind wunderschön. Manche haben lustige Namen, wie etwa die Apfelkirche. Sie wurde so genannt, weil eben ein Apfelbaum davor gestanden hat.

Es ist ein heißer Tag, manchmal zieht ein Lufthauch wie eine Verheißung vorbei. Ich bin bereits aus dem Museum herausgegangen, zusammen mit der Kollegin Anja, als ich es sehe. Ein Kamel auf freier Wildbahn? Ich will näher heran, schleiche mich von der Seite an.

Ich habe keine Ahnung von Kamelen, keine Ahnung, wie es reagiert. Nicht so Osman. Er wirft einen Stock in die Nähe des Höckertieres, um es in meine Richtung zu treiben. Vermutlich fungiert es als Lock-Kamel. Hat der Tourist erst angebissen, hakt Osman ihn unter. Die Show kann beginnen.

Osman will, dass ich mich auf eines der beiden Kamel setze, die gerade chillen. „Nur für ein Foto!“, beschwöre ich den jungen Mann. Er nickt. Natürlich. Aber irgendwie habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Kaum, dass ich auf dem komplexen Sattelgebilde aus Teppichen, Halterung und Schnüren Platz genommen habe, setzt sich das Kamel in Bewegung.

Verzweifelt sehe ich Osman an, doch der beschwichtigt mich: „Nur für ein Foto!“ Ich spüre, wie die Sache aus dem Ruder läuft. Weit kann man hier nicht gehen, so als Kamel, denke ich, denn auf der einen Seite ist ein Parkplatz, auf der anderen der Park und vorne ein Abgrund.

Ich reite also zum ersten Mal in meinem Leben auf einem Kamel, wenn man das überhaupt „reiten“ nennen kann. Ich schaukele gemächlich hin und her. Wenn ich ganz ehrlich bin, könnte ich mich an diese Forbewegungsart gewöhnen. Slow Travel.

Das wartende Kamel
Lockvogel, bzw. -Kamel

Ein altes Beduinensprichwort besagt: „Liebe alles, was dich davon trägt, zum Beispiel Kamele und Pferde.“ Also sollte ich mich vielleicht mit diesem Schaukeltier anfreunden, während der Kollege von Osman die Zügel in der Hand hält und gleichzeitig versucht, mehr oder wenige scharfe Fotos zu machen.

Dann wird es ihm zuviel, er reicht mir die Zügel. Ach was, zuviel! Das ist der Höhepunkt des Programms! Ich fühle mich ein bisschen unsicher, frage für alle Fälle mal nach dem Namen des Kamels. „Das ist Ayşe!“

Aha. Ayşe heißt übersetzt: die Lebendige. Und es trifft den Nagel auf den Kopf. Ayse hat nämlich Pläne. Sie dreht den Kopf zu mir und vermittelt keck mit ihren dunklen Augen, dass sie gerne vom gewohnten Ablaufplan abweichen würde. Es ist etwas in ihrem Blick. Etwas Ungestümes.

„Na, komm!“, schlägt sie vor. Natürlich habe ich keinen Schimmer von Kamelen. Doch ich interpretiere das ganz richtig, denn im nächsten Moment versucht sie Tempo zu machen und in Richtung Abgrund zu traben. Osman kann die gute Ayşe in letzter Sekunde stoppen. Er will jetzt die Zügel wiederhaben.

Ich bin hin- und hergerissen. Natürlich hätte ich gerne etwas gemeinsam mit Ayşe erlebt. Sie scheint ein ganz patenter Kerl zu sein. Aber muss es ausgerechnet der Weg in den Abgrund sein? Osman führt mich zurück zu Ayşes angestammten Platz.

„Jetzt gut festhalten!“, warnt er, denn die Dame muss sich hinsetzen. Und das ist bei Kamelen ein komplexer, längerer Vorgang. Fast steige ich ungern ab, fühle mich schon heimisch auf den Teppichen. Ungern vor allem, weil Osman 15 Euro von mir haben will. Am liebsten würde ich mich übers Ohr gehauen fühlen. Doch dann gebe ich ihm das Geld und hoffe, dass er Ayse tagtäglich was Gutes zum Dinner vorsetzt. Andernfalls schalte ich den Betriebsrat ein.

Kamele in Göreme
Kollegen

Anja und ich werden schon sehnsüchtig vom Rest der Gruppe erwartet, um den nächsten Punkt anzusteuern: die sogenannten Feenkamine und weitere Höhlen. Und die nächsten Kamele, die allerdings betreuungsfrei und schon beim Dinner sind. Ich lasse die schönen Steine sausen und schaue einem Kamel beim Schmatzen zu.

„Du wirst hundert Jahre Glück haben“, zwinkert es mir zu. Altes Sprichwort unter Kamelen. Ich habe wirklich keine Ahnung, lag aber bei Ayşe goldrichtig. Oder saß. Irgendwann muss ich diese neue Bekanntschaft vertiefen. Und vielleicht gehen wir dann zusammen in die Wüste.

Text und Fotos: Elke Weiler

8 thoughts on “Alles über Ayşe

  1. Haha, ich habe schon sehnsüchtig darauf gewartet, auf die Story mit dem Kamel. Hundert Jahre Glück habe ich ja schon (Dank deinem Film), passieren kann mir also nichts mehr :-)
    LG Simone

  2. Hallo,
    falls erlaubt ein kleine Korrektur ☺ bitte um Verzeihung möchte nicht unhöflich sein aber das ist kein Kamel sondern ein Dromedar. Unterschied ist dass die Dromedare asiatische Trampeltiere sind. In Kappadokien werden sie hauptsächlich bei touristischen Sehenswürdigkeiten gehalten für foto zu machen ansonsten werden damit hier nicht gereitet.
    aber empfehlenswert ist für Kappadokien ein Wanderreise durch die schöne Traumlandschaft. Wir organisieren Kultur- Wanderreisen dorthin und führen auch selbst.

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