Wien, sommerlich
Um sechs Uhr morgens prasselt der Regen gegen die Efeuwand. Wien, 15. Bezirk. Irgendwo in der Nachbarschaft bellt ein Hund. Ein kurzes, herausforderndes Wuff, mehrmals. Sonst nur diese Sonntagsruhe, die ich jeden Morgen im grünen Hinterhof des Boutiquehotels Stadthalle erlebe.
Aus meinem Zimmer sehe ich aufs Lavendeldach, doch er duftet nicht mehr. Rechtzeitig geschnitten, blüht er im September wieder, hat mir die Inhaberin Michaela Reiterer erzählt. Es war ihr Wunsch, im Sommer auf eine lila Dachwiese zu schauen.
Für das Umwandeln des Hotels in ein Passivhaus, das seine Energie über Fotovoltaik und Wärmepumpe selbst produziert, holte sich die engagierte Frau in 2012 das europäische Umweltabzeichen. Mein Zimmer ist Teil eines alten Wiener Stadthauses, und mir gefallen die witzigen Details: So bestehen die Nachttische aus Büchern, die von Gürteln gehalten werden, und das Bücherregal war mal eine Europalette.
Die beliebte Nutzung von Paletten ist mir schon im Patio sowie im „Karls Garten“ aufgefallen, den ich mit meinem Fahrradguide Gabriela besichtigt habe. Ausgerechnet am Karlsplatz, umrundet vom brausenden Verkehr, hat die Universität für Bodenkultur in Wien ein Urban Gardening Projekt gestartet.
So lauten die Fragestellungen unter anderem: Kann man Obst vor Feinstaub schützen, oder sind die Erzeugnisse aus dem Karlsgarten zu belastet für den Verzehr? Hecken und Hochbeete wurde angelegt. Schnecken, Bienen und andere Insekten eingeladen.
Gabriela erzählt, dass die Bienen die Städte generell lieben, weil sie hier von Pflanzenschutzmitteln und Gentechnik verschont bleiben. Das Mikroklima ist einfach ein paar Grad wärmer, und es gibt von Frühjahr bis Herbst genug zu futtern. Obschon Wien immerhin mehr als 50 Prozent Grünfläche im Stadtgebiet vorweisen kann, ist die Sehnsucht nach dem „Garteln“ groß.
Mini-Gärten
Baumpatenschaften liegen im Trend. Jeder Straßenbaum besitzt ein Stück Grünfläche, die sogenannte Baumscheibe, die von fleißigen Hobbygärtnern gerne bewirtschaftet wird. Teilweise in Guerilla Gardening-Manier, teilweise mit Patenschafts-Vertrag. Auch in meinem „Grätzl“ habe ich eine von diesen Mini-Gärten entdeckt.
Als ich mich auf den Weg Richtung Zentrum mache, ist die Sonne nach Wien zurückgekehrt. Ich beschließe, ein echtes Sommersonntagsprogramm auf die Beine zu stellen. Über die Mariahilferstraße radele ich gemächlich zum MuseumsQuartier im siebten Bezirk. Keine große Entfernung, es ist sogar recht ruhig zu fahren an diesem Sonntagmorgen.
Ich parke auf Wiens Haupteinkaufsstraße und schreite durch einen Bogen ins MQ hinein. Architektonisch wird die Gesamtanlage dominiert von den Hofstallungen aus dem 18. Jahrhundert. In seiner Gesamtheit wirkt das Quartier in etwa wie „Vienna in a nutshell“. Diese Mischung aus Barock und Moderne. Die kreative Atmosphäre. Das Lässige.
Ganz Wien scheint sich im Sommer hier zu treffen, wenn es nicht gerade in den grünen Weiten des Praters oder der Lobau verschwindet. Im MuseumsQuartier kannst du nämlich auch chillen, vor oder nach der Kunst. Und zwar auf Hofmobiliar aus Hartschaum. Entworfen vom Architektenteam PPAG, multifunktional kombinierbar. Name: Enzi, Artikel: das.
Über die Farbe wird jedes Jahr neu abgestimmt. Derzeit stehen Schlumpfblau und Schwimmflügelgelb zum Sitzen, Lesen, Herumlümmeln zur Verfügung. Umgeben von der kulturellen Qual der Wahl, Theaterhaus oder Museum Moderner Kunst der Stiftung Ludwig. Tanzquartier oder Kindermuseum.
Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, visiere ich das Architekturzentrum an. Um in Erinnerungen zu schwelgen. Es geht um österreichische Baukunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Als ich noch Kunstgeschichtsstudentin war, durfte ich während einer Exkursion über die Secession und den Aufbruch der Moderne in Wien berichten. Live und vor Ort.
Erinnerungen an Otto Wagner
Es war ein recht frischer April, und am Ende der Exkursion standen wir andächtig in der Kirche am Steinhof, aber weniger aus religiösen Gründen. Die Professorin fasste Otto Wagners Jugendstilbaukunst so zusammen: „Eine Kirche zum Katholischwerden.“
Zurück in der Gegenwart nutze ich eines der Quartier-Lokale für eine Pause mit hausgemachter Ingwer-Limonade. Noch ist es heiß, doch der Himmel zieht sich langsam wieder zu. Eigentlich ideales Eiswetter. Gestern habe ich, den Empfehlungen der Wiener Kollegin Doris zu den besten Eisdielen der Stadt folgend, das „Greissler“ ausgetestet. Urteil: Hammer! Mein Highlight: der Pferdeapfel.
Die Zutaten stammen, wie ich der Wanddeko entnehme, „aus der Buckligen Welt“ vor Wien. Milch von glücklichen Kühen. Was in meinem Becher landet, ist Schoko-Nougateis, eine ansehnliche Kugel, gerollt in Schokobrösel und Kürbiskernsplittern. Kann die zweite Eisdiele im Test das überbieten? Es wird spannend, sehr spannend.
Um eines vorwegzunehmen: Pferdeäpfel gibt es bei „Veganista“ nicht. Dafür stammt die Milch nicht von glücklichen Kühen, sondern von Soja, Reis oder Hafer. Ob diese Pflanzen vorher glücklich waren? Doch ehrlich soll es sein, das Eis. Wenn möglich, mit Biozutaten. Wenn möglich, aus der Region.
Ich entscheide mich für Tonka- und Schokoeis, beides mit Sojamilch. Werde ich einen Unterschied schmecken – zur Bio-Kuhmilch? Nein, nicht direkt. Das Eis ist köstlich. Trotzdem bleibe ich beim Pferdeapfel – für mich die beste Erfindung, seit es Eis in Wien gibt.
In der Neustiftgasse ist es recht gemütlich. Ich setzte mich auf die Bank vor das „Veganista“, während ich versuche, die riesige Portion artgerecht zu vertilgen, also ohne mich vollzukleckern. Die Wiener kommen und gehen. Vor allem Sorbet scheint hoch im Kurs zu stehen.
Zwischen dem Bankrechtssitzer und mir an der linken Außenkante gedenkt ein cooler Eisesser Platz zu nehmen. Ein Blick, und ich nicke ihn in die Mitte. Merke: Konversation mit Eis immer nonverbal! Anders als im Kaffeehaus. Zum Abschied winkt der Herr Eisnachbar mir noch mal mit seiner zweiten Kugel zu. Lässiger geht das selbst auf dem Enzi vorm Museum nicht.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an Wien Tourismus, die diese Reise unterstützt haben.
…nicht nur sonntags :)
Ha! Wird nicht gearbeitet? ;-)
Kaum :) Ich rede doch vom Feierabend. Und von samstags. Und feiertags :)
Der schönste Tag im Jahr eines Wieners ist der, an dem die Enzis nach der Winterpause wieder rausgeholt werden :)
Ich wollte grad schon sagen, die Sitzdinger waren doch mal rot! Aber wenn sie jedes Jahr die Farbe wechseln…
Oh, veganes Eis. Super! :-)
Liebe Grüße
Jessi
Ich hab‘ das Gefühl, du hast schon deinen nächsten Wien-Trip in der Planung, Jessi… ;-)
Ja, dieses Jahr war ich nicht in Wien. Es wird also mal wieder Zeit… :-)