Wir kommen übers Wasser nach Kristiansand, das umzingelt ist vom Wasser. Der Skagerrak dringt in die zerklüftete Bucht, der Fluss Otra mündet hier. Schäreninseln zieren wie Törtchen unterschiedlicher Größe die Bucht, allen voran Odderøya. Zeit für endlose Spaziergänge. Unser erster führt uns nach Fiskebrygga, Hotspot zum Chillen und Speisen beim Fischmarkt.
Dort treffen wir den Einheimischen Erik, der uns ein Stück seiner Stadt zeigt. Nach Odderøya führt unser Weg, eine Insel, die über eine Brücke zu erreichen ist. Kristiansand, die Sommerstadt. Überall Leben auf den Straßen, Orte zum Genießen, verborgene oder offene, dem Wasser zugewandte.
Kristiansand zu Fuß
Julchen wirkt souverän wie immer und ist doch aufgeregt ob des städtischen Grundrauschens. Selbst die ständigen Komplimente und die Kraulversuche scheinen ihr irgendwann zuviel zu werden. Angenehmer Nebeneffekt: Worte wie „nydelig“ (niedlich) begleiten uns fortan: Lerne Norwegisch mit Hund!
Julchen wirkt wie ein Motor, der ständig alle zusammenbringt, die Gesichter zum Strahlen, die Menschen zum Reden. Sie weckt die Neugierde von Groß und Klein. Und manchmal fällt von ihrem Glanz etwas auf dich ab. Etwa wenn ein Vater dich anstrahlt und mit einer Norwegerin verwechselt. Wir sind noch keine 24 Stunden in Kristiansand, das uns wie ein Kokon aus Wärme umgibt.
Wäre da nicht Julchens Motorradallergie. Mit ihrer Antwort auf den Lärm durchbricht sie die norwegische Ruhe und Ausgeglichenheit immer wieder scharf. So traue ich mich an Tag 2 kaum, ins Museum zu gehen. Obwohl Erik sich als Dogsitter anbietet und im Museumscafé bei Julchen bleibt. Oder gerade deswegen. „Bleib nicht zu lange!“, bittet er mich noch, als ich gehe.
Ein letzter Blick. Julchen schaut mich an, als hätte sie alles im Griff. Ich ahne Fürchterliches. Noch während ich mich auf die Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist und südnorwegische Landschaften einzulassen versuche, höre ich ein Bellen in der Ferne. Ist es ein schlechter Traum, ein Trick meines Unterbewusstseins oder blanke Realität?
Sind da nicht Mauern zwischen uns? Ich gehe hinaus, um weitere Aufregung zu vermeiden. Julchen steht mit den Vorderbeinen auf einer Bank und sieht mich wild entschlossen an, wie um zu suggerieren: Alles unter Kontrolle! Ganz der Hütehund. Aber wir sind nicht in den schottischen Highlands, sondern in einem Museumscafé.
Besser, wir setzen unseren Spaziergang fort. Erik schlägt vor, dabei Wörter wie Motorräder zu vermeiden. Natürlich kreuzt trotzdem hin und wieder eines unseren Weg. Kristiansand reloaded. Posebyen, die Altstadt mit ihren weißen Häusern, der Fluss Otra, die Mündung und wieder zurück. Mittendrin der Stadtstrand von Kristiansand. Mir fällt auf, dass ich noch nicht baden war, doch es ist Zeit für Abschied.
Die gute Seele des Campingplatzes
Emilia steht schon in den Startlöchern. Und ich muss nichts weiter tun, als den Setesdalsvegen zu finden, die Straße mit der Nummer 9. Dann nur noch geradeaus. Es geht ein bisschen bergauf und bergab, wird kurviger, und der Himmel zieht sich zu. Wir picknicken im Regen an einer der Raststellen mit Blick aufs Wasser. Die ganze Zeit fahren wir parallel zum Fluss Otra, bis dieser zum Byglandsfjord anschwillt.
Auf einer Landzunge umgeben vom Fjord beziehen wir unser Quartier für die nächste Nacht. Es ist das Reich von Olaf Neset, dessen Nachname auf die Nase, eben jene Landzunge anspielt. Schon seine Vorväter haben hier gelebt, schon seine Eltern haben den Campingplatz betrieben. So nimmt es nicht Wunder, dass die ältesten und treuesten Gäste seit 48 Jahren zum Byglandsfjord reisen.
Olaf wurde hier geboren und hat mit 12 Jahren einen Kiosk für die Gäste eröffnet, weil seine Eltern es nicht tun wollten. Wie ein guter Freund redet er mit allen. Spricht unter anderem so akzentfreies Deutsch, dass ich ihn anfangs als Deutschen einsortieren wollte. Er lacht. Freut sich über das Kompliment, denn eigentlich hat er die Sprache nur an der Schule und auf dem Platz gelernt.
Land der Kaninchen
Schon nach fünf Minuten am Byglandsfjord wird mir klar: Olaf ist die gute Seele des Platzes, eine Art Vater für seine Gäste. Und so kommen sie immer wieder. Angezogen natürlich auch von der fantastischen Lage. Unsere Hütte steht auf Felsgestein und ist dem Wasser zugewandt. Als wären wir ganz allein am Fjord. Nur wir, und die Enten und …
Julchen entspannt sich nach dem städtischen Abenteuer, doch sie ist sauer wegen der Schleppleine. Die ganzen Kaninchen! Dermaßen eingeschränkt wie sie ist, können ihr die Langohren doch auf der Nase herumtanzen! Ich frage mich: Waren zuerst die Camper oder die Karnickel auf der Landzunge? Egal, heute zelebrieren wir ein friedliches Miteinander.
Später erzählt Olaf mir die ganze Kaninchen-Story. Irgendwann ist seinen Kindern nämlich mal eines aus dem Stall entwischt. Und dann noch eines. Scheinbar haben sich die beiden Pioniere vermehrt wie die Karnickel. Et voilà, sind wir mitten im Plüschparadies. Feinde ein Fremdwort für die Kaninchen. Hunde sind geduldet.
Endlich finde ich die Zeit, Emilias linken Scheinwerfer zu reparieren und die Seitenspiegel zu stabilisieren, denn natürlich hat Olaf Schraubenzieher in allen Größen. Er erzählt mir noch, dass es früher viele Emilias auf dem Campingplatz gab. Und lacht wieder. „Sie kamen den Weg zu einer der ältesten Kirchen im Setesdal nicht hinauf. Die Motoren rauchten, sie mussten immer wieder pausieren.“
Bald ist Mittsommer
Eigentlich ist Bykle noch über hundert Kilometer vom Byglandsfjord entfernt, aber ein beliebtes Ausflugsziel. Und der steile Weg hinauf zur Kirche eine Herausforderung für alte Autos. Fast reizt mich der Weg dorthin, doch wir haben andere Pläne. Tierische Pläne.
Während Julchen davon träumt, wie schön das Leben am Fjord ohne Schleppleine sein könnte, immer den Kaninchen auf der Spur, erfreue ich mich an den im Licht wechselnden Szenen, dem Drama, dem Regen, der auf das Fjordwasser prasselt, der Entenfamilie, die vorbei stolziert, und an dem ewigen Sonnenuntergang mit Kaninchen. Bald ist Mittsommer.
Einwanderer aus Nordschweden
Irgendwo zwischen Kristiansand, dem Byglandsfjord und Risør, irgendwo in Südnorwegen, etwa auf der Hälfte dieses Juni-Roadtrips, wird mir zum ersten Mal etwas bewusst. Ich weiß, es ist eine geniale Zeit, und ich werde im Nachhinein immer wieder denken, dass es eine geniale Zeit war. Vielleicht werde ich süchtig nach Roadtrips werden. Vielleicht wird es auch nur dieser eine, dieser erste sein, der schwer zu toppen ist.
Es wird Zeit für die Elche. Also packe ich unsere sieben Sachen, und wir starten Richtung „Elgtun“. Etwa zehn Minuten sollen wir von Neset Camping für die Strecke brauchen. Bis Grendi führt uns der Weg den Byglandsfjord entlang, dann biegen wir rechts ab dem Schild Landeskogen folgend. Die Straße wird schmaler und führt durch ein Waldgebiet.
Wo sind die Elche? Seit 2014 sollen sie auf einem zirka 13 Hektar großen Gelände leben. Es handelt sich um Einwanderer aus Nordschweden, die beiden Ersten sind heute zwei Jahre alt: Olga und Orvar. Im Jahr darauf zogen Frøya und Elvira ein. Und alle gaben ihr Bestes, vor allem Olga, denn bald werde ich zwei Wochen alten Elchbabys gegenüberstehen.
10 Uhr, Fütterungszeit. Julchen darf am Waldrand warten, wo sie sich im Bezirk von Johannes‘ Wachhund aufhält. Dieser musste das Feld für den Gast räumen. Johannes kommt aus der Eifel, lebt aber schon seit zehn Jahren in Norwegen. Nun also als hauptberuflicher Elchbetreuer, Astlieferant und Ersatzmutter.
Außer mir sind noch weitere Besucher erschienen. Wer möchte, kann die erwachsenen Elche mit einem Stück Banane füttern. Doch einige lassen es fallen, denn das große Tier könnte ja ihre Hand gleich mitverspeisen. Dabei sind Elche doch ausgewiesene Veganer? Ich habe Respekt vor den imposanten Tieren, doch ich trau‘ mich, die Neugierde siegt. Weich und zart fühlt sich die Elchschnute an. Der Typ mit den langen Wimpern nimmt das Bananenstück vorsichtig, aber rasch entgegen.
Elche können tauchen
Schließlich dürfen wir zu den Zwillingen. „Passt aber auf!“, meint Per, einer der Chefelchpfleger und Miteigentümer von Elgtun. Nicht, dass wir den Jungtieren irgendwelche Viren und Krankheiten übertragen. Die Babyelche kriegen Milch aus der Flasche, während Mutter Olga am Zaun steht. Irgendwann wird sie wieder zu ihnen dürfen, doch erst mal sollen die Kälber an Menschen gewöhnt werden.
Und damit waren sie hier schon recht erfolgreich, denn die Kälber staksten zwar noch ungelenk mit langen Beinen durch die Gegend, rennen aber vergnügt hinter „Mama“ Per her, sobald er auf der Bildfläche erscheint. Nach der Fütterung schauen die frechen Kleinen auch, was die Besucher so zu bieten haben. Und meine Tasche scheint wahnsinnig gut zu anzukommen.
Johannes erzählt, dass „Elgtun“ nicht nur für Touristen eine besondere Erfahrung ist, die normalerweise nicht so nah an Elche herankommen. Auch so mancher Norweger wüsste wenig über die Riesenhirsche und käme gerne zu Besuch. Von den Kids ganz zu schweigen. Wer ahnt schon, dass Elche Schwimmhäute zwischen den Hufen haben? Dass sie sogar unter Wasser äsen können? Die reinsten Schwimm- und Tauchtiere.
Apropos Tier. Der Hund meldet sich im Hintergrund zu Wort, denn unter den Besuchern weilten auch Motorradfahrer, die nun starten. Julchen kann das nicht umkommentiert lassen. Ich verabschiede mich von den namenlosen Babys, von Olga, Orvar, Frøja und Elvira, von Per und Johannes.
Julchen und ich wollen zurück an die Küste, nach Lillesand und Grimsdal. Vor allem freuen wir uns auf eine Leuchtturminsel…
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an Visit Southern Norway, die diesen Teil unseres Roadtrips unterstützt haben. Und an Erik fürs Dogsitting, Olaf fürs Bemuttern sowie den Elchen für alles!
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