Mit dem 2CV durch die Normandie
An meinem zweiten Tag in der Normandie lerne ich sie endlich kennen. Jeansblau, ein bisschen ausgebleicht, ein paar Kratzer. Spritzer von matschigen Wegen, Spuren ihrer Herkunft. „Du kennst ja die Geschichte von dem Kartoffelsack und den Eiern?“, fragt Philipp Thomas, und ich nicke. Der 2CV wurde fürs wilde, dreckige Landleben geschaffen. Als Auto für den Bauern.
Die Ente ist so gut gefedert, dass die Eier beim Transport heil bleiben. Philipp erzählt, ein belgisches Fernsehteam hätte den Test gemacht. Ein paar Eier hätten sie dabei zerbrochen, allerdings nicht während der Fahrt mit einem Schmuckstück aus seinem Enten-Fuhrpark „Balades 2CV Normandie“. 28 Stück stehen in Pont L’Evêque, eine bunter als die andere.
Scheinbar habe ich die einzige einfarbige und das hässliche Entlein erhascht, doch es ist Liebe auf den ersten Klick. Diese Ente ohne Namen, die mich an meinen allerersten 2CV erinnert. Wunderbar weiß und spritzig war er. Doch schon nach einem Jahr hinüber, das Chassis verrostet. Eine Trauerphase folgte.
Ich muss mein Gefährt der nächsten Tage Möhre nennen, einfach Möhre. Und es hat einen Grund, dass Philipp mir ausgerechnet dieses gute Stück überlässt. Seine Enten fahren nämlich allesamt ohne Schlüssel, sie starten auf Knopfdruck. Klick, klick.
Kein Schlüssel, keine Handbremse?
Ergo sind sie nicht abschließbar, was bei den kurzen Gruppentouren normalerweise kein Problem ist. „Die Schlüssel brechen nur ab“, erklärt Philipp seine Entscheidung. Da fahre ich nun schon seit Jahrzehnten Ente und noch nie ist mir ein Schlüssel abgebrochen. Der Entenchef rät mir, auch die Handbremse nicht zu benutzen, weil sie angeblich schnell kaputt geht.
Einfach den ersten Gang einlegen, das würde reichen. Ich muss nicht extra erwähnen, dass mir noch nie eine Handbremse… Ça va, ça va. Wir drehen eine Runde durch Le Havre. Bis zum Ende der Welt düsen wir mit der Ente, denn so nennen die Einwohner Sainte-Adresse, wo ihre Promenade quasi im Meer endet.
Das Ende ist rund, man könnte wieder von vorne anfangen, wo die Steilküste beginnt, typisch für die Normandie. Da stehen wir über dem Meer, blicken auf die Stadt und den Hafen im Morgendunst. Ein echter Claude Monet, dieses Bild, das sich uns bietet. Eigentlich ist der Impressionist an meiner frühen Vorstellung von Le Havre schuld.
Kräne, die in den rötlichen Himmel ragen, eine von der Hafenindustrie geprägte Stadt, aufgelöst in Farbrausch und bewegtem Pinselduktus. Das Licht der Normandie, das die Impressionisten aus Paris an die Küste gelockt hat. Von Sainte-Adresse nehmen wir Kurs auf die Basse-Normandie, steuern via Hafenstraße die Seine an und lassen uns schwungvoll über das Mündungsgebiet führen – dank der weit gespannten Pont de Normandie.
Honfleur, du bist so schön
Auf der anderen Seite der Bucht liegt Honfleur in der Sonne, ein Liebling der Touristen mit seinen gewundenen Gassen und hübschen Architekturen. Auch hier kamen sie alle hin, Monet, Courbet, Renoir, Cézanne, der ganze Clan. Ich esse Tartine mit Ziegenkäse. Und während die Fischerfamilie Langin im Hafen ihre Ladung an Jakobsmuscheln löscht, genieße ich die Mittagssonne. Zum Nachtisch eine Crêpe, was will man mehr.
Eines geht natürlich gar nicht: sich ohne eine Degustation im Département Calvados aufzuhalten. So besuchen wir Manoir d’Apreval in Pennedieppe, plaudern mit Madame Letellier über Apfelbäume, Säfte, Calvados. Über Cidre statt Wein. Ich lerne Pommeau kennen, einen Aperitif. Ebenfalls auf Apfelbasis, logisch.
Im Calvados-Land
Genauer gesagt, werden zwei Drittel Apfelsaft mit einem Drittel Calvados versetzt, et voilà die Kreation, am besten frisch gekühlt. Pommeau riecht nach Äpfeln, hat beim Trinken eine leichte Note von getrockneten Pflaumen, die von der Eichenfasslagerung herrührt.
Leicht beschwingt nehme ich Platz in der Ente. Meine Tour entlang der Küste startet so richtig, als ich Philipp abgesetzt habe. Als Möhre mir allein gehört. Möhre, die genau so alt ist wie Emilia, the Meerblog-Car. Möhre, die sich allein vom Blauton her recht gut in meinem Fuhrpark machen würde.
Mit offenem Verdeck und wehendem Haar düsen wir zurück über die Pont de Normandie. „Follow the signs!“, hatte Philipp geraten, ein Navi gibt es natürlich nicht. Ich lande mitten in Le Havre und halte vergeblich nach Schildern Ausschau, die mir den Weg nach Étretat weisen, meinem nächsten Ziel. Die Haute-Normandie.
Ohne es zu ahnen, bin ich goldrichtig, Möhre kennt den Weg wohl. Um mich zu vergewissern, halte ich kurz an und werfe einen Blick auf mein Smartphone. Die Alternative wäre das althergebrachte Navigationssystem gewesen: Kompass, Karte oder einfach nach dem Weg fragen. In Sainte-Adresse dann das erste Étretat-Schild, ein Jubelschrei in der Möhre.
Ab nach Étretat!
Le Havre war staubig und voller Verkehr, auf der Landstraße wird es nun gemütlich. Gegen die nachlassende Temperatur hilft die Heizung. Höchste Stufe, Hauptsache offenes Verdeck. Als ich in Étretat zum Parken das Dach wieder ausrolle, spricht mich eine Japanerin an, im bestem, klarsten Französisch fragt sie mich nach der nächsten Busverbindung.
Möhre scheint mich also zur Einheimischen zu adeln. Ich verweise die Japanerin an die Touristeninfo, ziehe aber in Betracht, mich in Frankreich als fahrende Informationsquelle anheuern zu lassen. Natürlich mit Ente, die den Abend und die Nacht vor meiner Bleibe verbringt, dem Bed & Breakfast Les Hortensias.
Der Inhaber André Brochec hilft mir mit dem klemmenden Bügel weiter, damit ich das Verdeck wieder richtig befestigen kann. Kurzer Zangeneinsatz, fertig. Die Normannen sind so: immer nett und hilfsbereit. Leider startet Möhre am nächsten Morgen nicht. Es war zu kalt in der Nacht, es ist zu früh am Morgen. „Sie will hier bleiben“, meint André, aber das denke ich nicht. Möhre braucht einfach ihre Zeit und ein bisschen Choke.
Auch in Fécamp werden wir mit offenen Armen empfangen. Die Besitzerin des kleinen Hôtel de la Plage steht schon barfuß im Türrahmen, als sie das sonore Knattern der Ente auf der Straße vernimmt. Und am nächsten Tag frage ich sie nach einer Möglichkeit zum Tanken, da meint Madame quasi verliebt: „Für die Ente?!“
Au revoir, Möhre!
Sonntags gäbe es nur vollautomatische Tankstellen mit Kartenfunktion. Oder geschlossene. Die dritte nimmt sogar meine Karte, halleluja. Zwar wäre ich mit dem Benzin noch bis Rouen gekommen, doch sicher ist sicher. Und ich möchte Philipp die Ente nicht komplett leer gefahren zurückgeben. Wo Möhre und ich doch so viel Spaß miteinander hatten.
In Rouen überholt uns ein Motorradfahrer, hupt und zeigt „Daumen hoch“, zwei Mal gleich. So viel Begeisterung! Gilt das ihr oder mir? Vermutlich sind wir zusammen unschlagbar. Daher wird mir auch ein leicht wehmütig zumute, als ich sie in Rouen wieder an Philipp zurückgeben muss.
Möhre mit ihrem Jeansblau, den Campingstuhlsitzen, dem Starten auf Knopfdruck. Möhre, die sich so sanft in die Kurven gelegt hat, auf die immer Verlass war. Möhre, die Flotte, die ganz im Stil der gelben Ente im Bond-Film „For your eyes only“ durch die Normandie flitzte.
Vielleicht sieht man sich ja irgendwann wieder.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an Normandie Tourisme, die meine wunderbare Reise mit der Möhre unterstützt haben.
Also, wenn das eine „Möhre“ ist, warum ist die dann „Meerblog-Blau“ und nicht „6 Grad Ost-Orange“? : )
Es gibt mit Sicherheit auch Möhren in deiner Farbe, liebe Jutta. :-)
Schöner Bericht, macht Lust auf eine Entenreise durch dieses traumhafte Land
Lieben Dank! Entenreisen sind ja vermutlich überall toll. ;-)
Das ist eine autooooo!!!!!JEEE
:-) :-) :-)
Hallo, sehr schöne Worte, bei denen ich mich weg träumen konnte. :) Ich war mal mit einem guten Freund und seiner Ente im Passeiertal unterwegs, einfach nur schön. ;)
Mit offenem Verdeck, hoffe ich ? ;-)
Was für ein schöner Artikel. Und ganz tolle Photos ! Ich lebe zwar eigentlich in Frankreich, aber im Süden und war noch nie in der Normandie. Wenn ich das nächste Mal in Europe bin, muss ich da unbedingt hin – und zwar mit der Ente ! Danke für die Tips.
Wow! Toller Bericht und wunderschöne Fotos. Mein Ziel für den Herbst 2017! Vielen Dank für die interessanten Infos!