Am Strand von Domburg
Im Dunkeln klingt das Rollen, das Rauschen, das Donnern der Brandung noch lauter. Aufgewühlt ist das Meer, der Wind bläst unablässig. Und wenn da nichts ist außer Sand und Wasser, der Himmel nachtschwarz, kein Mond und nicht ein einzelner Stern zu sehen, dann wird die akustische Wahrnehmung umso intensiver.
Nur der Lichtschein des Strandpavillons. Zu Beginn des Strandabschnitts sorgt er dafür, dass man noch die Hand vor Augen sieht. Ein Stück weiter spielt eine Mutter mit ihrem Kind im Sand. Was für eine grandiose Idee! Nachts am Strand ist alles anders, auch in Domburg. Einsamer, ungewohnter, intensiver. Und es ist, als wäre die Natur des Nachts lebhafter.
Noch im Hellen waren es vor allem die Hundebesitzer, die ihren Vierbeinern bei wilder Raserei am Strand zugeschaut haben. Entzückt. Allein diese unbändige Freude zu sehen, macht glücklich. Dieses Gefühl von Freiheit. Das machen die Niederländer einfach gut, dass sie so viele Strände in der Nebensaison für die Hunde frei geben, die den Auslauf nötig haben.
Den ganzen Tag hat es Bindfäden geregnet, November eben. Der Mantel wird nass, trotz des schützenden Regenschirms, der wegen des Winds öfters mal umknickt. Die Haare kringeln sich vor Feuchtigkeit. Ich bin dem Wasser nachgelaufen, hier am Strand. Habe ein unfreiwilliges Bad genommen, beziehungsweise die Füße. Eine ausrollende Welle erfasste meine Gummistiefeletten, da schwappte das Wasser gezielt hinein. Der Effekt hingegen vergleichbar mit einem Neoprenanzug: Meine Füße bleiben warm.
In Sachen Muscheln habe ich recherchiert. Denn das Meer rund um Zeeland riecht nach Muscheln. Jene bernsteinfarbenen Herzmuscheln, uni oder gestreift, die gibt es bei uns kaum. In Domburg hingegen scheinen sie ihren Teil zur Farbe des Sands beigetragen zu haben, der gröber und gelber als in Sankt Peter-Ording ist.
Zu wild zum Baden ist die Nordsee im November, zu kalt allemal. Da bleibt es bei dem unfreiwilligen Fußbad. Im Allgemeinen kennen sich die Domburger mit dem Thema Baden allerdings ziemlich gut aus. Was nicht weiter verwunderlich ist, da schon im 18. Jahrhundert die ersten britischen Kurgäste anreisten. Im 19. Jahrhundert ging es dann mit den Badekarren an den Strand und mit den Füßen ins Wasser. Später in voller Montur – mit sogenannter Badekleidung, und das längst nicht so sparsam an Stoff wie heute.
Ab an die Küste
Nein, eigentlich begann alles noch früher. Am Vormittag stehen wir auf dem kleinen Platz „Het Groentje“, und die Domburgerin Atty klärt mich auf: „Hier war es.“ Hier wurden im 17. Jahrhundert Ruinen von einer Flut freigespült. Ein Tempel für die germanische Göttin Nehalennia. Nie gehört. Nicht selten zierte sie wohl den Bug von Schiffen, gilt als Gottheit der Fischer und Seefahrer. Doch auch für die Unterwelt zeichnet Nehalennia verantwortlich.
Die Römer, die Kelten hatten in Zeeland Spuren hinterlassen. Atty kennt die Geschichten hinter den Mauern und jenseits des Sichtbaren. Sie kann die Zeichen deuten, Zeichen, die in der Nebensaison eher ins Auge fallen, weil es leer ist. Da wäre zum Beispiel die Geschichte von Johann Georg Mezger, der mit neuer Methodik, heute Physiotherapie genannt, im 19. Jahrhundert eine gut betuchte bis feudale Klientel nach Domburg zog.
Heute ist das anders, heute zöge es eher den Mittelstand hierher, weiß Atty. „Und am Wochenende sieht es hier ganz anders aus“, meint sie mit Blick auf die leergefegten Straßen. Am Weekend kämen sie wieder, die Gäste, sogar im November. Darunter viele Deutsche, der Ballungsgraum Ruhrgebiet liegt quasi vor der Haustür. Naturgemäß ist dort die Sehnsucht nach dem Meer groß. Etwa zweieinhalb Stunden braucht man mit dem Auto.
Als gebürtige Niederrheinerin weiß ich ja selbst, wie es ist. Der Rhein zeigt die Richtung – ab an die niederländische Küste. Wie oft bin ich damals auf der Halbinsel Walcheren gewesen. An den Stränden von Vrouwenpolder, Oostkapelle und im schönen Veere. Nur eines weiß ich nicht mehr: War mein Erstkontakt mit dem Meer hier oder in Spanien? In jedem Fall habe ich es sofort geliebt, selbst als ich noch nicht schwimmen konnte.
Irgendwann verabschiedet Atty sich, und ich spaziere weiter durch den Regen. Es ist kein Zufall, dass ich schließlich im „Bier en Melksalon“ auf der zentralen Weststraat lande. Denn sie bringen mir jeden Morgen ein köstliches Bio-Frühstück in die nach Mezger benannte Lodge nebst dem höchst ambitionierten Mezger Restaurant. Das Bio-Frühstück ist so gut, dass ich trotz Novemberkälte und Seeluft für den ganzen Tag gesättigt bin.
Bier en Melksalon
Aber eine hausgemachte Zitronentarte und ein Cappuccino, das passt schon. Der „Bier en Melksalon“ heißt nicht etwa so, weil hier einst Kühe zum Melken hinkamen, die für ihre Milch ein paar Bier erhielten. Obschon mir diese Version gefiele. Bier wurde hier schon konsumiert, ja, und Milch mit nach Hause genommen. Doch die Kühe waren woanders.
Heute ist es ein Café mit kleinen Gerichten und Frühstück bis 17 Uhr. Eigentlich ein Concept Store, denn sie verkaufen auch wunderbare Dinge wie Teller auf denen steht, dass Kalorien diese kleinen Männchen sind, die nachts die Kleider enger nähen. Was man natürlich erst sieht, wenn sich die Zitronentarte assimiliert hat.
Eigentlich würde ich gerne noch einen Blick ins „Marie Tak van Poortvliet Museum“ werfen, doch es ist seit dem 12. November geschlossen. Atty hat mir gezeigt, wo es sich versteckt: am Ende einer schmalen Gasse, die von der Ooststraat abgeht. Dort finde ich eine Nachbildung des Holzgebäudes, in dem einst Piet Mondrian und seine Kollegen selber Ausstellungen organisierten. Der Künstler verbrachte nämlich gerne die Sommermonate in Domburg.
Als ich mit Atty an der Johanneskerk vorbeigegangen bin, haben wir uns über Mondrians künstlerische Weiterentwicklung unterhalten. Wie sich seine Sichtweise änderte, er die Oberfläche auflöste, das Dreidimensionale negierte, Kirchenfassade wie Hintergrund musterhaft verschmolz. Natürlich hatte er sich auch dem Meer gewidmet. Das besondere Licht zieht die Künstler immer wieder ans Meer.
Zu den Austern
Wieder bin ich an der Wasserkante, nun in der Dunkelheit. Ich folge dem künstlichen Licht. Austern will ich probieren, im Strandpavillon „Oase“. Es gibt zwei Sorten, die „Zeeuwse platte“ und die „Zeeuwse creuse“. Intensiver sind Letztere, als würde dich das Meer von innen ausspülen. Fehlt noch? Eine Fischsuppe. Inklusive Nordseekrabben.
Gekrönt von Queller, der allerdings aus Frankreich kommt, da wir an der Nordee jetzt keine Saison mehr dafür haben. Fein und sehr grün ist er, knackig und so salzig wie das Meer, aus dem er wächst. Vorzugsweise an den Stellen, die immer wieder überflutet werden. Vom Meer geküsst wie der Strand, die Muschelschalen und die Wellenbrecher aus Holz. Wie ich, beziehungsweise meine Füße.
Diese Mal achte ich auf den Spülsaum. Schaue nach unten, wähne mich im Trockenen, hebe den Blick. Im Dunkeln sieht man keinen Horizont, auch an grauen Tagen kann man ihn nur erahnen. Dann ist Fantasie gefragt, dann ist sie wichtiger als im Sommer.
Vielleicht ist es das, was ich im November an der Küste mag.
Text und Fotos: Elke Weiler
Und hier geht es zu den zeeländischen Muscheln. Inklusive Rezept!
Mit Dank an an das Niederländische Büro für Tourismus & Convention sowie den VVV Zeeland, die meine Reise ermöglicht haben.
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