Neue Freunde macht man nicht jeden Tag. So grenzt es schon an ein kleines Wunder, dass ich gleich am ersten Tag meiner Reise durch Fjordnorwegen auf Charlie treffe.
Man könnte sogar sagen, wir verstehen uns auf den ersten Blick. Anfangs ist Charlie ziemlich schüchtern, aber hoch interessiert. Er nähert sich also. Läuft mir direkt ins Bild. Hinter mir ruft jemand: „Vorsicht! Er hält deine Kamera für eine Möhre!“
Meine Kamera ist eine Möhre, doch das ist ein anderes Thema. Eigentlich weiß ich zum Zeitpunkt unseres Zusammenstoßes noch nicht, dass er Charlie heißt. Sonst hätte ich ihn wegen der Kamera warnen können.
Bis die Chefhenne auftaucht, ist Charlie einfach das Pferd mit den schönsten Augen der Welt. Lange Wimpern, treuherziger Blick. Er lebt „in the middle of nowhere“, irgendwo auf dem Land zwischen Oslo und Bergen. Charlie und seine Wiesenkumpel können in die Berglandschaft und auf einen See schauen, den Krøderen beim Norefjell.
Ringsherum die Gebäude einer Raststätte aus dem 19. Jahrhundert – hier wurden einst die Pferde gewechselt. Heute stehen sie nur da und registrieren den Besucherwechsel. Mal mehr, mal weniger. Ich erfahre, dass Charlie ein sechs Jahre alter schottischer Clydesdale ist, ein Kaltblutpferd und „Valium auf vier Beinen“ für Hanne „Høne“ Veikåker, die den Laden schmeißt.
Eine Aufstellung der kompletten Hof-Mannschaft finde ich zwischen Verkaufsraum und Hühnerstall: Außer Chefhenne Hanne, wie die taffe Norwegerin sich scherzhaft bezeichnet, nämlich 728 Hühner, die herumlaufen und Bio-Eier legen. Drei Pferde, zwei Hunde, drei Katzen, 10 plus drei Hochlandrinder sowie 50 glückliche Schweine. Und angeblich drei Mäuse.
Wir begutachten die Hütten zur Rechten, traditionelle Speisekammern der Region. Dort hängt Hanne die Schinken der ehemals glücklichen Schweine auf. Die noch Lebendigen dürfen sich fröhlich im Wald tummeln, bevor es ihnen an den Kragen, beziehungsweise Schinken geht. Hanne erzählt, dass das Treiben der Waldschweine einem norwegischen Designer sehr gut gefällt.
Jeden Sommer kommt er vorbei, läuft in den Wald, sieht sich die Schweinerei an, lächelt und erschafft neue Kreationen. Jeder sucht sich seine Freunde oder Musen eben selbst aus. Hanne hingegen liebt sie alle. Im restaurierten Hof der Norwegerin kann man außer Tiere gucken und Eier sammeln auch übernachten, Wein kosten oder Kuchen essen.
Letzteres steht glücklicherweise auf unserer Agenda, und wir lassen uns im Haupthaus nieder, das genauso urig eingerichtet ist wie der Verkaufsraum. Nostalgie innerhalb dicker, weiß getünchter Wände. Gemütlichkeit bei noch warmen Muffins und Filterkaffee. Auch Kater Bromm erscheint auf der Bildfläche in der Hoffnung auf Streicheleinheiten.
Hanne gibt Landgeschichten zum Besten, vor allem die aufregenden Erlebnisse mit einem der Hochlandrinder. Jägerin ist die Frau auch noch, die nach eigenen Angaben „viel schläft und viel arbeitet“. Was auf den Fotos im Verkaufsraum hübsch dokumentiert wird: eine strahlende Blondine und ein dahingeschiedenes Rentier.
Zu guter Letzt schaue ich noch einmal bei Charlie vorbei, meinem neuen Freund. Er hat es sich auf der Wiese gemütlich gemacht und hält Siesta. Für ein Abschieds-Winkewinke steht er nicht zur Verfügung. „Ha det bra“, sage ich also, denn ein paar Worte Norwegisch können nicht schaden. „Mach’s gut!“ Vielleicht sollte ich mir meine Freunde besser aussuchen.
Text und Fotos: Elke Weiler
P.S.: Bald geht es weiter mit einem Wanderung zum Vøringsfossen. Und einem steinigen Weg ins Nirvana.
Mit Dank an Innovation Norway für die Unterstützung der „Fjell & Fjord“-Reise.
Für ein Hochlandrind schaut mir das Tier und dessen Geweih aber so gar nicht nach Rind aus ;)
Vermutlich weil es ein Rentier ist, und das auch drüber steht? ;-)