All about Miesmuscheln

Muscheln aus Zeeland

Es ist kein Mythos. Sie trugen die legendären Holzclogs wirklich im Alltag, damals. Ich bin in Yerseke, dem Ort der Muschelfischer, und stehe vor alten Schwarzweißaufnahmen. Es handelt sich zwar nicht explizit um ein Museum, doch hier in den Schuppen der „Oesterij“ kriegt man schon einen ersten Eindruck davon, wie früher und heute gefischt wird.

Weiße Häubchen auf den Köpfen der Frauen, die Männer in dunkler Kleidung und Fischermützen. Und alle tragen jene Klotschen an den Füßen, die doch so unnachgiebig und hart aussehen. Frauen und Männer sortieren gemeinschaftlich Austern ein – malerisch am Ufer der Oosterschelde sitzend. In Zeeland wird seit dem 19. Jahrhundert nach Miesmuscheln gefischt.

Gleichwohl sind Muschelgerichte in den Niederlanden längst nicht so beliebt wie im benachbarten Belgien. So kommt es auch, dass heute der Großteil der Miesmuscheln nach Belgien und Frankreich exportiert wird. Auch in meiner Jugend am Niederrhein standen Muscheln hoch im Kurs, allerdings aßen wir sie eher im Restaurant als zu Hause.

Früher war alles schwarzweiß.

Wir scheuten einfach das aufwändige Saubermachen. Das ist heute anders. Warum die Miesmuscheln nun sauberer sind als früher, werde ich im Laufe des Tages in Yerseke erfahren. Ich bin quasi live dabei, als die enorme „Waschmaschine“ angestellt wird.

Kleine Powerpakete

Seitdem ich an der Nordsee wohne, habe ich kaum mehr Muscheln gegessen, was eigentlich seltsam ist. Doch in Nordfriesland dreht sich die kulinarische Welt eben eher um Krabben, Schollen und Matjes. Und zunehmend auch um Meeresgemüse wie Queller und Algen. So wundert es mich schon, als ich im Hafen von Yerseke einen Muschelfischer aus Wyk auf Föhr liegen sehe. Doch das hat seinen Grund.

Neben der Oosterschelde, einem Meeresarm der Nordsee und das nächste Revier für die Fischer aus Yerseke, bietet das Wattenmeer ein lohnendes Revier, so erzählt Nico van Zantvoort, der im Auktionshaus der Muschelfischer in Yerseke arbeitet. „Was ist mit den Schwermetallen?“, will ich sofort wissen. Schließlich filtern Muscheln im Allgemeinen ja das Wasser.

Berge von Muscheln

Nico schüttelt den Kopf. „Keine Sorge.“ Oosterschelde und Wattenmeer stünden unter Naturschutz und seien sauber. Steigende Wassertemperaturen könnten wohl zum Problem werden, wenn durch bestimmte Algen oder Bakterien Toxine gebildet werden. Dem Risiko wird durch strenge Kontrollen vorgebeugt.

Muscheln filtern Nährstoffe aus dem Wasser und sind so reich an Jod, Eisen, Magnesium, Folsäure, Vitamin A, Kalzium, Selen, Eiweiß und Omega-3-Fettsäuren. Natürlich wusste ich nicht, dass Miesmuscheln solche Powerpakete sind. Ich esse sie gerne, das schon, wenn auch in Maßen.

Auf dem Prüfstand

Wir laufen gemeinsam zum Auktionshaus und von dort mit einigen Fischern zu den flach im Wasser liegenden Kähnen, deren große Lagerflächen ins Auge stechen. Prallvoll sind die Böden mit Miesmuscheln gefüllt, darin krabbeln auch kleine Krebse, Algen liegen mehr oder weniger dekorativ herum. Einer der Muschelfischer zeigt uns eine Schnecke, die sogar Austern aufstechen und fressen kann, der sogenannte Austernbohrer. Austern sind eben beliebt.

Ein Bagger schaufelt die gefischten Miesmuscheln hin und her, schließlich nehmen die Männer eine Probe aus der Ladung. Bei insgesamt vier Muschelschiffen tun sie dies, es sind die am heutigen Tag bei der Auktion zur Verfügung stehenden Ladungen. Wir begleiten die Fischer mit den Proben zum Auktionshaus, wo die flinken Hände der Auktionare, die Spreu vom Weizen, ergo die Muscheln von kaputten Schalen und anderem Ungemach trennen.

Auch Nico steht hinterm Tresen und packt mit an. So schnell, dass wir kaum mit den Augen folgen können. Schließlich fahren die Muscheln eine Runde Karussel und kommen nach Größe sortiert wieder heraus. Es geht darum, sie zu kategorisieren und ihre Qualität zu beurteilen. Im letzten Schritt werden die Muscheln ein paar Minuten gekocht, denn auch das Fleisch muss bewertet werden.

Schließlich sind die aktuell zum Verkauf stehenden Ladungen aller vier Schiffe mit sämtlichen Kriterien auf der Auktionstafel gelistet, es geht los. Die Preise, die sich schließlich ergeben, variieren zwischen 80 ud 130 Euro pro Tonne. Das eigentlich Überraschende folgt im Anschluss, denn nicht jeder Käufer nimmt seine Ware direkt mit.

Muscheln über Bord

So begleiten wir die Fischer eines Bootes zu ihrem Lagerhaus – und zwar mitten in der Oosterschelde. Wir fahren zu einer festgelegten Parzelle, die gar nicht weit von Yerseke entfernt liegt. Wer jetzt denkt, die Muscheln werden in Säcken hinabgelassen und irgendwo befestigt, liegt falsch. Die Fischer löschen ihre Ladung kurzerhand, alle Muscheln werden einfach zurück ins Wasser gespült.

Die Follower

Kein Wunder also, dass uns die Möwen folgen, die exakt auf diesen Augenblick gewartet haben und sich mit Freude auf die kurz unter der Wasseroberfläche schwimmenden Miesmuscheln stürzen. Doch das Vergnügen ist kurz, denn natürlich sinken die Muscheln auf den Grund. Besonders tief ist dieser hier allerdings nicht, je nach Tide ein bis zwei Meter.

Da der Boden torfartig ist, spucken die Muscheln während der Lagerung Sand aus, ohne sich neuen einzuverleiben. Je nach Bedarf holen die Fischer die bereits verkauften Muscheln dann wieder ab und bringen sie dem Käufer. Zu so einem Muschellieferanten führt unser nächster Weg, als die Fischer uns in Yerseke wieder von Bord lassen.

Auch die Ware vom Föhrer Fischerboot wird bei „Delta Mossel“ gelöscht. Meist werden die Muscheln allerdings mit LKWs von Föhr nach Holland gebracht, nicht mit dem Boot. Vor allem natürlich Miesmuscheln aus der Oosterschelde und vom holländischen Wattenmeer. Maschinen waschen, trennen und sieben die Miesmuscheln auseinander, ordnen sie nach Größe.

Am Ende sortieren flotte Frauenhände andere Muscheln, Krebse und alles aus, was den Sortiervorgang bisher überlebt hat. Die Muscheln werden verpackt und in gekühlten LKW-Räumen auf die Reise geschickt. Ich mag ja Dinge am liebsten dort, wo sie frisch und kurz gereist auf den Teller kommen. Und so freue ich mich auf den Besuch im Restaurant „Oesterij“.

Austernliebe

Sowohl die Miesmuscheln als auch die Austern schmecken hier vorzüglich. Wie schon im Artikel über Domburg erwähnt, gibt zwei Sorten, die „Zeeuwse platte“ und die „Zeeuwse creuse“, die bei uns unter der Bezeichnung Pazifische Austern laufen.

Austern in Yerseke
Meer essen.

Da sitzen wir nun mit Blick auf die Kästen voller Austern, die in Becken gezüchtet werden. Das Wasser kommt und geht, kleine Springbrunnen poppen auf – so etwas wie Wellness für Austern. Wir sehen ein paar Möwen und Austerfischern zu, die gar nicht dumm sind und in dieser Art Selbstbedienungsladen schnell fündig werden.

Diese Vorliebe teile ich mit den Möwen, nur dass mir die Austern in der „Oesterij“ genussfertig serviert werden. Mehr Meer kann man nicht schmecken. Und nur schwimmen ist schöner.

Text und Fotos: Elke Weiler


Wie nachhaltig ist die Miesmuschelfischerei?

Seit 2011 tragen zeeländische Miesmuscheln das Siegel des Marine Stewardship Council (MSC) für nachhaltige Fischerei. Zum einen dürfen die Muschelfischer nur in ausgewiesenen Bereichen von Oosterschelde und Wattenmeer arbeiten. Zwischen Juli und dem April des Folgejahres darf dort gefischt werden, in den restlichen Monaten herrscht Schonzeit. Etwa fünf Prozent der jährlichen Produktion in den Niederlanden wird über sogenannte Muschelsocken gezüchtet, und dafür entsprechend weniger vom Meeresboden abgefischt. Die Hängekulturen bestehen aus sockelähnlichen Baumwollnetzen. Hier wachsen die Muscheln schneller, sind frei von Sand, haben aber eine dünnere Schale.

Zeeländisches Rezept für Miesmuscheln

4 kg Miesmuscheln für vier Personen
2 Lauchstangen
2 Zwiebeln
Selleriegrün
Lorbeerblätter
1 Glas Weißwein
Pfeffer

Die Muscheln mit Wasser abspülen, untersuchen und beschädigte aussortieren. Lauch und Zwiebeln in Ringel schneiden, zusammen mit dem Sellerie, Lorbeer und Wein in einen großen Topf mit dünnem Boden geben. Zu drei Vierteln mit Muscheln füllen, pfeffern und alles bei hoher Temperatur zum Kochen bringen. Hebt die aufsteigende Flüssigkeit den Deckel an, diesen kurz abnehmen. Nach zehn Minuten sollten sich alle Muscheln geöffnet haben. Topf auf den Tisch stellen und zulangen.

Eet smakelijk!

Mit Dank an das Niederländische Büro für Tourismus & Convention sowie den VVV Zeeland, die meine Reise ermöglicht haben.

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