Wir hatten nicht viel Geld. Doch plötzlich war er da, jener Wunsch, zum Frühstücken nach Paris zu fahren. Damals, auf irgendeiner Party. Einen Kaffee zu trinken, noch lange nicht in der To-Go-Version, dazu ein frisches Croissant in einem Café, denn nur in Frankreich gibt es echte Croissants und das wahre Pain au chocolat.
Auf den Stufen von Sacré-Coeur in Montmartre sitzen, den Blick über ganz Paris schweifen lassen. Todmüde, aber glücklich wieder nach Hause fahren. So sahen die Paris-Quickies aus dem Rheinland aus.
Heute ist alles anders und doch ist es gleich. Es gibt immer noch Menschen, die sich früh morgens vor die Zuckerbäcker-Kirche setzen, denn später wird es voll. Früh morgens allein mit Paris, das hat Denise bis vor einiger Zeit noch gerne praktiziert, wenn sie sich daran erinnern wollte, wie schön es ist. Warum sie dort lebt, gerne lebt.
Im Café
Die Thüringerin wohnt seit sieben Jahren an der Seine. Während des Auslandssemesters hat sie sich fix in einen Pariser verliebt und ist nach dem Studium zurückgekehrt. „Es gibt keinen Platz, keine Gärten, keine Natur“, meint sie über das Leben in Paris. Auch musste sie ihren Labrador Maja im heimischen Heilbad Heiligenstadt zurücklassen.
Doch Paris hat natürlich seine Schokoladen-Seiten, man schlemmt gerne und oft: „Du kannst dich einmal um die Welt essen.“ Ganz abgesehen von dem kulturellen Angebot. Die Medienwissenschaftlerin hat zunächst im Marketing gearbeitet, sich aber 2012 als Bloggerin mit Help tourists in Paris selbstständig gemacht. Wegen steigender Nachfrage bietet sie inzwischen Führungen durch die Stadt an, ihr erster Guide ist erschienen: „Paris – Der perfekte Mädelsurlaub“.
Und da sitzen wir mit Denise in einem der Cafés, die sie im Buch empfiehlt. Bei Croissants, Baguette und Obstsalat. Milchkaffee und Marmelade. Ganz in der Nähe des Fischhändlers, der Denise jeden Morgen nett grüßt: Mal bietet er ihr eine Meeresschnecke, mal ein Seeigelchen. Was mich an das ganz private Paris der Amélie Poulain erinnert.
Ihre fabelhafte Welt, eigentlich ein Arthouse-Film, wurde zum Kassenschlager und hat weltweit Millionen von Zuschauern beglückt. Noch heute pilgern die Fans zum „Café des 2 Moulins“, das Denise auch empfiehlt. Wegen der Crème brûlée. Amélie kellnerte und kuppelte in diesem Café, wenn sie nicht gerade die Crème-brûlée-Kruste mit dem Löffel knackte.
Auf den Spuren von Amélie
Zusammen mit der Architektin Eva laufen wir auf Amélies Spuren durch Montmartre. Und Eva, die selbst schon seit Jahrzehnten im Viertel lebt, verrät uns etwas über Jean-Pierre Jeunet. Kein geringerer als der Amélie-Regisseur wohnt nämlich im selben Haus wie sie. Zu weiteren Indiskretionen lässt sich Eva allerdings nicht hinreißen. Jeunet hat seinem Montmartre ein filmisches Denkmal gesetzt hat, von dem die Kritiker sagen, es entspräche nicht der Wirklichkeit. Aber wozu auch? Und welcher?
Die Realität ist vielfach geprägt von den Strömen der Touristen. Nur wer eine feine Nase und eine Kennerin wie Eva an seiner Seite hat, lernt auch die stillen Seiten von Montmartre kennen, erkennt schemenhaft das einstige Dorf vor Paris. Der Hügel mit Gärten, Feldern und Weinstöcken, an die nur noch ein winziger Grünfleck erinnert: le Clos Montmartre. Die Weinstöcke wurden in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zur Erinnerung an ältere Zeiten gepflanzt.
Wie es der Zufall so will, sind wir ausgerechnet zum Weinfest in Montmartre, zur Fête des Vendanges. Was bedeutet: noch mehr Betrieb rund um Sacré-Coeur. Fressbuden und Weinverkostungen, der Champagner fließt. Kein Platz mehr frei auf den Stufen vor der Kirche, am Samstagnachmittag schieben sich die Menschen durch die Straßen. Man kriegt fast Platzangst, oder ist es gar das Paris-Syndrom?
Nein, jedenfalls bin ich weder deprimiert, noch habe ich die Einrichtung unseres Apartments im 9. Arrondissement demoliert. Wir wohnen nahe Pigalle wie Denise, also fußläufig zu Montmartre und ganz ruhig. Meist sind es Japaner, die vom Paris-Syndrom betroffen sind, klärt die Freibeuter-Bloggerin Nicole mich auf. Auch sie hat mal in Paris gelebt und es geliebt.
Das einstige Weindorf
Wir trinken ein Probiergläschen vom Pariser Wein, einem Rosé, frisch, fruchtig, doch herber als der Rosé der Provence, der Geschmack des Sommers an der Côte d’Azur. Eva hatte uns erzählt, dass die alten Römer den Wein hergebracht hatten.
Montmartre, das ehemalige Weindorf. Im Paris der Künstler im 19. Jahrhundert zeigte es noch seinen ländlichen Charme, gut erkennbar etwa auf einem Bild von Vincent van Gogh, einer Komposition aus Pastelltönen mit Gärten, zwei Mühlen und landschaftlichem Schwung. Das hätte auch dem Labrador von Denise gefallen! Die Maler haben das Licht auf dem Hügel geliebt, den Ausblick, und außerdem waren die Mietpreise wesentlich günstiger – so vor den Toren der Stadt.
Heute gilt Montmartre als einer der teuersten Flecken der Stadt. Heute sind die Maler grantig, wenn die Touristen sie und ihre Kunst auf dem Place du Tertre ablichten, statt etwas zu kaufen. Einer läuft hinter mir her, hält mir sein Smartphone vor die Nase, ich lächele in die Kamera. Jeder hat sein eigenes Paris und findet es dort, wo er es sucht. Er erschafft es selbst.
Das Paris der Verrückten, der Verzweifelten, der Kreativen, der Geschäftigen, der Suchenden, der Liebenden. Paris hat so unendlich viele Gesichter. Das des lächelnden Schwarzen, der mir auf den Stufen der Metro mit dem Koffer helfen möchte. Das des gut gelaunten Kellners mit der Brummstimme, der uns noch etwas zu essen organisiert, obwohl die Küche schon geschlossen ist.
Das der Kellnerin im Café, die uns einen schönen Tag per Zettelbotschaft auf Deutsch wünscht. Das des nervösen Busfahrers, der mich knapp vor dem Überfahren von der Straße weghupt. Ich werde sie nicht alle kennenlernen, niemals. Doch ich bin sicher: Es gibt ein Meer von Geschichten in dieser Stadt.
Noch ein Tipp: Eine dieser Stories handelt von Teresa und der Ente Renée…
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an Atout France und Visit Paris die mich bei dieser Reise unterstützt haben.
Hach, eine Liebesgeschichte von und über und mit Paris…on y va…die Koffer sind gepackt…und auf Theresa und die Ente Renée freue ich mich auch schon!
Schöööööön! Da hast Du Montmartre „auf den Kopf getroffen“ ;-).
Die Paris-Quickies aus dem Rheinland kenne ich auch! Ich kenne Montmartre ja nun auch ein wenig, aber deine Texte und Fotos lassen eine ganz eigene Welt entstehen. Ich freue mich jetzt schon auf die Fortsetzung und Ente Renée!
Freut mich sehr! Lieben Dank euch!!
Fabelhaft!
Toller Text!!
Liebe Elke,
dein Artikel bringt einen so richtig zum Träumen :) Montmartre ist mein Lieblingsviertel und du hast es sehr schön beschrieben. Danke für unser petit dej‘ sympa :)
Danke dir, Denise! Ich hoffe, wir können das beizeiten mal wiederholen. :-)
Schön geschrieben! Und naja was soll man sagen: Paris ist einfach immer eine Reise wert. Und das mit dem „zum-Frühstück-nach-Paris-fahren“, steht auf meiner Bucketlist!! :)
Lieben Gruß, Anna
Das liest sich wirklich schön – ich wurde mit Paris leider nicht so warm, auch wenn ich es gar nicht so richtig festmachen kann, woran es gescheitert ist. Dein Bericht sagt mir aber, ich sollte es noch mal probieren. Unbedingt.
Gruß,
Mika
Unbedingt, Mika! :-)
Schöner Text! Steigert mein Verlangen, endlich auch wieder mal in den Zug Richtung Paris zu steigen.
Danke, liebe Maria!
wahnsinnig tolle Fotos! :)